Auf der schwarzen Liste bis zum Tod

Mehrere Medien berichteten über einen HIV-Patienten, dessen Behandlungskosten nicht mehr von der Krankenkasse übernommen wurde, da er auf der schwarzen Liste war. Ein Skandal, der zum Tod dieser Person führte. Die betroffene Krankenkasse äussert sich vage, sie habe keine Vergütung sprechen könne. Das sei nur möglich, wenn es sich um einen Notfall handle.

Auch der Kanton Luzern kennt diese unsägliche schwarze Liste. Wer die Krankenkassenprämie nicht bezahlt, nicht bezahlen kann, kommt auf die Liste und erhält nur noch die wichtigsten medizinischen Hilfestellungen. Offensichtlich sind diese derart restriktiv, dass sie auch zum Tod eines Menschen führen können. Wir Grünen haben sich gegen die Einführung dieser schwarzen Liste gewehrt. Kantonsrätin Christina Reusser hat 2015 ihre Abschaffung verlangt, nachdem medizinische Probleme bekannt wurden, aber auch administrative Fehlleistungen. Damals antwortete der Regierungsrat auf die bekannt gewordenen Fälle von Menschen, die nicht behandelt wurden, sehr lapidar: “ Ob die Schilderungen jedoch tatsächlich zutreffen, kann nicht abgeklärt werden, da die dafür notwendigen Einzelheiten nicht bekannt sind.“

Das Festhalten des Kantons Luzern an der schwarzen Liste ist unverständlich. Gut, hat Christina Reusser bereits im März eine Überprüfung verlangt. Hoffentlich belässt es der Regierungsrat dieses Mal nicht bei nichtssagenden Formeln.

 

Überwachung heizt Misstrauensdebatte an

Die NZZ am Sonntag kommentiert heute, dass die Überwachung von Sozialhilfebezüger und die Verfolgung von Fehlbaren letztlich das Vertrauen in das Sozialwesen stärke. Die Argumentation ist  altbekannt, aus meiner Sicht aber falsch.

Selbstverständlich gehört zu jedem System auch eine Kontrolle und eine Sanktionierung von Missbräuchen. Die neuen Überwachungsmethoden im Sozialversicherungsgesetz gehen aber viel zu weit. Kein Wunder, äussert sich die NZZ auch nicht zu den konkreten Massnahmen. Wer ohne Augenmass und ohne Respekt auf das Recht auf Privatsphäre Überwachungen zulässt, heizt die Misstrauensdebatte an, statt dass er sie beruhigt.

Die Argumentation ist aber auch merkwürdig einseitig. In anderen Bereichen wird die Verhältnismässigkeit viel stärker gewichtet. Man könnte ja zum Beispiel, um das Vertrauen in unser Steuersystem noch etwas stärken, auch noch weitere Massnahmen ergreifen:

  • Wer Sanierungskosten bei den Steuern abzieht, muss damit rechnen, dass ein Privatdetektiv von der Strasse aus ins traute Heim hineinfotografiert um festzustellen, ob die Sanierung dem entspricht, was auf der Steuererklärung eingegeben wurde. War es wirklich Unterhalt oder eine Neuinvestition, die nicht von den Steuern abgezogen werden darf?
  • Wer auswärts isst, wird kontrolliert, ob er dies tatsächlich so oft macht, wie er es angibt.
  • Beim Besuch von Fremdsprachenkursen wird bei der Firma nachgefragt, ob diese Fremdsprache tatsächlich gebraucht wird.
  • Und selbstverständlich heben wir das Bankgeheimnnis auf, es könnte ja ein Konto verschwiegen worden sein.

Gleiches gilt im übrigen auch für Bauabnahmen, die meines Wissens immer vorangekündigt werden. Wer bei einem Umbau etwas Illegales eingebaut hat, hat dann noch Zeit, dies zu kaschieren.

