Schon immer begeisterten Neubaustrecken für die Eisenbahn Planerköpfe. Wie viele Linien wurden geplant, eingezeichnet, einige dann auch gebaut. Wir haben das auch beim Durchgangsbahnhof erlebt: Ein wahres Planungsfieber mit kühnen, interessanten aber auch abstrusen Vorschlägen.
In letzter Zeit gab es einen neuen Schub: Es soll auch in der Schweiz vorwärts gehen mit Hochgeschwindigkeitslinien. So hat kürzlich der Nationalrat gegen den Willen der Grünen einer Motion zugestimmt, die komplett neue Linien verlangt um ähnlich wie im Ausland mit hohen Geschwindigkeiten die Zentren auf neuen Trassen zu verbinden. Das Projekt läuft unter dem Titel Verkehrskreuz Schweiz. Ins gleiche Horn hat der CH-Media-Redaktor Francesco Benini gestossen. Er sieht es als „jämmerliche Leistung“ an, dass die Züge von Basel nach Zürich eine Stunde brauchen. Was schon mal nicht ganz stimmt, denn halbstündlich verkehren Züge in 53 bzw. 54 Minuten. Er fordert zum Beispiel eine Verkürzung der Reisezeit von Zürich nach Bern auf eine halbe Stunde.
Die Promotoren des Verkehrskreuz Schweiz argumentieren mit einem hohen Umsteigeeffekt auf die Bahn, wenn Hochgeschwindigkeitslinien gebaut werden, sie argumentieren mit Zahlen des TGV. Aber stimmt das auch? Zuerst: Ihr Vergleich hinkt massiv. Tatsächlich hat der TGV massiv Leute auf die Bahn gebracht. Die Zahlen lassen aber die Vermutung zu, dass sie auf Linien wie Marseille-Paris oder Bordeaux-Paris hauptsächlich vom Flugzeug auf die Bahn und viel weniger vom Auto auf die Bahn umgestiegen sind. Zwischen Bern und Zürich gibt es schlicht keine Flüge zu verlagern.
Kommen auch sonst mehr Leute auf die Bahn dank Hochgeschwindigkeitszügen? Dieser Frage ist auch der Bund nachgegangen mit seinem Bericht zur Bahn 2050. Er hat darin verschiedene Varianten geprüft. Und er kommt zum Schluss: Ja, Hochgeschwindigkeitszüge bringen mehr Bahnverkehr. Der Anteil des öffentlichen Verkehrs am Modalsplit nimmt zu. Aber: Es ist hauptsächlich zusätzlicher Verkehr. Für die Begründung muss man etwas ausholen. Dieser Anstieg ist aber stark darauf zurückzuführen, dass die Leute bei hohen Bahngeschwindigkeiten ihre Reise- und Pendlergewohnheiten anpassen. Es gibt dann vermehrt Berner*innen, die nicht nach Zürich pendeln, sondern bis nach Winterthur oder noch weiter. Und Luzerner*innen pendeln dann vermehrt nicht nur nach Bern, sondern nach Fribourg und sogar Lausanne wird dann erreichbar. Das bedeutet, die Fahrkilometer in der Bahn nehmen stark zu. Das heisst aber noch nicht, dass auch der Autoverkehr abnimmt. Das Konzept Bahn 2050 empfiehlt deshalb eine Konzentration auf den Ausbau der Bahnleistungen bei kurzen und mittleren Strecken, da hier ein hohes Umsteigepotenzial vorhanden ist. Fernverkehrsstrecken sollen gezielt dort ausgebaut werden, wo die Bahn heute gegenüber dem Auto nicht konkurrenzfähig ist.
Diese Fokussierung ist sinnvoll. Wir erleben dies am Beispiel Luzern. Auf Linien quer durch die Agglomeration ist die Bahn wegen des Kopfbahnhofs sehr lange unterwegs. Paradebeispiel ist die Strecke Emmenbrücke – Ebikon. Gute 7 Kilometer Distanz, mit dem Zug braucht es 20 Minuten und mehr. Kein Wunder, findet der öV in Luzern auch über weitere Strecken auf der Strasse statt, was seinem Tempo aber ebenfalls nicht dienlich ist. Ähnliche Probleme gibt es in anderen Agglomerationen wie etwa dem Genfersee entlang, wo es dann vor allem an Kapazitäten mangelt.
Die Promotoren dieser Hochleistungsstrecken gehen nie auf die Kostenfrage ein. Oder sie argumentieren pauschal, dass eine Neubaustrecke günstiger sei als das Bauen an bestehenden Strecken. Das mag punktuell so sein, wenn zum Beispiel ein Bahnhof umgebaut werden muss – dafür vergessen sie, dass der Nutzen auch kleiner ist, wenn Neubaustrecken nur ganz grosse Zentren verbindet und alle kleinen und mittleren Stationen auf der Seite lässt. Und vor allem: Sie lassen ausser acht, dass wir auch im Bahnbau nur noch mit sehr vielen Auflagen und grossem Widerstand quer durch die Landschaft Neubaulinien verwirklichen könnten. Eine rote Linie ist rasch mal auf der Landkarte eingezeichnet, aber das ist dann von der Realisierung noch etwas weit weg.
Und nur noch als Nebensatz: Der TGV ist in Frankreich ganz klar ein Erfolgsprojekt. Die Bahnpolitik insgesamt aber schon deutlich weniger. Von Strasbourg ist man in 5 Stunden in Bordeaux. Unglaublich! Wer dann aber 200 oder 300 Kilometer ins Innere Frankreichs geht, kommt mit dem öV kaum noch zurück nach Bordeaux und findet nur noch verlassene Bahnhöfe und stillgelegte Geleise vor.
Wer also wirklich etwas fürs Umsteigen und für die Klimabilanz machen will, der setzt sich dafür ein, dass der öV mithilfe eines Bahnausbaus in den Agglomerationen und zwischen den Subzentren massiv gestärkt wird und er oder sie produziert nicht noch mehr Verkehr durch Hochgeschwindigkeitsangebote.