Bahnausbau: Etwas Verzögerung oder ist da schon was entgleist?

Im letzten Herbst wurden die neuen Verkehrsperspektiven publiziert. Noch ist nicht die Verkehrswende angesagt, aber ein Trend hin zu öV und Veloverkehr. Bis 2050 soll im Basiszenario der öV Anteil von heute 21 Prozent auf 24 Prozent ansteigen. Gleichzeitig ist klar: Das genügt noch nicht, um die Klimaziele zu erreichen.

Für eine klimaneutrale Schweiz brauchen wir einiges mehr: Eine Studie von Infras zeigt auf, dass bis 2050 der öV-Anteil am Verkehr verdoppelt werden müsste. Dies bedeutet vor allem einen enormen Ausbau im Betrieb, verkehrslenkende Massnahmen, aber ohne Infrastruktur wird dies nicht bewältigbar sein.

Die Leitplanken zur weiteren Planung der Schieneninfrastruktur in der Schweiz sind also gesetzt. Der Bundesrat hat seine Vision im Juni dieses Jahres mit dem Bericht Perspektive Bahn 2050 veröffentlicht. Der Bundesrat hat darin verschiedene Varianten für eine Weiterentwicklung verglichen und kommt zum Schluss, dass mit einem Ausbau des Bahnangebots im Agglomerationsverkehr der höchste Nutzen erreicht werden kann. Ein Ausbau des Fernverkehrs würde zwar noch mehr Personenkilometer im öV ermöglichen, doch das würde auch zu vielen zusätzliche Fahrten führen – also Mehrverkehr. Im Fokus muss aber das Umsteigen stehen. Der Bundesrat hält zugleich fest, dass es mit dem Bahnausbau nicht getan ist, sondern weitere Massnahmen und Regulierungen nötig sind. Ohne diese bestehe sogar die Gefahr, dass der Bahnausbau nicht den erwünschten Effekt erzielen könne. Verständlich, dass diese Massnahmen nicht in diesem Infrastruktur-Bericht genannt werden, aber sie müssen geliefert werden (und politisch beschlossen werden…). Das Warten auf den weiteren Fortgang bei Mobility-Pricing lässt grüssen.

Der Fokus auf den Agglomerationsverkehr ist richtig. Wir müssen möglichst viele Personen auf den öV bringen, das ist viel wichtiger, als auf weiten Strecken noch etwas mehr Zeitgewinn zu erreichen.

So weit so mässig bis gut. Der zweite Teil des Berichts löst dann etwas mehr Stirnrunzeln aus. Er beschäftigt sich mit dem Stand der Ausbauprogramme und den weiteren Schritten. Wenn man diesen Bericht liest, fragt man sich, ob der Ausbau der Infrastruktur noch einigermassen auf Kurs ist oder schon entgleist ist. Wie ein roter Faden zieht sich die Frage der Verzögerungen von Projekten und Aufschieben weiterer Entscheide durch das Dokument. Richtig, wenn jetzt viele Fragen aufgeworfen werden, aber sie brauchen auch Antworten und diese sind erst für später in Aussicht gestellt.

Verzögerung, soweit das Auge reicht

Gemäss Bericht zeichnet sich bei der Umsetzung des Angebotskonzepts 2035 eine Verzögerung von drei bis fünf Jahre ab. Wir konnten schon lesen, dass einige Grossprojekte wie der Zimmerbergbasistunnel oder am Genfersee einige Jahre später angefangen werden können. Ja noch schlimmer: An anderer Stelle wird die Frage aufgeworfen, ob dieses Angebotskonzept überhaupt realisiert werden kann, weil es nach neuen Einschätzungen der SBB keinen stabilen Fahrplan ermöglicht. Bei Bauprojekten sind Verzögerungen keine Überraschung, doch ist unklar, welchen Handorgel-Effekt diese auf den ganzen Ausbau haben. Kumulieren sich die Verzögerungen? Verunmöglichen sie andere Projekte? Wann gibt es eine neue Zeitplanung? Und: Was sind die Konsequenzen aus der SBB-Einschätzung zur Fahrplanstabilität?

Wie geht es mit der Planung weiter?

Unklar bis sehr beunruhigend ist die weitere Planung. Bisher ging man davon aus, dass der nächste Ausbauschritt 2026 im Parlament sein wird, dies wurde 2019 auch explizit im Beschlussestext zum Ausbauschritt 2035 von den Räten beschlossen, aufgezählt sind mehrere Projekte, die in diesem nächsten Ausbauschritt geprüft werden müssen, unter anderem der Durchgangsbahnhof Luzern. Nun aber schreibt der Bundesrat, dass in einer Botschaft 2026 das Angebotskonzept 2035 weiterentwickelt werde und erste Etappen von einzelnen Massnahmen gemäss dem Beschluss von 2019 realisiert würden. Auch das ist ein Pluspunkt für den Durchgangsbahnhof Luzern – aber von einem eigentlichen Ausbauschritt ist keine Rede mehr. Dieser wird auf das Jahr 2030 verschoben. Das entspricht aber nicht mehr den Parlamentsbeschlüssen von 2019 – wie gehen wir damit um?

Genauigkeit der Planung erhöhen

Ein Ziel muss sein, dass die Grundlagen für die politischen Entscheide präziser werden. Eine Verteuerung eines Projektes wie beim Zimmerbergtunnel auf Grund von neuen Sicherheitsvorschriften sollte nicht passieren. Weshalb war das beim Beschluss nicht klar? Sind die Kostenschätzungen und Projekte zu rudimentär? Wo müssten Planungskompetenzen gestärkt werden?

Wer bestimmt den Takt des Ausbaus?

An mehreren Stellen schreibt der Bundesrat, dass «gemäss Aussagen der SBB» bis 2033 in ihrem Netz keine neuen Bauprojekte mit Netzbezug gestartet werden können. Sicherlich, die SBB kennen ihr Netz und vor allem die Schwierigkeiten von gleichzeitigem Bauen und Aufrechterhaltung des Betriebs am besten. Gleichzeitig hat die Politik Ausbauschritte beschlossen und die Verwaltung hat sie vorbereitet und muss sie umsetzen. Sind nun Verwaltung und Bundesrat ebenfalls der Meinung, dass keine grösseren Projekte auf dem bestehenden Netz begonnen werden können? Überlässt man faktisch die Beurteilung darüber den SBB? Die Problematik, dass es immer schwieriger wird, im bestehenden Netz grössere Eingriffe zu machen, wurde in den Medien zwar schon diskutiert, aber die Konsequenzen daraus sind überhaupt nicht klar.

Und für die Luzerner*innen: Gibt es Projekte ohne Netzbezug?

Ja klar – der Dreilindentunnel zum Durchgangsbahnhof Luzern kann zum Beispiel gebaut werden, ohne den Bahnbetrieb zu tangieren. Er beeinflusst den eh schon schwierigen Bahnbetrieb in Luzern nicht. Das aber möchten wir gerne bestätigt erhalten. Und nicht zu vergessen: In anderen Regionen wie Zürich oder am Genfersee ist der schwierige Bahnbetrieb bzw. der instabile Fahrplan auch dem vorangegangen Angebotsausbau geschuldet. In Luzern dagegen gab ausser der Zentralbahn keine Infrastrukturausbauten und auch nur unterdurchschnittliche Angebotserweiterungen.

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