Die wiederentdeckte Liebe zur Geschwindigkeit

Schon immer begeisterten Neubaustrecken für die Eisenbahn Planerköpfe. Wie viele Linien wurden geplant, eingezeichnet, einige dann auch gebaut. Wir haben das auch beim Durchgangsbahnhof erlebt: Ein wahres Planungsfieber mit kühnen, interessanten aber auch abstrusen Vorschlägen.

In letzter Zeit gab es einen neuen Schub: Es soll auch in der Schweiz vorwärts gehen mit Hochgeschwindigkeitslinien. So hat kürzlich der Nationalrat gegen den Willen der Grünen einer Motion zugestimmt, die komplett neue Linien verlangt um ähnlich wie im Ausland mit hohen Geschwindigkeiten die Zentren auf neuen Trassen zu verbinden. Das Projekt läuft unter dem Titel Verkehrskreuz Schweiz. Ins gleiche Horn hat der CH-Media-Redaktor Francesco Benini gestossen. Er sieht es als „jämmerliche Leistung“ an, dass die Züge von Basel nach Zürich eine Stunde brauchen. Was schon mal nicht ganz stimmt, denn halbstündlich verkehren Züge in 53 bzw. 54 Minuten.  Er fordert zum Beispiel eine Verkürzung der Reisezeit von Zürich nach Bern auf eine halbe Stunde.

Die Promotoren des Verkehrskreuz Schweiz argumentieren mit einem hohen Umsteigeeffekt auf die Bahn, wenn Hochgeschwindigkeitslinien gebaut werden, sie argumentieren mit Zahlen des TGV. Aber stimmt das auch? Zuerst: Ihr Vergleich hinkt massiv. Tatsächlich hat der TGV massiv Leute auf die Bahn gebracht. Die Zahlen lassen aber die Vermutung zu, dass sie auf Linien wie Marseille-Paris oder Bordeaux-Paris hauptsächlich vom Flugzeug auf die Bahn und viel weniger vom Auto auf die Bahn umgestiegen sind. Zwischen Bern und Zürich gibt es schlicht keine Flüge zu verlagern.

Kommen auch sonst mehr Leute auf die Bahn dank Hochgeschwindigkeitszügen? Dieser Frage ist auch der Bund nachgegangen mit seinem  Bericht zur Bahn 2050. Er hat darin verschiedene Varianten geprüft. Und er kommt zum Schluss: Ja, Hochgeschwindigkeitszüge bringen mehr Bahnverkehr. Der Anteil des öffentlichen Verkehrs am Modalsplit nimmt zu. Aber: Es ist hauptsächlich zusätzlicher Verkehr. Für die Begründung muss man etwas ausholen. Dieser Anstieg ist aber stark darauf zurückzuführen, dass die Leute bei hohen Bahngeschwindigkeiten ihre Reise- und Pendlergewohnheiten anpassen. Es gibt dann vermehrt Berner*innen, die nicht nach Zürich pendeln, sondern bis nach Winterthur oder noch weiter. Und Luzerner*innen pendeln dann vermehrt nicht nur nach Bern, sondern nach Fribourg und sogar Lausanne wird dann erreichbar. Das bedeutet, die Fahrkilometer in der Bahn nehmen stark zu. Das heisst aber noch nicht, dass auch der Autoverkehr abnimmt. Das Konzept Bahn 2050 empfiehlt deshalb eine Konzentration auf den Ausbau der Bahnleistungen bei kurzen und mittleren Strecken, da hier ein hohes Umsteigepotenzial vorhanden ist. Fernverkehrsstrecken sollen gezielt dort ausgebaut werden, wo die Bahn heute gegenüber dem Auto nicht konkurrenzfähig ist. 

Diese Fokussierung ist sinnvoll. Wir erleben dies am Beispiel Luzern. Auf Linien quer durch die Agglomeration ist die Bahn wegen des Kopfbahnhofs sehr lange unterwegs. Paradebeispiel ist die Strecke Emmenbrücke – Ebikon. Gute 7 Kilometer Distanz, mit dem Zug braucht es 20 Minuten und mehr. Kein Wunder, findet der öV in Luzern auch über weitere Strecken auf der Strasse statt, was seinem Tempo aber ebenfalls nicht dienlich ist. Ähnliche  Probleme gibt es in anderen Agglomerationen wie etwa dem Genfersee entlang, wo es dann vor allem an Kapazitäten mangelt.

Die Promotoren dieser Hochleistungsstrecken gehen nie auf die Kostenfrage ein. Oder sie argumentieren pauschal, dass eine Neubaustrecke günstiger sei als das Bauen an bestehenden Strecken. Das mag punktuell so sein, wenn zum Beispiel ein Bahnhof umgebaut werden muss – dafür vergessen sie, dass der Nutzen auch kleiner ist, wenn Neubaustrecken nur ganz grosse Zentren verbindet und alle kleinen und mittleren Stationen auf der Seite lässt. Und vor allem: Sie lassen ausser acht, dass wir auch im Bahnbau nur noch mit sehr vielen Auflagen und grossem Widerstand quer durch die Landschaft Neubaulinien verwirklichen könnten. Eine rote Linie ist rasch mal auf der Landkarte eingezeichnet, aber das ist dann von der Realisierung noch etwas weit weg.

Und nur noch als Nebensatz: Der TGV ist in Frankreich ganz klar ein Erfolgsprojekt. Die Bahnpolitik insgesamt aber schon deutlich weniger. Von Strasbourg ist man in 5 Stunden in Bordeaux. Unglaublich! Wer dann aber 200 oder 300 Kilometer ins Innere Frankreichs geht, kommt mit dem öV kaum noch zurück nach Bordeaux und findet nur noch verlassene Bahnhöfe und stillgelegte Geleise vor.

Wer also wirklich etwas fürs Umsteigen und für die Klimabilanz machen will, der setzt sich dafür ein, dass der öV mithilfe eines Bahnausbaus in den Agglomerationen und zwischen den Subzentren massiv gestärkt wird und er oder sie produziert nicht noch mehr Verkehr durch Hochgeschwindigkeitsangebote.

SRG zur Zulieferbetrieb für private Medien degradieren? Ein verhängnisvolle Idee der Avenir Suisse

Avenir Suisse hat in einem neuen Bericht die Medienlandschaft analysiert und einen Vorschlag für eine Umkrempelung der SRG gemacht. Zuerst: Es freut mich, dass auch Avenir Suisse die Idee aufnimmt, gute Medienrecherchen zu unterstützen. Dazu habe ich einen Vorstoss für einen Recherchefonds eingereicht. Nur: Da hören die Gemeinsamkeiten schon auf.

