Die Steuervorlage (STAF), welche am 19. Mai zur Abstimmung kommt, schafft Steuerprivilegien ab. Und ersetzt diese durch neue Steuerabzüge und weitere Steuersenkungen, welche die öffentliche Hand über zwei Milliarden Franken kosten werden. Die Folge sind Sparmassnahmen, wie sie im Kanton Luzern wohlbekannt sind. Profitieren werden in erster Linie ausländische Aktionär*Innen und Steuerberater, wie Michael Töngi im Interview verrät.
Gian Waldvogel: Du sprichst dich gegen das Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF) aus – obwohl der Kanton Luzern hierdurch mit rund 38 Millionen Franken an Mehreinnahmen aus der Bundeskasse rechnen kann. Bist du gegen mehr Mittel für die Luzerner Staatskasse?
Michael Töngi: Als Nationalrat kann ich nicht einfach die Kantonsperspektive einnehmen – ich betrachte die Auswirkungen auf die Gesamtschweiz. Es stimmt, für Luzern würde es kurzfristig mehr Geld geben. Mittelfristig ist jedoch nicht gesichert, ob diese Rechnung aufgeht. Denn es werden mit der Steuerreform zahlreiche neue Schlupflöcher geöffnet. Der Kanton beteuert zwar, er werde diese gar nicht anwenden.
Aber?
Sobald die umliegenden Kantone die neuen Instrumente anwenden werden, bin ich sicher, dass auch Luzern nachziehen wird. Dann befinden wir uns wieder in der üblichen Dumping-Spirale. Mit dem Resultat, dass alle Kantone weniger Steuereinnahmen haben. Hinzu kommt, dass der Bund eine Milliarde an die Kantone verteilt. Das Geld fehlt dann in seiner eigenen Kasse – das Geld wird ja nicht vom lieben Gott gedruckt. Mit der Folge, dass auf eidgenössischer Ebene gespart wird. In den letzten Jahren hatten wir da diverse Sparrunden, inzwischen haben wir an jeder Session Mittel in einem Bereich gestrichen.
Mit der STAF würden internationale Domizil-Gesellschaften etwas stärker besteuert und kleinere sowie mittlere Schweizer KMUs würden entlastet. Ist das nicht ein fairer Deal?
Dass alle gleich besteuert werden, ist völlig richtig. Die Frage ist: Wo ist das Mass. Die Schwierigkeit ist, dass wir zwar die internationalen Gesellschaften höher besteuern, am Schluss gesamthaft aber weniger Steuereinnahmen haben. Denn es sind neue Steueroptimierungsinstrumenten wie beispielsweise Abzüge auf Forschung und Entwicklung sowie der Patentbox sowie andererseits weitgehende Senkungen der Unternehmenssteuern vorgesehen. Am Schluss werden alle Kantone ihre Gewinnsteuern auf 12 bis 13 Prozent senken. Das ist das Konzept dieser Reform.
Insgesamt kostet die STAF Bund, Kantone und Gemeinden 2.1 Milliarden Franken. Was sind die konkreten Folgen dieser Ausfälle?
Das wird letztlich zu einem weiteren Abbau des Service Public führen. Im Kanton Luzern wissen wir ja, was das bedeutet. Bildung, soziale Wohlfahrt, öffentlicher Verkehr – da fehlen dann die Einnahmen. Notabene befinden wir uns in einer Hochkonjunktur: Ob das Geld in ein paar Jahren dann auch noch so gut fliesst wie heute, ist fraglich. Das ist eine steile Strategie. Was geschieht, wenn die Gewinnsteuern von Unternehmen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zusätzlich einbrechen?
Gewerbe und Finanzsektor haben offensichtlich sehr gut lobbyiert.
Die Mehrzahl der Gewerbebetriebe zahlt heute sowieso fast keine Steuern – ein grosser Teil der Unternehmenssteuern kommen von sehr wenigen Firmen. Sehr viele KMUs sind per se nicht betroffen, weil sie sehr wenig Gewinn erwirtschaften. Es profitieren vor allem die Aktionäre durch die Dividendenausschüttung. Pro Jahr werden 100 Milliarden Dividenden ausgeschüttet, 75 Prozent davon fliesst ins Ausland. Von den Steuergeschenken profitieren in erster Linie ausländische Investoren durch höhere Renditen.
Die internationale Gemeinschaft pocht auf die Abschaffung der Steuerprivilegien für Holdinggesellschaften – ohne Reform wird die Schweiz möglicherweise eine Schwarze Liste gesetzt und hält unfaire Privilegien am Leben.
Die Aufhebung dieser Sonderbesteuerung ist unbestritten. Wir müssen eine neue Vorlage ohne eine masslose und unnötige Senkung der Unternehmenssteuern ausschaffen. Das ist möglich und in kurzer Zeit umsetzbar. Man darf sich nicht erpressen lassen und einfach jede Vorlage annehmen, weil die Schwarze Liste winkt. Es gilt den Inhalt der STAF zu betrachten und abwägen, ob es sich dabei um ein zukunftsfähiges System handelt oder nicht. Gewisse Instrumente der Reform sind international umstritten. Dazu gehört die beispielsweise die Patentbox. Zwar wird sie von der OECD derzeit noch anerkannt, doch Deutschland spricht sich klar dagegen ist. Diese jetzt einzuführen, ist eigentlich nicht sinnvoll.
