Interview von Gian Waldvogel
Michael Töngi vertritt die Grünen Anliegen in der Verkehrskommission des Nationalrates. Für den Präsidenten von VCS Luzern ist klar: Das viele Geld für neue Strassen bedroht das Klima und die Lebensqualität in der Schweiz. Linderung könnte unter anderem die Digitalisierung schaffen, doch die Früchte des Silicon Valley sind mit Vorsicht zu geniessen.
Gian Waldvogel: Du kommst gerade aus der Verkehrskommission, die über weitere Strassenbauprojekte entscheiden hat – was ist dein Eindruck?
Michael: Statt einer kritischen Überprüfung der vorgeschlagenen Projekte – zu denen auch der Bypass gehört – hat die Kommission weitere Strassenprojekte in die Liste aufgenommen. So etwa die Umfahrung Näfels, obwohl selbst der Kanton Glarus die Realisierung nicht als dringlich erachtet. Ein unglaublicher Wettbewerb zu Gunsten neuer Strassen!
Gian: Der West-Ast in Biel, Bypass und Spange Nord in Luzern, eine zweistöckige Autobahn im Limmattal, um nur einige Beispiele zu nennen: Woher kommt dieser grosse Druck, derartige Betonwalzen durch urbane Gebiete zu führen?
Michael: Die Verkehrspolitik in Bern ist im Strassenbereich weiter auf Wachstum ausgerichtet. Das ist der Fluch des Strassenverkehrsfonds, den das Volk unterstützt hat: Dank dem NAF sprudelt das Geld, das jetzt in neue Projekte gebuttert werden kann. Zudem herrscht ein Verteilkampf zwischen den Regionen, alle möchten ein Stück des grossen Kuchens abbekommen. Deshalb setzen sich viele Politiker für Nationalstrassenprojekte in ihrem Kanton ein.
Gian: Ist diese massive Förderung der Strasseninfrastruktur auf Bundesebene denn vereinbar mit dem Klimaabkommen von Paris und der Energiestrategie des Bundesrates?
Michael: Der Bund argumentiert relativ lapidar, dass auch Elektroautos Strassen brauchen. Aber es ist klar, dass ein fossilfreier Individualverkehr fast nicht zu erreichen ist, wenn der Verkehr auf der Autobahn weiterhin jährlich um zwei Prozent zunimmt . Mit solchen Zuwachsraten wird auch in Zukunft eine Mehrheit der Fahrzeuge mit fossilen Brennstoffen angetrieben, weil die Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Quellen kaum mit diesem Zuwachs mithalten kann.
Gian: Sind denn Elektromobile die Lösung, um einen klimaverträglichen Autoverkehr sicherzustellen?
Michael: Sie sind Teil der Lösung, aber nicht die ganze. Wir müssen die Mobilität auch begrenzen und gleichzeitig ein Umsteigen auf effizienten öffentlichen Verkehr fördern. Hinzu kommen die Chancen aus der Digitalisierung, die beispielsweise ermöglichen, dass sich mehr Leute ein Fahrzeug teilen. Ganz wichtig ist, dass man die Entwicklung und Forschung in diesem Bereich nicht einfach Google und Co. überlässt.
Gian: Für die Zukunft der Mobilität ist Big Data also ein zweischneidiges Schwert?
Michael: Die Digitalisierung der Strasse, wie sie die grossen Konzerne vorantreiben, kann auch zur Folge haben, dass sogar noch mehr Autos auf der Strasse fahren. Etwa, weil der Strassenraum in der Schweiz noch effizienter genutzt werden könnte. Hier muss die Schweiz eigene Mittel investieren, um die Chancen der Digitalisierung im Sinne einer umweltfreundlicheren und platzsparenden Mobilität zu nutzen.
Gian: Du hast im September einen Vorstoss eingereicht, der vom Bundesrat Antworten einfordert, wie bei Strassenprojekten die Verträglichkeit für Anwohner und Siedlungsgebiete berücksichtigt wird. Fehlt es auf Bundesebene und in der Verkehrskommission an der Sensibilität für die Wünsche der Stadt- und Agglomerationsbewohner?