Angefangen bei der Analyse der heutigen Situation. Die Studie negiert die Probleme bei den Medien nicht und es gibt ein paar eindrückliche Grafiken zum Sinkflug an Werbeeinnahmen. Allerdings fehlt dann eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Folgen dieses Schrumpfprozesses. Gleichzeitig wird mit Blick auf das Internet von einem Angebot gesprochen, das ins Unermessliche ansteige, von einer Informationsüberflutung auf Grund von Digitalisierung und Globalisierung. Letzteres ist ein gutes Stichwort: Die Studie bleibt auf einer nationalen Flughöhe hängen, sie schafft nicht den Blick in die Sprachregionen, geschweige denn in lokale Verhältnisse. Tatsächlich kann ich mich über die Resultate zu den Zwischenwahlen in den USA auf unzähligen Kanälen informieren. Etwas schwieriger wird es, wenn ich aus Schweizer Sicht einen guten Kommentar dazu lesen will – doch auch das wird mir geboten, je nachdem hinter einer Bezahlschranke. Wenn ich aber eine gute Berichterstattung zur kommunalen Vorlage über die Krienser Billettsteuer lesen will oder eine Kulturberichterstattung vor Ort suche, dann wird es einiges monotoner. Rund um Luzern berichten mit LZ, zentralplus und dem Regionaljournal noch drei Medien, aber das eine oder andere Thema geht da leicht unter. In vielen Regionen hängt die Berichterstattung von einem Medium ab. In diesen Bereichen hat das Internet zwar den Vertriebskanal erleichtert, aber inhaltlich wenig zu einer Vielfalt beigetragen, die Kommunalpolitik auf der Allmende der digitalen Welt findet nicht statt.

Gleichzeitig negiert dieser nationale Blick die Probleme kleinerer Medien. Es ist nicht falsch, dass grössere Medien mit Bezahlmodi für Onlineangebote, mit Digitalwerbung und eigenen Plattformen im attraktiven Bereich von Jobs oder Wohnungen Fortschritte machen und Umsatz generieren. Kleinere Medien schaffen das aber nicht und sie werden es auch nie schaffen. Ihnen fehlt die Reichweite und für viele Angebote gibt es schlicht keinen lokalen oder regionalen Markt. Die Wohnungsinserate werden in digitaler Form nie zum Entlebucher Anzeiger zurückkehren. Auch die Jobinserate nicht. Die Aussichten dieser Zeitungen sind und bleiben düster.

Aber eigentlich kommt bis zu diesem Punkt der Analyse nichts Unerwartetes. Es ist etwas viel von Markt die Rede, einige richtige Analysen und einige etwas penible Kritiken an irgendwelchen Lokalblättern, die durch Gemeinden gesponsert werden. Nein, der eigentliche Hammer kommt mit der Zerschlagung der SRG, die von Avenir Suisse vorgeschlagen wird. Die SRG soll nur noch produzieren, aber kein eigenes Programm mehr haben. Das funktioniert etwa so: Die SRG produziert nur noch, was die Privaten selber nicht machen. Was der Markt nicht hergibt, darf also die SRG liefern. Diese Inhalte würden dann unter den privaten Medien versteigert, die sie dann publizieren. Damit würden die Aufgaben der SRG massiv zusammenfallen und die Haushaltsabgabe könnte massiv gesenkt werden.

Da stellen sich zuerst praktische Fragen: Wer soll Inhalte per Auktion erwerben, die gemäss Definition vom Markt nicht finanziert werden? Wer interessiert sich für Nischenprodukte, Angebote für ein spezielles Zielpublikum, eben genau für jene Sendungen, die heute die SRG gemäss Konzession recherchiert, produziert und ausstrahlt? Und wenn sie dann jemand «auktioniert», sind es nicht die zahlungskräftigeren Medien, die sich noch etwas mehr Marktanteil verschaffen und kleinere Marktteilnehmer*innen vollends verdrängen? Wie sollen kleiner Medien da mithalten? Gerade sie sind heute darauf angewiesen, dass sie sich zum Beispiel auf die lokale Berichterstattung konzentrieren können und ihre Leser*innen / Zuschauer*innen auf dem nationalen Parkett bei der SRG informieren können.

Aus dieser Frage folgt die grundsätzlichere Kritik an diesem Ansatz: Der Avenir-Suisse-Vorschlag geht davon aus, dass die SRG heute die privaten Medien konkurrenziert und ihnen das Leben schwer macht. Dieser Konkurrenzkampf zwischen Privaten und SRG wird zwar oft zitiert, aber gibt es ihn überhaupt? Mindestens auf dem Werbemarkt hocken alle im gleichen Boot und verlieren Einnahmen um Einnahmen. Mir ist keine Untersuchung bekannt, die zeigen würde, dass die SRG private Medien verdrängt.

Für kleinere Medien ist völlig klar: Die SRG ist komplementär zu ihnen respektive umgekehrt. Beide ergänzen sich, Lokalmedien schaffen eine Berichterstattung dort, wo die SRG dies nicht leisten kann und die SRG berichtet über internationale und nationale Themen. Bei den grösseren Medienhäusern mag diese Situation anders sein. Nur: Sie stehen untereinander bereits in Konkurrenz und die SRG ist eine weitere Playerin auf einem Feld von mehreren Mitspieler*innen. CH Medien, TX Group, Ringier und NZZ können und sollen zu Gunsten der Medienvielfalt damit leben.

Aber auch mit diesen Fragen ist der Kern des Missverständnisses von Avenir Suisse noch nicht geklärt. Avenir Suisse ist der Meinung, dass ein amerikanischer Wissenschaftspodcast über Biodiversität oder ein koreanischer Spielfilm über alternative Lebensentwürfe die politische Debatte in der Schweiz stärker prägen könne als eine Diskussionssendung im heimischen Fernsehen. Kann sein, dass ein herausragendes Produkt weltweit Diskussionen auslöst – und soll auch heute so sein – aber diese Vorstellung geht von einem etwas platten Bild eines Global Village aus. Wir kommen nicht drum rum, vor Ort die Übersetzungs- und Deutungsarbeit zu leisten und die Diskussion fortzuführen und auf unsere Verhältnisse runterzubrechen. Viele Begriffe, Phänomene, Ereignisse werden je nach Ort ganz unterschiedlich gelesen. Wer eine Diskussion aus den USA zu einem Themen eins zu eins in die Schweiz übernimmt, läuft rasch Gefahr, im Gestrüpp zu landen. Genau das ist die Aufgabe unserer heimischen Medien und es ist speziell die Aufgabe der SRG auch die nationale Klammer herzustellen. Und diese nationale Klammer braucht es übrigens nicht nur bei den harten Faktensendungen, sondern auch im kulturellen, sportlichen oder gesellschaftlichen Bereich – aber das wäre nochmals eine andere Diskussion.