Mit dem Risiko, dass wir die Patentbox in zehn Jahren bereits wieder abschaffen müssen.
Genau. Kommt hinzu, dass es inzwischen durchaus mächtige Players gibt, die dem Steuerdumping einen Riegel schieben. Dazu gehört die USA: Sie besteuert nun Firmen nach, die im Ausland zu gering besteuert wurden. Die vorgesehenen Tiefsteuern in den Kantonen hätten zur Folge, dass ein Teil der Steuern nach Washington fliesst. Es ist nicht besonders schlau, wenn wir Steuersubstrat in die USA zu exportieren.
Dem Steuerdumping wird also zunehmend der Riegel geschoben?
Durchaus – und es würde der Schweiz gut anstehen, wenn sie das System nicht weiter ausreizt.
Aber mit der Patentbox und Abzügen auf Forschung und Entwicklung fördern wir ja auch Innovation in der Schweiz und es werden attraktive Stellen geschaffen. Davon profitieren wir.
Der Standort Schweiz ist bereit heute sehr gut aufgestellt für Firmen. Es ist fraglich, ob solche zusätzlichen Anreize notwendig sind. Das sind äusserst komplexe Vehikel. Steuerexperten haben mir gesagt, dass diese Abzüge in erster Linie neue Geschäftsfelder für Steueranwälte schaffen. Hinzu kommt, dass der Begriff der Entwicklung völlig unklar ist. Wenn ein Bäcker eine Maschine kauft, welche die Gipfeli rückwärts statt vorwärts wickelt, ist das eine Entwicklung, die man zu 150 Prozent von den Steuern abziehen kann. Der Begriff Entwicklung ist einfach nicht ausreichend definiert. Diese komplexen Instrumente schaffen viel Bürokratie in den Steuerämtern. Das steht diametral zur Forderung der liberalen Kräfte, das Steuersystem zu vereinfachen.
Was ist die Alternative zum vorliegenden Paket?
Wir können die Sonderrechte einfach abschaffen. Denn sie betreffen nur die Kantone, auf eidgenössischer Ebene zahlten diese Unternehmen mit Sonderstatus schon immer normal Steuern.
Mit dem Risiko, dass die Schweiz verlassen.
Was ist die Alternative, wohin sollen diese Firmen gehen? Die Steuerbelastung ist weiterhin mit normalen Steuersätzen sehr massvoll in der Schweiz. Und bei einigen ist es auch richtig, wenn sie anderswo ihre Steuern bezahlen würden.
Dies ist ein Kritikpunkt am Schweizer Steuerdumping, der durch die STAF verstärkt wird: Die vielen Gewinne, die hier besteuert werden, fehlen in anderen Ländern.
Es ist ein globales Problem, dass sehr viele Gewinne nicht dort besteuert werden, wo sie entstehen. Der ursprüngliche Gedanke dieser Steuerprivilegien war ja, dass diese Unternehmen unsere Infrastruktur kaum belasten. Dass das sehr wohl in anderen, oft ärmeren Staat, der Fall ist, wurde nicht berücksichtigt. Dieser ungebremste Steuerwettbewerb schafft international viele Verlierer. Die reiche Schweiz profitiert auf Kosten von Entwicklungs- und Schwellenländern.
Was sind das für Volksvertreter*Innen, die Gesetze für Unternehmen und privilegierte Privatpersonen und gleichzeitig bei den Schwächsten immer noch mehr sparen?
Diejenigen, welche gewählt wurden (schmunzelt). Es besteht schon eine Tendenz, dass sich die Bevölkerung einschüchtern lässt von der Drohung der Bürgerlichen, dass ohne Steuererleichterungen Arbeitsplätze verloren gingen. Die Versuchung ist gross, die Folgen für andere auszublenden. Zudem ist die Verbandelung zwischen den Bürgerlichen Parteien und der Steuerberatungs-Branche schon sehr gross.
Es gibt mir Geld für die AHV – das Zückerli an die Linke.
Ich begrüsse die Stärkung der AHV – sie wird jedoch unter dem falschen Titel verkauft und ist in diesem sachfremden Packet nicht statthaft. Die STAF ist kein Kompromiss, wie das immer von den Architekten betont wird. Es wäre ein Kompromiss, wenn die Unternehmen und der Staat einen Beitrag leisten. Bei der Vorlage bezahlt jedoch zweimal die öffentliche Hand. Bund, Kantone und Gemeinden erhalten weniger Steuereinnahmen und der Bund zahlt mehr Geld in die AHV ein. Das müsste man gegenüber der Öffentlichkeit auch so kommunizieren. Es handelt sich auch nicht um eine AHV-Reform sondern eine Steuerreform, das ist der Kern der STAF. Und solange uns solche Steuerdumping-Massnahmen vorgelegt werden, müssen wir nein sagen. Egal, ob das Paket den Namen USR III oder STAF trägt.
Weitere Informationen zur Vorlage
Grünen Schweiz mit Nein-Parole: Die Argumente