Michael: Durchaus. Es besteht grosser Nachholbedarf, die Städte sind in Bundesbern nicht gut vertreten. Ganz im Gegenteil zur Autolobby, die auch in der Verkehrskommission des Nationalrates ihre Anliegen effektiv vertritt.
Gian: Der Bypass wurde vom Bundesrat gutgeheissen, die Finanzierung steht bereits. Heisst das: Game Over für die Kritiker in Luzern?
Michael: Wir müssen realistisch sein: Das Projekt zu verhindern ist extrem schwierig. Gerade das Südportal ist jedoch für Kriens im derzeitigen Projektstadium völlig unbefriedigend. Ich engagiere mich dafür, dass in Kriens zumindest eine erträgliche Lösung gefunden wird mit einer längeren Überdachung der zehnspurigen Autobahn. Der Bund nimmt zu wenig Rücksicht auf die Bedingungen vor Ort und vergibt eine grosse Chance. Wenn eine Infrastruktur schon dermassen ausgebaut wird, so muss doch ein echter Mehrwert für die Ansässigen entstehen. Der Einbezug der Standortgemeinde geschieht jedoch nicht automatisch, er muss eingefordert werden.
Gian: Wie beurteilst du die Rolle der Luzerner Regierung?
Michael: Die Krienserinnen und Krienser sind der Meinung, dass sich der Regierungsrat viel stärker für eine längere Eindachung hätte einsetzen müssen. Leider erstaunt mich diese Kritik nicht: Wie der Kanton beim Autobahnzubringer Spange Nord mit den Quartierbewohnern umging, ist ebenfalls deplorabel. Er musste zuerst vom Kantonsrat zu einem Dialog verknurrt werden.
Gian: Bisher war das Kantonsprojekt Spange Nord mit dem Bundesprojekt Bypass gekoppelt, so haben sowohl der Regierungsrat als auch das Astra kommuniziert. Was geschieht, wenn die Spange Nord abgelehnt wird von der Bevölkerung oder gar zuvor von der Regierung fallengelassen wird – würde der Bypass dennoch umgesetzt?
Michael: Ich gehe davon aus. Das Geld ist vorhanden, andere baureife Projekte nicht in Sicht und da ist die Versuchung gross, den Bypass so oder so zu realisieren. Inzwischen versucht das Bundesamt für Strassen das 1,7-Milliardenprojekt damit zu legitimieren, dass bei einer Sanierung der Stadtautobahn eine parallele Infrastruktur notwendig sei. Dabei ist der City-Ring gerade erst erneuert worden. Und: Sollen wir denn jetzt alle Infrastrukturen verdoppeln, damit wir sie dereinst sanieren können?
Gian: Ein zentrales Argument für zusätzliche Strassenabschnitte ist jeweils die Engpassbereinigung, respektive weniger Stau. Aber sind denn weitere Fahrspuren ein praktikables Rezept gegen den Pendlerstress auf der Strasse?
Michael: Überhaupt nicht. Immer wenn ein Autobahnabschnitt erweitert wird, kommt es ein paar Kilometer weiter zu einem neuen Engpass. Es ist nun mal einfach so, dass mehr Strassen auch zu mehr Verkehr führen. Bestes Beispiel ist die A4- oder der Rontalzubringer. Kaum gebaut, waren die Strassen in den umliegenden Gemeinden innert kürzester Zeit während den Stosszeiten wieder überlastet.
Gian: Gerade von bürgerlicher Seite wird wiederholt betont, dass man Schiene und Strasse nicht gegeneinander ausspielen soll. Macht dieser Dualismus Sinn oder sollte konsequenter auf Bus und Zug gesetzt werden?
Michael: Ich gehörte noch nie zu diesem Club, der dieses Credo predigte. Ich bin kein verbohrter Autogegner, es gilt jedoch die grösseren Zusammenhänge zu berücksichtigen. In der kleinräumigen Schweiz müssen wir den Verkehr platzsparend und verträglich für die Bevölkerung organisieren. Auf der Landschaft wird das Auto weiterhin eine Rolle spielen, aber in den grossen Ballungszentren sind nun einmal Zug, Bus und das Velo viel sinnvoller. Machen wir deren Vorteile nicht mit neuen grossen Infrastrukturen für den Autoverkehr kaputt.