Zuletzt, aber wichtig: Bei aller Kritik, die an der SRG immer wieder angebracht wird: Ihre Sendungen sind von hoher Qualität und werden auch vom Publikum so wahrgenommen. Heute ist das Vertrauen in die Medien vielerorts angeknackst. Deshalb ist es absolut zentral, dass die SRG auch weiterhin über eigene Kanäle ihre Inhalte verbreiten kann und das Vertrauen nicht abhängig vom Sendekanal ist.

Bahnausbau: Etwas Verzögerung oder ist da schon was entgleist?

Im letzten Herbst wurden die neuen Verkehrsperspektiven publiziert. Noch ist nicht die Verkehrswende angesagt, aber ein Trend hin zu öV und Veloverkehr. Bis 2050 soll im Basiszenario der öV Anteil von heute 21 Prozent auf 24 Prozent ansteigen. Gleichzeitig ist klar: Das genügt noch nicht, um die Klimaziele zu erreichen.

Für eine klimaneutrale Schweiz brauchen wir einiges mehr: Eine Studie von Infras zeigt auf, dass bis 2050 der öV-Anteil am Verkehr verdoppelt werden müsste. Dies bedeutet vor allem einen enormen Ausbau im Betrieb, verkehrslenkende Massnahmen, aber ohne Infrastruktur wird dies nicht bewältigbar sein.

Die Leitplanken zur weiteren Planung der Schieneninfrastruktur in der Schweiz sind also gesetzt. Der Bundesrat hat seine Vision im Juni dieses Jahres mit dem Bericht Perspektive Bahn 2050 veröffentlicht. Der Bundesrat hat darin verschiedene Varianten für eine Weiterentwicklung verglichen und kommt zum Schluss, dass mit einem Ausbau des Bahnangebots im Agglomerationsverkehr der höchste Nutzen erreicht werden kann. Ein Ausbau des Fernverkehrs würde zwar noch mehr Personenkilometer im öV ermöglichen, doch das würde auch zu vielen zusätzliche Fahrten führen – also Mehrverkehr. Im Fokus muss aber das Umsteigen stehen. Der Bundesrat hält zugleich fest, dass es mit dem Bahnausbau nicht getan ist, sondern weitere Massnahmen und Regulierungen nötig sind. Ohne diese bestehe sogar die Gefahr, dass der Bahnausbau nicht den erwünschten Effekt erzielen könne. Verständlich, dass diese Massnahmen nicht in diesem Infrastruktur-Bericht genannt werden, aber sie müssen geliefert werden (und politisch beschlossen werden…). Das Warten auf den weiteren Fortgang bei Mobility-Pricing lässt grüssen.

Der Fokus auf den Agglomerationsverkehr ist richtig. Wir müssen möglichst viele Personen auf den öV bringen, das ist viel wichtiger, als auf weiten Strecken noch etwas mehr Zeitgewinn zu erreichen.

So weit so mässig bis gut. Der zweite Teil des Berichts löst dann etwas mehr Stirnrunzeln aus. Er beschäftigt sich mit dem Stand der Ausbauprogramme und den weiteren Schritten. Wenn man diesen Bericht liest, fragt man sich, ob der Ausbau der Infrastruktur noch einigermassen auf Kurs ist oder schon entgleist ist. Wie ein roter Faden zieht sich die Frage der Verzögerungen von Projekten und Aufschieben weiterer Entscheide durch das Dokument. Richtig, wenn jetzt viele Fragen aufgeworfen werden, aber sie brauchen auch Antworten und diese sind erst für später in Aussicht gestellt.

Verzögerung, soweit das Auge reicht

Gemäss Bericht zeichnet sich bei der Umsetzung des Angebotskonzepts 2035 eine Verzögerung von drei bis fünf Jahre ab. Wir konnten schon lesen, dass einige Grossprojekte wie der Zimmerbergbasistunnel oder am Genfersee einige Jahre später angefangen werden können. Ja noch schlimmer: An anderer Stelle wird die Frage aufgeworfen, ob dieses Angebotskonzept überhaupt realisiert werden kann, weil es nach neuen Einschätzungen der SBB keinen stabilen Fahrplan ermöglicht. Bei Bauprojekten sind Verzögerungen keine Überraschung, doch ist unklar, welchen Handorgel-Effekt diese auf den ganzen Ausbau haben. Kumulieren sich die Verzögerungen? Verunmöglichen sie andere Projekte? Wann gibt es eine neue Zeitplanung? Und: Was sind die Konsequenzen aus der SBB-Einschätzung zur Fahrplanstabilität?

Wie geht es mit der Planung weiter?

Unklar bis sehr beunruhigend ist die weitere Planung. Bisher ging man davon aus, dass der nächste Ausbauschritt 2026 im Parlament sein wird, dies wurde 2019 auch explizit im Beschlussestext zum Ausbauschritt 2035 von den Räten beschlossen, aufgezählt sind mehrere Projekte, die in diesem nächsten Ausbauschritt geprüft werden müssen, unter anderem der Durchgangsbahnhof Luzern. Nun aber schreibt der Bundesrat, dass in einer Botschaft 2026 das Angebotskonzept 2035 weiterentwickelt werde und erste Etappen von einzelnen Massnahmen gemäss dem Beschluss von 2019 realisiert würden. Auch das ist ein Pluspunkt für den Durchgangsbahnhof Luzern – aber von einem eigentlichen Ausbauschritt ist keine Rede mehr. Dieser wird auf das Jahr 2030 verschoben. Das entspricht aber nicht mehr den Parlamentsbeschlüssen von 2019 – wie gehen wir damit um?

Genauigkeit der Planung erhöhen

Ein Ziel muss sein, dass die Grundlagen für die politischen Entscheide präziser werden. Eine Verteuerung eines Projektes wie beim Zimmerbergtunnel auf Grund von neuen Sicherheitsvorschriften sollte nicht passieren. Weshalb war das beim Beschluss nicht klar? Sind die Kostenschätzungen und Projekte zu rudimentär? Wo müssten Planungskompetenzen gestärkt werden?

Wer bestimmt den Takt des Ausbaus?