Völlig einverstanden, wer nun sagt, dass das übertrieben wäre und eine Bevormundung der Menschen. Aber genau so, wie bei den Steuern klar sein muss, dass Massnahmen verhältnismässig sein müssen, so müssen sie dies auch in anderen Bereichen sein. Die NZZ als Hüterin des liberalen Rechtsstaates dürfte da ruhig etwas sensibler sein.

Wohnkosten: Nationalrat verkennt Realitäten

Seit vielen Jahren diskutiert die Politik über die Mietzinsmaxima bei den Ergänzungsleistungen. Heute finanziert die EL bei Ehepaaren nur gerade eine monatliche Miete von 1250 Franken (mit Nebenkosten!) und bei Alleinstehenden von 1100 Franken.  Bei vielen Personen reicht das längst nicht mehr für die Wohnkosten.  Kein Wunder: Der Wert wurde seit 2001 nicht mehr erhöht – die Mieten stiegen aber seither um 20 Prozent. Der Bundesrat hat mit der Revision der Ergänzungsleistungen eine moderate Erhöhung vorgeschlagen. Sie hätte nicht einmal die bisher aufgelaufene Teuerung ausgeglichen.

Doch der Nationalrat wollte heute  nicht einmal diese Erhöhung genehmigt. Das Mietzinsmaxima soll in den Ballungszentren gerade einmal um 100 Franken erhöht werden, in den anderen Regionen wird sie überhaupt nicht erhöht.

Das ist eine Ohrfeige an alle Mieterinnen und Mieter, die immer höhere Mieten bezahlen müssen. Sie sind auf weitere Zuschüsse der Kantone und Gemeinden angewiesen (so sie denn bestehen, in Luzern gibt es sie nicht), sie müssen zur Sozialhilfe oder wegziehen. Denn wer findet für 1300 Franken in einer Stadt für zwei Personen noch eine Wohnung?

Misstrauen und Missbrauchsbewirtschaftung

An meinem ersten Tag im Rat behandelte der Nationalrat eine Vorlage zur Überwachung von Versicherten. Nach einem Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte musste eine Rechtsgrundlage geschaffen werden, sie fehlte bisher. Ich stehe Observationen skeptisch gegenüber, wir haben ein eingespieltes Verfahren zu Bestimmung, wer Anrecht auf Sozialversicherungsbeiträge wie die IV hat, das Verfahren wurde laufend verschärft.

Über eine Überwachung kann diskutiert werden, wenn ganz klare Vorgaben eingehalten bleiben. Rechtstaatlichkeit steht im Vordergrund und der Schutz der Privatsphäre. Durchgesetzt haben sich – leider mit klaren Mehrheiten – die Hardliner. Eine Überwachung kann eine Sachbearbeiterin oder -bearbeiter anordnen, es gibt keine Beschwerdemöglichkeit, überwacht können auch Privatgrundstücke werden und wenn man Pech hat und im Parterre wohnt, dann kann auch gleich noch die Wohnung überwacht werden. Zusätzlich ist auch eine GPS-Überwachung erlaubt: Mit einem Sender, zum Beispiel am Auto montiert,  kann grad noch Tag und Nacht mitverfolgt werden, wo sich jemand bewegt.  Nicht umsonst titelten Zeitungen: „IV-Bezüger sollen strenger überwacht werden als Terrorverdächtige“.  Denn: Selbst der Geheimdienst braucht für eine Überwachung eine gerichtliche Genehmigung.

Missbrauch gibt es in jedem System und es braucht stets Mittel zur Bekämpfung von Missbrauch. Das gehört zum Setting mit geeigneten Mittel und Verhältnismässigkeit.  Die Debatte hinterliess aber den Eindruck, dass es nicht nur um Missbrauchsbekämpfung geht, sondern auch um eine Beackerung der Missbrauchsdebatte.

Wichtiger wäre es, über die Probleme, über den Abbau bei der Invalidenversicherung, Ergänzungsleistungen und Sozialhilfe zu sprechen. Wobei mir auch da nichts Gutes schwant: Die Missbrauchsdebatte schafft die Grundlage für weiteren Abbau.