Kirchtürme und Minarette. November 2006

Man schreibt das Jahr 1653. Sultan Christophmehmed Block-Er nahm sich noch eine Dattel und wartete ungeduldig auf die neuesten Plakatvorschläge von seinem Propaganda-Wesir Döner Mörgeli. Man stand vor der Eroberung von Wien und brauchte unbedingt noch einige gute PR-Aktionen, um die osmanischen Krieger bei Laune zu halten. Nicht einfach, so weit weg von der Heimat im kalten, nebligen, sumpfigen und rückständigen Europa. Endlich erschien er; Eunuche El-Schlüer trug die zusammengerollten Papyri mit. Döner Mörgeli hatte wieder sein bleckendes Grinsen – ein gutes Zeichen. Als erstes entrollte er ein Plakat, das einen messerstechenden Christen zeigt, der eine Haremsfrau angriff. Christophmehmed wiegte den Kopf, etwas abgegriffen, fand er, damit konnte keiner seiner Krieger mehr motiviert werden, das hatte vielleicht noch zur Eroberung von Istanbul gereicht, aber nicht im hohen Wien. Das zweite Plakat gefiel ihm schon besser. Es zeigte einen habsburgischen Kaiser, der den roten Halbmond durchschnitt und ins osmanische Reich eindringen wollte. Die graphische Umsetzung war nicht schlecht, aber richtigen Schrecken breitete das Motiv nicht aus. Das Dritte spielte auf die hohen Steuern von Österreich-Ungarn an: Ein ottomanisches Sparschwein wurde von einem christlichen Schwert zerschlagen. Ein Frewel, ausgerechnet ein Schwein, doch abgesehen davon, waren Christophmehmed und seiner Sultanin Abduhallasilvihalla das Motiv zu abstrakt. Besser gefiel ihm ein Vorschlag, der einen widerwärtigen Kirchturm zeigte und den Text enthielt: „Türkei kirchtürmfrei“. Aber so richtig begeistert? Nein, man war ja nicht von gestern und der interreligiöse Dialog mit dem Papst ganz amüsant. Das letzte Plakat zeigte den Sultan in Wien, am Rednerpult im Stephansdom bei einer Rede über die Menschenrechte. Darunter stand: „Redefreiheit. Auch für Europa“ Das gefiel dem Sultan, endlich eine gute Sache, für die zu kämpfen war. Er gab sogleich das Signal für den Sturmangriff vor Wien.
Dank Christophmehmed kann seither an der Bar jeder Vernunft jeder auch nach dem fünften Glas Wein seine Gedanken frei formulieren.