An mehreren Stellen schreibt der Bundesrat, dass «gemäss Aussagen der SBB» bis 2033 in ihrem Netz keine neuen Bauprojekte mit Netzbezug gestartet werden können. Sicherlich, die SBB kennen ihr Netz und vor allem die Schwierigkeiten von gleichzeitigem Bauen und Aufrechterhaltung des Betriebs am besten. Gleichzeitig hat die Politik Ausbauschritte beschlossen und die Verwaltung hat sie vorbereitet und muss sie umsetzen. Sind nun Verwaltung und Bundesrat ebenfalls der Meinung, dass keine grösseren Projekte auf dem bestehenden Netz begonnen werden können? Überlässt man faktisch die Beurteilung darüber den SBB? Die Problematik, dass es immer schwieriger wird, im bestehenden Netz grössere Eingriffe zu machen, wurde in den Medien zwar schon diskutiert, aber die Konsequenzen daraus sind überhaupt nicht klar.

Und für die Luzerner*innen: Gibt es Projekte ohne Netzbezug?

Ja klar – der Dreilindentunnel zum Durchgangsbahnhof Luzern kann zum Beispiel gebaut werden, ohne den Bahnbetrieb zu tangieren. Er beeinflusst den eh schon schwierigen Bahnbetrieb in Luzern nicht. Das aber möchten wir gerne bestätigt erhalten. Und nicht zu vergessen: In anderen Regionen wie Zürich oder am Genfersee ist der schwierige Bahnbetrieb bzw. der instabile Fahrplan auch dem vorangegangen Angebotsausbau geschuldet. In Luzern dagegen gab ausser der Zentralbahn keine Infrastrukturausbauten und auch nur unterdurchschnittliche Angebotserweiterungen.

Anziehende Wohnungspreise? Leider sind sie nie wirklich gesunken.

Vor kurzem lasen wir: Die Mietzinse ziehen wieder an. Mehrere Medien meldeten mit Verweis auf verschiedene Statistiken, dass die Angebotsmieten wieder steigen. Verschiedene Immobilienbüros messen die Preise der ausgeschriebenen Wohnungen oder der tatsächlich neu vermieteten Wohnungen. So etwa Wüest und Partner, Fahrländer zusammen mit Immoscout oder der hier abgebildete von Homegate. Und tatsächlich: Mehrere dieser Indizes ziehen schon wieder an, nachdem sie etwa fünf Jahre stagnierten respektive leicht sanken.

Ein Schulterzucken, weil es immer ein Auf und Ab gibt auf dem Markt? Nein, denn in den Jahren zuvor gab es unglaubliche Aufschläge mit massiven Auswirkungen auf das Mietzinsniveau. Und vor allem: Betrachtet man nicht die neu vermieteten Wohnungen, sondern generell alle Mietzinse, so gibt es nur eine Richtung: Sie zeigt nach oben.  Die Mieten steigen ständig weiter.

Das ist tragisch und dürfte nach Mietrecht so nicht sein: Die Kapitalkosten sind der grösste Aufwandposten für die Vermieter*innen und diese sind seit 2009 nur immer gesunken. Die Zinsen haben sich mehr als halbiert. Der Referenzzinssatz ist neun Mal gesunken! Hätten die Mieten tatsächlich etwas mit den realen Kosten der Vermieterschaft zu tun, müssten sie heute viel tiefer liegen. Doch alleine von 2015 bis 2020 ist die Nettomiete einer Durchschnittswohnung von 1306 auf 1373 Franken angestiegen.

Das hat Folgen: Trotz steigenden Löhnen und guter Konjunktur, trotz viel tieferer Kosten für die Vermieterschaft zahlen die Mietenden seit Jahren von ihrem Einkommen prozentual gleich viel fürs Wohnen. Und besonders bitter: Wer wenig verdient, der muss einen immer grösseren Anteil seines Einkommens für ein Dach überm Kopf aufbringen. Bei einem Einkommen von unter 4000 Franken muss ein Haushalt über 36 Prozent dafür ausgeben!

Wohin geht dieses Geld? Wird der Referenzzinssatz einmal gesenkt, sollten überschlagsmässig die Mieten in der Schweiz um rund 1 Milliarde Franken sinken. Diesen Wert mal neun Senkungsrunden ergibt eine gigantische Summe pro Jahr. Umverteilung pur.

Besonders eindrücklich ist der Vergleich der Wohnkosten von Eigentümer*innen und Mietenden. Leider werden diese Zahlen nur alle drei Jahre veröffentlicht, doch es zeigt sich klar: Wer Wohneigentum besitzt, zahlte seit 2008 Jahr für Jahr weniger fürs Wohnen. Eigentlich logisch bei den sinkenden Zinsen. Die Mieter*innen profitierten dagegen nicht. Und etwas zynisch gesagt: Sie bezahlen gleich viel oder mehr Miete und finanzieren so noch die Pensionskassen der Eigentümer mit.

Was läuft falsch bei den Mietpreisen? Lakonisch gesagt: Das Mietrecht schützt zwar Personen, die eine Wohnung haben, vor willkürlichen Aufschlägen (allerdings auch nicht einmal vor ungerechtfertigten Aufschlägen), aber ansonsten ist seine Durchsetzung schwach. Wo der Markt tobt – und das ist dort, wo die Menschen wohnen wollen – steigen die Angebotsmieten weiter an und die im Mietrecht postulierte Kostenmiete findet faktisch wenig bis keine Anwendung.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen hat in der letzten Woche zum Thema ökonomische Aussichten festgehalten: „Die Knappheit im Wohnungsmarkt ist das grösste Problem der Schweiz, nicht die Konjunktur und auch nicht die Inflation.“ Richtig! Nur: In den städtischen Ballungszentren, dort wo die Arbeitsplätze sind und die Menschen wohnen wollen, wird die Knappheit immer vorherrschend sein. Selbstverständlich braucht es auch neuen Wohnraum, aber die Knappheit ist in den Zentren eine historische Konstante.

Genau deshalb braucht es ein Mietrecht, das die Mietenden gegen hohe Mieten schützt, denn kein marktwirtschaftliches Rezept wird diese Probleme lösen. Wo ein endliches Gut vorhanden ist wie beim Boden, ist es Aufgabe der Gemeinschaft, dessen Nutzung zu organisieren.

