Selbstbestimmung: Die Irrtümer der SVP-Initiative

Heute behandeln wir im Nationalrat die SVP-Initiative gegen fremde Richter. Sie will im Zweifelsfall unsere Verfassung über internationales Recht stellen. Die Initianten garnieren diese Idee schon im Titel mit einem historischen Bezug. Schliesslich soll der Kampf gegen fremde Richter schon im Bundesbrief von 1291 gestanden haben. Abgesehen davon, dass dieser Bundesbrief jahrhundertelang verschollen war und nicht als Richtschnur von 700 Jahre Geschichte dienen kann, zeigt die Geschichte unserer Region doch eine ganz andere Wirklichkeit.

Selbstverständlich: Jede Organisationsform strebt nach Autonomie und Selbstbestimmung. So auch die alten Orte. Gleichzeitig konnten sie diese Ziele nicht alleine durchsetzen, sondern mussten Verbündete suchen und sich absichern. So taten es Uri, Schwyz und Unterwalden, so taten das im übrigen andere Talschaften und vor allem Städte untereinander, die in einer Vielzahl von Verträgen sich miteinander verbanden. Autonomie und Rechtssicherheit war immer nur im Verbund mit anderen möglich.

Besonders schön zeigt dies die erste Vereinbarung von Luzern mit den drei Orten von 1332. Das Datum haben wir in der Schule als Beitritt Luzern zur Eidgenossenschaft gelernt. Fritz Glauser hat die Ereignisse im Buch „Luzern und die Eidgenossenschaft“ bereits 1982 schön dargestellt und ich habe es letzte Woche gerne nochmals gelesen. Luzern lag in den 20erJahren des 14. Jahrhunderts im Clinch mit seinem Vogt, der von habsburgischer Seite eingesetzt war. Konkret ging es um den Streit, wer die Ämter des Hirten und des Senns bestimmen dürften. Die Luzerner bestanden auf das Nominierungsrecht, Habsburg respektive der Vogt beharrten auf ihrem Recht. Der Hirte und Senn beaufsichtigten die Nutzung der Allmenden um Luzern und der Wälder am Pilatushang. Die Flächen waren anscheinend übernutzt und der Vogt schritt ein und schränkte das Auftriebs- und Nutzungsrechte ein. Damit machte sich der Vogt in breiten Bevölkerungskreisen Gegner.

Die Luzerner versuchten mit mehreren Missionen bei den Habsburgern, ihre Rechte zu sichern – immer erfolglos. Die Luzerner suchten in dieser Auseinandersetzung Verbündete. Sie fanden sie nicht bei den Städten des Mittellandes, auf die sie traditionellerweise ausgerichtet waren, da diese selber mit Konflikten beschäftigt waren. Sie fanden sie bei den Waldstätten, zu denen sie sich erst aus Not öffneten. Letztlich wurde der Konflikt durch ein Schiedsgericht gelöst, welches aus Vertretern grösserer Städte des Mittellandes bestand – zu dieser Zeit waren das ebenfalls „fremde Richter“. Schiedsgerichte waren ein übliches Instrument der Streitschlichtung mit dem in unserer Gegend Konflikte gelöst wurden. Vorsitzender war stets eine Person, die nicht aus dem Gebiet der Streitparteien kam. Die Herrschaft Österreichs und vor allem die Unterstellung unter das Reich waren noch für lange nicht in Frage gestellt.

Das Beispiel zeigt wunderbar auf, wie im Kuddelmuddel des Mittelalters mit verschiedensten politischen und juristischen Akteuren auf gleichem Territorium die Verwirklichung von Autonomie immer von guter Bündnispolitik, Verträgen und einer Absicherung in einem supranationalen Rahmen abhing – wenn man denn diesen Begriff für diese Zeit bereits brauchen will.

Siehe: Selbstbestimmung gibt es nicht gratis. Sie wird erst garantiert im Verbund mit Anderen.

Und: Was soll man als Grüner dazu sagen, dass das erste Bündnis zwischen Luzern und den Waldstäten dazu diente, die luzernische Abholzung von Wäldern und Übernutzung natürlicher Ressourcen zu schützen?

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