Menschenrechte wahren – Demokratie schützen: Nein zur SVP-Initiative

Lassen wir uns kein Sand in die Augen streuen. So säuselnd nett wie die Selbstbestimmungsinitiative im Abstimmungskampf daherkommt, so brandgefährlich ist ihr Inhalt. Und das aus mehreren Gründen.

Die Demokratie ist nur im Rechtsstaat garantiert

Ich stehe jeden Monat für eine Abstimmung oder zum Unterschriftensammeln auf der Strasse – die direkte Demokratie ist mir wichtig und hat unser politisches Zusammenleben stark geprägt. Aber ich habe gelernt, dass sich die Demokratie an rechtsstaatliche Regeln halten muss. So richtig bewusst wurde mir dies in der Einbürgerungsfrage, über die wir vor bald 20 Jahren im Kanton Luzern heftig diskutierten. Wir können durchaus an der Urne über die Regeln der Einbürgerung abstimmen. Wir können aber nicht über einzelne Gesuche entscheiden. Es war übel, wie in Emmen 16’000 Stimmberechtigte bei einem Urnengang über 50 Einbürgerungsgesuche zu entscheiden hatten. Die Gesuchstellerinnen mussten sich ausstellen, es gab keinen Schutz der Privatsphäre, aber auch keine angemessene Information für die Stimmberechtigten. Ein solcher Urnengang wird niemandem gerecht. So können wir auch zu Recht nicht über einzelne Baubewilligungen abstimmen oder über Bereiche, die vom übergeordneten Recht schon geregelt sind. Hält sich die direkte Demokratie nicht mehr an solche Regeln, so wird sie willkürlich und widersprüchlich.

Völkerrecht ist kein Wunschkonzert

Die SVP will unser Recht vor Völkerrecht setzen. Das mag selbstbestimmt klingen. Doch was ist die Konsequenz? Macht es jeder Staat nach diesem Rezept, gibt es kein Völkerrecht mehr. Oft wird dazu gesagt, die USA würden sich auch nicht an internationale Vereinbarungen halten. Das mag stimmen. Die Schweiz als Kleinstaat ist aber darauf angewiesen, dass international keine Willkür herrscht und wir uns auf Abmachungen verlassen können.

Die Sache mit den Menschenrechten

Ja, die SVP hat Recht: Die Menschenrechte stehen auch in unserer Verfassung. Wer aber in der Schweiz ein Menschenrecht einklagen will, muss dies je nach Fall auf Grund der Europäischen Menschenrechtskonvention tun. Denn: Niemand kann in der Schweiz etwas einklagen, was in der Verfassung steht. Sie ist zwar ein stolzes Stück Schweiz, aber sie entfaltet nur eine Wirkung, wenn ihr Inhalt auch in einem Gesetz steht. Nur die Einhaltung von Gesetzen können wir in der Schweiz einklagen. Und selbstverständlich wäre eine Kündigung der Menschenrechtskonvention durch die Schweiz ein absolut fatales Zeichen für alle autoritären Regimes die sich in Europa und in der Welt tummeln.

Es lebe der Pragmatismus

In meiner Jugend – ok, manchmal auch heute noch – verfluche ich den langweiligen Pragmatismus der Schweiz. Wir suchen Kompromisse, brauchen Ewigkeiten für eine Weiterentwicklung, machen hier einen Vertrag und schlängeln uns dort weiter. Die SVP will mit dem Holzhammer diese Beweglichkeit zerstören und überall Swiss first drauf schreiben. Diese Kraftmeierei gefällt mir nicht. Wie sagte der altgediente italienische Politiker Romano Prodi zu den grossen Sprüchen der italienischen Regierung? „Per mostrare i muscoli bisogna averli.“ – Um Muskeln zu zeigen, muss man sie auch haben.

Altes Spiel, neue Runde

Die SVP erzählt uns im Abstimmungskampf, man müsse keine oder fast keine Verträge kündigen, es passiere eigentlich gar nicht viel. Aufgepasst – dieses Spiel kennen wir. Vor der Masseneinwanderungsinitiative behauptete diese Partei auch, die Personenfreizügigkeit müsse bei einer Annahme nicht gekündigt werden. Genau so hat das Parlament die Initiative dann mit einem Inländervorrang umgesetzt. Die SVP schäumte vor Wut und brandmarkt das ganze Parlament als Verräter. Das würde auch bei einer Annahme der Selbstbestimmungsinitiative passieren: Würde des Parlament die Initiative milde umsetzen, gäbe es sicherlich den Vorwurf, der Volkswillen werde missachtet. Das Gscharei ist absehbar. Ich möchte weder die Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention noch eine Überprüfung von mehreren Tausend Verträgen riskieren.

Motiviert viele Leute zum Abstimmen. Eine Annahme bringt die Schweiz und uns unnötig und massiv in die Bredouille.

 

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