P.S.: Das wissen wahrscheinlich auch die Vertreter*innen der Hauseigentümerseite. Sie beklagen sich momentan ebenfalls, dass sich immer weniger Personen Wohneigentum leisten können. Klar – wenn die Preise dermassen steigen, wird das für alle, die nicht grosse Summen erben, extrem schwierig. Allerdings haben jene, die heute besitzen, grosse Freude an den Wertsteigerungen. So verirrt sich die Hauseigentümerseite bei der Förderung des Wohneigentums auf Abwege wie Steuererleichterungen in immer neuen Varianten statt dass er das Hauptthema der explodierenden Preise ansprechen würde.

Normalität Adieu?!

Mein Beitrag zur 1. Augustfeier in Horw zum Thema

Liebe Anwesende

Was hat es mit der Normalität auf sich?

Als ich in den 80er Jahren in die Kantonsschule ging, da schien mir ganz vieles gefestigt zu sein. Auch wenn man als Jugendlicher sich die Welt ganz anders vorstellen kann als sie ist, ist sie eben doch so, wie sie ist: Es fehlte mir in vielen Bereichen an der der realen Vorstellungskraft, wie die Welt denn aussehen würde. Es gab den Westen und den Osten, da war eine Mauer dazwischen und das war nicht gottgegeben, aber doch ganz ähnlich. Ich hatte Brieffreundinnen hinter dieser Mauer und besuchte 1988 / 89 Menschen in der DDR. Ich kannte die Nöte und den Ärger über das Regime, ich habe den friedlichen Aufstand nah mitbekommen, aber ehrlich gesagt: Ich war baff, als die Mauer fiel und überrumpelt. Das war mein erstes politisches Erlebnis, dass sich die Welt in ihren Grundfesten verändern kann und unser Denken da manchmal nicht nachkommt, auch wenn in Hundert Talkshows im Voraus darüber diskutiert wurde.

Und interessanterweise hat sich diese Erfahrung auch immer wieder wiederholt: Ich konnte mir den Krieg auf dem Boden von Jugoslawien schlicht nicht vorstellen. Viele andere auch, gescheite Kommentatoren sprachen von einer Unmöglichkeit, weil doch die Wirtschaft so verflochten war.

Oder wie war das mit dem Fast-Zusammenbruch der UBS 2008? Als Linker war ich diesen Banken immer etwas skeptisch gegenüber, aber irgendwie konnte ich mir nie vorstellen, dass die tatsächlich mit einer falschen Strategie derart in Schwierigkeiten geraten könnten.

Das gleiche gilt für die Corona Zeit: Wir wussten, dass eine Pandemie die grösste Bedrohung für die Schweiz ist. Das stand in jedem Lehrbüchlein und der Bund hat 2014 auch eine Pandemie-Übung durchgeführt.  Und trotzdem: Wer war darauf gefasst? Wer musste nicht tief einatmen und sich neu orientieren?

Ja, und was am 24. Februar geschah, das hat uns auch überrumpelt. Da war zwar irgendwo im Donbass seit Jahren ein Krieg, aber viele von uns konnten sich nicht vorstellen, dass so nah ein so gewalttätiger Krieg stattfinden würde, obwohl dieses Beispiel vielleicht gerade deshalb so überraschend war, weil es einem Modell aus dem 19. oder 20 Jahrhundert folgte. Ein plumper, völkerrechtswidriger Angriffskrieg zur Vergrösserung des Territoriums des Angreifers.

Die Normalität hat also immer wieder Brüche erlebt. Es gibt keine kontinuierliche Normalität im politischen, aber auch im gesellschaftlichen. Immer wieder mussten wir in Umbruchzeiten, in glücklichen wie schwierigen, wieder eine Normalität finden. Das heisst, die Gesellschaft musste sich in wichtigen Fragen einigen, wie sie miteinander umgeht, wie Ereignisse gedeutet werden, selbstverständlich in allen Farben und Schattierungen. Und in diesen Zeiten besteht ein grösseres Bedürfnis nach Diskussion und Austausch. Ich habe das vor allem bei Corona so erlebt. Wie viel haben wir darüber diskutiert, über den R-Wert, exponentielle Kurven, Massnahmen, oder über unser Verhältnis und Verständnis zum Staat. Unvergessen war mir zum Beispiel, als mir ein Unternehmer mit grossem Entsetzen erzählte, wie erstaunt er war, dass der Staat einen Lockdown anordnen und durchziehen kann. Für ihn war der Staat und das Parlament bisher ein Ort, wo viel geredet wird, aber die Welt wird von der Wirtschaft gestaltet.

Mir ist es deshalb ein grosses Anliegen, dass wir diese Diskussionen miteinander führen können. Dazu brauchen wir viele Orte zum Diskutieren, viele Informationen und wir brauchen vor allem einen Rahmen für diese Diskussionen, der allen eine Teilnahme ermöglicht. Und dies ist eines der ganz grossen Themen unserer Zeit. Wo treffen wir uns noch für diese Diskussion und wie gehen wir miteinander um, damit diese Diskussion nicht einzelnen oder vielen verleidet. Wir haben in der Schweiz viele Orte dafür, wir haben sie in Jahrzehnten und Jahrhunderten geschaffen und dafür gekämpft. Seien das lokale Organisationen, lokale Demokratie, seien das nationale Möglichkeiten wie Initiativen und Referenden. Auch diese Möglichkeiten sind nicht vom Himmel gefallen, sondern haben engagierte Bürger geschaffen.

Ich mache mir aber Sorgen um diese Diskussionsmöglichkeiten. Wir müssen uns um sie kümmern und sie pflegen. Wir haben soziale Medien, die uns die Chance geben, dass viel mehr Menschen miteinander diskutieren können, viel mehr Menschen können sich so äussern, gleichzeitig steigt aber die Gefahr, dass nur noch jene gehört werden, die besonders krasse Meinungen äussern, denn sie werden auf Facebook oder Youtube bevorzugt gezeigt.

Wir haben traditionelle Medien, die diesem Trend folgen müssen oder wollen. Nach einem Unfall am Axen werden sofort Schuldige gesucht, sei es eine Leitplanke, die gefehlt hat, sei es ein Tunnel, der noch nicht gebaut ist. Haben die Umweltverbände mal wieder etwas verhindert, haben die Gericht zu langsam gearbeitet? Dass zuerst aber ein tragischer Unfall geschehen ist, kommt gar nicht mehr vor. Oder ein Konzert wird abgebrochen, weil Personen mit Rastafrisur und dazu passender Kleidung Reggeamusik spielen. Die Reaktion: Häme, Lächerlichkeit. Wahrscheinlich war der Abbruch des Konzerts eine Überreaktion und auch falsch, aber tagelang machte sich niemand die Mühe, den Hintergrund von dieser Musik oder die ursprüngliche Bedeutung der Rastafrisur zu erklären. Man hatte einen guten Verriss einer Aktion und eine gute Schlagzeile, was ja reicht.

Und wir selber? Wir fördern mit unserem Verhalten diese Art von Kurzfutter und Sensationsmeldungen, denn auch ich ertappe mich, wie ich mich ablenken lasse, wenn ich mich durch all die Meldungen tippe und wo ich dann auch hängen bleibe.

In dem Sinne sind mir für die Diskussionen – und auch aus der Erfahrung aus der Corona Zeit – folgende Punkte besonders wichtig, vielleicht sind es auch Gedanken, die besonders für mich selber als Politiker gelten.

Differenzierung statt Zuspitzung

Natürlich muss man in einem Abstimmungskampf eine Sache auf den Punkt bringen und am Schluss Ja oder Nein sagen. Man kann die Debatte aber trotzdem differenziert führen und die Zwischenbereiche aufzeigen, auch Dilemmas, die bestehen, denn dort werden die Diskussionen interessant. Kaum etwas ist zu 100 Prozent richtig oder falsch, sonst müssten wir es nicht diskutieren. Wir können mit unseren Fragen und Interesse mithelfen, dass die Diskussionen breiter werden.

Klare Worte statt Schlötterli

Corona hat uns alle gefordert, auch in Diskussionen. Schnell sind auch mal die Fetzen geflogen. Ich habe gemerkt: Es war sehr wichtig, eine klare Meinung zu äussern, auch etwas klarzustellen, wo man eine andere Haltung hat oder wo Institutionen ohne konkrete Gründe angegriffen werden. Gleichzeitig ist wichtig, dass wir nicht in einen Eskalationsmodus kommen, was gerade mit gegenseitigen Schimpfworten wie Schlafschafe oder Covidioten passiert ist. Respekt ist grad dann wichtig, wenn man im Streit miteinander ist.

Zuhören schadet nicht

Gut, können heute nicht nur die traditionelle Medien senden und die Bevölkerung nur empfangen. Das hat das Meinungsspektrum erweitert. Aber das heisst nicht, dass das Zuhören deshalb weniger wert wäre, übrigens auch für die Medien. Manchmal ist es auch gut, wenn man vor dem Senden sich zuerst eine Meinung bildet und das geht nur, wenn man verschiedenen Personen zuhört, und sich auch vor dem Senden auch etwas überlegt.

Liebe Zuhörerinnen, Liebe Zuhörer, ich habe jetzt gerade gesendet, herzlichen Dank für diese Einladung, dass ich Ihnen einige Worte mitteilen durfte. Der 1. August ist ein guter Ort, um solche Fragen zu diskutieren und unser Zusammenleben auch immer wieder neu zu ordnen. Ich freue mich, dass wir beim Apéro diese Diskussion weiterführen können.

Putin hat Angst vor der Zivilgesellschaft, nicht vor dem Militär anderer

Meine Rede zur Friedenskundgebung auf dem Kornmarkt vom 4. März 2022

Krieg ist schmutzig, Krieg tötet, zerstört und verursacht unsägliches Leid. Menschen, die ihr normales Leben führen wollen, ihre besonderen oder auch ganz gewöhnlichen Träume realisieren wollen, die zur Arbeit gehen, sich lieben, sich streiten, die sich für Politik interessieren oder auch nicht, all diese Leute müssen heute in Kiev, in Charkiv oder anderen Orten in der Ukraine Heldinnen und Helden werden. Doch ehrlich, wer von uns will schon ein Kriegsheld oder eine Kriegsheldin werden?
Der Angriffskrieg von Putin ist durch nichts zu rechtfertigen. Putin schiebt militärische Gründe vor und verdreht in grotesker Weise die Wirklichkeit, wenn er sich von der Ukraine angegriffen fühlt oder die Ukraine als Diktatur darstellt. Denn der wichtigste Grund für seinen Krieg ist seine Wut auf das freie Zusammenleben von Menschen. Die ukrainische Zivilgesellschaft ist nicht perfekt, auch die Demokratie nicht – wie auch unsere nicht – aber sie hat grosse Schritte gemacht, sie hat sich gerade in den letzten acht Jahren seit der Revolution stark entwickelt und genau davor fürchtet sich Putin, er fürchtet sich vor Menschen, die sich wehren, die nicht still sind, die ihre Zukunft mitgestalten wollen und sich nicht von einem allmächtigen Präsidenten gängeln lassen wollen. Denn es sind gerade diese Menschen, die Putin am gefährlichsten werden können, all diese mutigen Frauen und Männer in seinem eigenen Land, die trotz Dauerpropaganda, trotz massiven Repressionen, Morden und Einschüchterungen gegen diesen Krieg und dieses Regime antreten. Wir wollen auch an sie denken!
Die Schweiz als Kleinstaat und als Land mit einer Tradition des zivilgesellschaftlichen Engagements hat sich in der Vergangenheit bereits für diese Menschen im Ausland eingesetzt – auch in der Ukraine. Die Schweiz ist auch Depositarstaat von vielen völkerrechtlichen Verträgen. Völkerrecht und die Stärkung der Zivilgesellschaft, das freie und friedliche Zusammenleben von Menschen, das ist unser Angebot und unsere Antwort für Frieden, Sicherheit und Stabilität in Europa und auf der Welt.
Herzlichen Dank! Slawa Ukraini!

Umverteilung konkret: Wie Mietende Jahr für Jahr zuviel bezahlen

Das Büro Bass hat berechnet, wie sich die Mietzinse gemäss Mietrecht entwickeln müssten – und wie sie sich tatsächlich entwickelten. Die Studie belegt die unglaubliche Umverteilung im Mietwohnungsmarkt. Im berechneten Zeitraum von 2006 bis 2021 hätten die Mieten auf Grund von 9 Referenzzinssatzsenkungen sinken müssen, sind aber um 22 Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum ist die Teuerung gerade einmal um knappe 4 Prozent angestiegen. Würde man bei der Teuerung die Mietzinse nicht berücksichtigen, dann hätten wir in diesem Zeitraum schlicht keine Preissteigerungen gehabt.

 

 

 

Wie hätten sich die Mietzinse entwickeln müssen? Jede Senkung des Referenzzinssatzes soll die Mietzinse um knapp 3 Prozent senken. Zwar können die Vermieter*innen gewisse Kosten gegenrechnen, diese sind aber in einem Umfeld von Tiefstzinsen und ohne Teuerung minim bis gar nicht vorhanden. Der Sprung zwischen den mietrechtlichen Vorgaben und der Realität ist unglaublich.

Wer profitiert und wer zahlt drauf? Das ist simpel zu beantworten: Es handelt sich um eine riesige Umverteilung von Seiten der Mietenden zu den Vermietenden. Mittlerweilen zahlen die Mietenden pro Monat im Schnitt 370 Franken zuviel Miete oder 26 Prozent mehr als mietrechtlich korrekt berechnet! Die Summe hat sich auf Grund des sinkenden Referenzinssatzes Jahr für Jahr vergrössert. Die Tabelle oben zeigt es brutal offen: Steigt der Referenzzinssatz, entwickeln sich die Mieten wie erwartet und wie es die mietrechtliche Berechnung erwarten lässt. Singt dagegen der Referenzzinssatz, entkoppelt sich die effektive Entwicklung vollkommen von den mietrechtlichen Vorgaben. Insgesamt macht die Umverteilung 2006 bis 2021 die enorme Summe von 78 Milliarden Franken aus! Wir diskutieren in der Schweiz viel über hohe Preise und Importe, die bei uns teurer sind als im Ausland. Keine falsche Diskussion – aber in Anbetracht dieser gigantischen Summe sind das Nebenschauplätze.  Die Zahlen belegen eindrücklich, woher die satten Gewinne der Immobilienlobby stammen. Jahr für Jahr steigen diese. Dieser Mechanismus hat massivste Auswirkungen auf das verfügbare Einkommen der Mieter- und Eigentümerhaushalte. Während jene, die sich Wohneigentum (noch) leisten konnten, durch die Tiefstzinsphase viel günstiger wohnen als noch vor 10 oder 15 Jahren, haben die Mieterinnen und Mieter gleiche oder noch höhere Belastungen durch das Wohnen. Dieser Zweiklassengesellschaft wird viel zu wenig Bea

chtung geschenkt. Schulter zucken und: Pech gehabt, wer in Miete wohnt. Die Zahlen für die Tabelle erscheinen leider nur alle drei Jahre, aber nichts deutet darauf hin, dass sich bei der nächsten Aktualisierung irgendetwas ändern wird.

Der eine Grund für diese Entwicklung wurde schon genannt. Nur rund jede sechste Mietpartei bekommt eine Mietzinssenkung, wenn der Referenzzinssatz sinkt. Ein lächerlicher Anteil! Unser Mietrecht ist falsch konstruiert, weil es für die Vermieterseite keine Sanktion gibt, wenn sie die Senkung nicht weitergibt. Wer sich als Mieter oder Mieterin nicht wehrt, hat verloren. Gleichzeitig werden die Mieten bei Wiedervermietungen der Wohnungen zum Teil massiv erhöht. Krasse Fälle mit mehreren Hundert Franken ohne irgendeine Investition sind an der Tagesordnung. Unser Kampf für transparente Mieten, für die Anfechtung der Anfangsmiete und deren Begrenzung ist unglaublich wichtig.

Gleichzeitig müssen wir eine bessere Kontrolle der Mietzinse haben. Carlo Sommaruga und Jacqueline Badran haben dazu Vorstösse eingereicht. Ich habe verlangt, dass bei Sanierungen keine übermässigen Aufschläge verrechnet werden. Aber in der Pflicht ist auf Grund dieser horrenden Zahlen der Bundesrat: Er hat jahrelang weggeschaut, ein paar Mini-Mini-Pflästerli verteilt, aber die ganze Umverteilungsproblematik war ihm egal. Zeit, dass er handelt und diesem krassen Missstand ein Ende setzt.

Wir brauchen mehr als gerettete Enten

Die Abstimmung zum Medienpaket ging bachab. Der Kompromiss hat nicht gehalten. Dafür gibt es offensichtliche, ärgerliche, ernüchternde und beunruhigende Gründe. Zuerst: Als ich als Linker auf Podien Fördergelder für Verlage mit hohen Renditen verteidigen musste, schwante mir schon früh, das kommt nicht gut. Die Geschäftspolitik von Pietro Supino, aber auch die wacklige Unterstützung von Peter Wanner waren gewiss kein Startvorteil für die Seite der Befürworter*innen. Ärgerlich war daran, dass ausgerechnet die Gegner*innen der Vorlage den grossen Verlagen noch mehr Geld hätten zuschieben wollen. Dazu hatten sie mehrere Anträge gestellt. Und nie im Leben hätten FDP oder SVP einer Beschränkung der Dividenden von unterstützten Verlagen gefordert oder unterstützt. Aber wenn man sowas in einem Abstimmungskampf erklären muss, hat man schon verloren – es ist das Privileg der Referendumsseite, alle möglichen und unmöglichen Argumente im Abstimmungskampf vorbringen zu dürfen.

Ernüchternd, aber auch nicht überraschend war, dass Medienvielfalt und Qualität ein schwieriges Diskussionsthema sind. Manchmal hörte ich: Es gibt ja heute soviel zu lesen, man kann das eh nicht alles bewältigen, wozu noch mehr Medien unterstützen? Auch hier war es ärgerlich, dass die Gegner*innen der Vorlage einen Überfluss an Informationen herbeiredeten und dabei die Mitteilungen von Verwaltungen, Regierungen oder von Firmen einfach mitzählten und damit geflissentlich übersahen: Wir wollen – wie es die Rechte formuliert – keine Behördenpropaganda, sondern kritischen Journalismus, der einordnet, verschiedene Standpunkte darstellt und nicht einfach nachplappert, was vorgegeben wird. Medienvielfalt ist für unsere Demokratie essenziell, aber kein Thema, das die breite Bevölkerung bewegt. Dazu hat die Gratiskultur, die auch von einheimischen Medien gepflegt wurde, das ihre beigetragen.

Beunruhigend waren zwei Sachen: Die Medien, vor allem die grossen Medienhäuser, stossen auf recht viel Kritik und Distanz. Vielleicht ist es eine falsche Hypothese, aber je stärker sich die Medien von Klickzahlen lenken lassen und sich dadurch vermeintlich an den Themen orientieren, die mehrheitlich interessieren, desto stärker werden sie beliebig und letztlich uninteressant. Für die Berichterstattung über einen spektakulären Verkehrsunfall oder eine gerettete Ente brauchen wir auch keine Medienförderung. Diese Kritik ist etwas ungerecht, denn viele Medien machen einen tollen Job und investieren in die Recherche, aber sie müssen sich der Diskussion stellen, was ihre Rolle in der Gesellschaft ist und welche Inhalte relevant sind. Zweitens gab es auch einen Bodensatz an Massnahmengegner*innen, die das Medienpaket ablehnten. Ihnen ist gerade das Einordnen und Vergleichen von Meldungen oder gar Faktenchecks ein Dorn im Auge. Die Kommentarspalten waren voll, das hat unserer Seite einige Prozente gekostet. Ich war bisher nicht so skeptisch von wegen Spaltung der Gesellschaft, aber das müssen wir im Auge behalten. Gerne weiter mit Fakten und Diskussionen.

Wie geht es weiter? Im Medienpaket gab es einige Teile, die unbestritten waren, wie die Unterstützung der Agenturen, technische Angebote für Medien im digitalen Bereich oder die Unterstützung des Presserates. Diese Teile sollten wir rasch einführen. Parallel dazu braucht es Lehren aus dem Abstimmungskampf und eine Konzentration auf das Wesentliche:

  • In Gebieten, die bereits heute medial unterversorgt sind und für Themen, für die das gleiche gilt, braucht es rasch Lösungen. Wie in nordischen Ländern soll mit einer direkten Förderung kritischer und qualitativ hochstehender Journalismus Unterstützung erhalten. Eine Stiftung (oder eine andere Organisation) finanziert damit direkt Stellen ohne Umweg über Posttaxenvergünstigungen. Damit erübrigt sich auch die theoretische Aufteilung zwischen gedruckten Zeitungen und Online-Medien.
  • Die Hilfen werden auf jene Medien begrenzt, deren Besitzer*innen ihre Dividendenausschüttungen klar begrenzen.
  • Finanziert soll diese Unterstützung durch eine Abgabe auf dem Umsatz der grossen Internetplattformen oder durch eine Abgabe auf dem Umsatz der Werbegelder in der Schweiz.

 

 

Haben Sie gemerkt, wie handzahm SVP und FDP sind?

Das Medienpaket wird heiss diskutiert. Kaum diskutiert wurde bisher die Erhöhung der Hilfen für die Mitgliederpresse. Sie wird von 20 auf 30 Millionen Franken aufgestockt. Denn es ist klar: Auch die Magazine und Hefte von Vereinen, Stiftungen oder der Parteien tragen zur Medienvielfalt bei.  Manchmal hätten diese Produkte etwas mehr Schwung nötig, aber trotzdem: Sie sind wichtig, damit diese Organisationen mit ihren Mitgliedern kommunizieren können. Online ist gut und recht, ersetzt diesen Kanal aber nicht.

Die Liste der unterstützten Organe ist beeindruckend und zeigt die Breite der Zivilgesellschaft auf. Das fängt in unserem Kanton beim 041 Kulturmagazin an, geht über zum Luzerner Kirchenboten, und weiter zum Hauseigentümerverband oder zur Gewerbezeitung. Mit dabei sind auch die Organe „Luzerner Freisinn“  oder die nationale SVP Zeitung „Klartext“.

Nun heisst es im Abstimmungskampf oft, eine Förderung mache die Medien vom Staat abhängig. „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“. Der Slogan ist eingänglich, aber auch etwas trivial. Oder haben Sie den Eindruck, diese Parteien würden wegen dieser Förderung nett über den Bundesrat schreiben?

Abhängigkeiten und Beeinflussungen entstehen ganz anderswo. Wenn Inserenten den Inhalt beeinflussen, wenn  Sponsoring Content für Leser*innen nicht erkennbar ist und vor allem durch Geldgeber, die Zeitungen kaufen, unbekannt bleiben und so ihre Meinung verbreiten.

Das Medienpaket beschränkt die Vorgaben auf wenige Punkte. Die linke Wochenzeitung bekommen Fördergelder ganz gleich wie die SVP-Weltwoche. Nur eines wollte der Gesetzgeber ausschliessen: Dass People-Heftli oder Gartenmagazine von der Förderung profitieren. Diese neutrale Unterstützung vergrössert die Unabhängigkeit der Medien.

Heuchlerische Behauptungen: Wer im Medienpaket die Grossen und wer die Kleinen unterstützte

Ein gängiges Argument gegen das Medienpaket lautet: Davon profitieren vor allem grosse Verlage und die Kleinen erhalten viel zu wenig. Über 70 Prozent gingen an die ganz grossen Verlage, wollen die Gegner ausgerechnet haben. Die Zahlen sind falsch, das zeigt eine kurze Berechnung, denn einerseits bekommen die Kleinen dank dem Willen des Parlaments prozentual mehr als die Grossen und zum Zweitens stellt sich auch die Frage, wer zu den Grossen gezählt wird: Anscheinend auch die kleinen Regionalmedien wie die Urner oder Obwaldner Zeitung, die zu einem grossen Verlag gehören.

Die Behauptung ist aber auch heuchlerisch. Denn in der Ratsdebatte haben sich jene, die sich jetzt gegen das Gesetz aussprechen für die Grossen eingesetzt. Sie waren einmal erfolgreich und einmal unterlagen sie.

Maximale Förderung der Onlinemedien

Wäre es nach unserem Willen und nach dem Vorschlag des Bundesrats gegangen, hätten die kleinsten Onlinemedien für jeden Franken, den sie aus der Leserschaft erhalten noch 80 Rappen Förderung bekommen. Die Mehrheit des Parlaments hat zu Gunsten der grösseren Medien diesen Prozentsatz von 80 auf 60 Prozent gekürzt. Tenor war: Eine Förderung von 80 Prozent schaffe eine zu hohe Abhängigkeit.

Holdingklausel

Die Holdingklausel blieb trotz Widerstand von FDP und SVP im Gesetz. Sie besagt, dass bei der Onlineförderung zur Berechnung des stark degressiven Förderbeitrags alle Titel eines Medienunternehmens in der gleichen Sprachregion zusammengezählt werden müssen. Die CH Medien oder die TX Group erhalten also nur einmal Geld und können nicht für jede Zeitung vor Ort ein neues Gesuch stellen. Das ist entscheidend zur Verteilung der Gelder, denn ganz grosse Unternehmen erhalten auf dem Geld, das sie aus der Leserschaft über Abos und andere Zahlungsmethoden erhalten, nur wenige Prozente Förderung, die Kleinsten dagegen wie oben beschrieben 60 Prozent.

Ein kleiner Schlenker noch: Ausgerechnet die Gegner*innen der Vorlage monieren jetzt einen Einheitsbrei, denn (wegen des Mantelsystems) in vielen Zeitungen steht heute das Gleiche. Sie wollten aber in der Debatte mit der Abschaffung der Holdingklausel dieses System noch belohnen.