Den Städten zeigen, wer hier befiehlt

Der Nationalrat hat heute eine Parlamentarische Initiative Rutz angenommen. Sie will den Städten verbieten, auf Hauptverkehrsachsen Tempo 30 einzuführen. Dies unter dem Vorwand, der Verkehr müsse fliessen können und auch die Städte müssten den Verkehr vom übergeordneten Strassennetz abnehmen und der müsse genügend schnell fahren können.

Rutzs Partei die SVP verlangt stets Föderalismus. Da ist diese Forderung merkwürdig, denn sie greift fundamental in die Rechte der Kantone und der Gemeinden in. Die Gemeinden kennen ihre Probleme und die Lösungsmöglichkeiten am besten.

Die Forderung ist aber auch inhaltlich völlig falsch: Tempo 30 kann auch auf Hauptverkehrsachsen sinnvoll sein. Eine Geschwindigkeitsreduktion kann den Lärm entscheidend verringern. Lärm soll an der Quelle vermieden werden, das ist besser als Lärmschutzwände oder der Einbau von Fenstern. Ob auf einem Strassenabschnitt Tempo 30 oder 50 gefahren werden kann, verlängert die Fahrzeiten kaum. Teilweise ist eine tiefere Geschwindigkeit sogar positiv, weil der Verkehr verstetigt wird und der Verkehrsfluss nicht abnimmt.

Die Initiative zielt darauf ab, die Städte zu knebeln und ihre Verkehrspolitik zu torpedieren, die Städte sollen gefälligst den Verkehr von den Autobahnen in die Städte lassen und ja keine Hindernisse aufbauen. Die städtische Verkehrspolitik stört offensichtlich eine Mehrheit des Nationalrats wie auch den Chef des ASTRA.

Es wird Zeit für andere Mehrheiten.

Bypass: Kritische Überprüfung unerwünscht

Interview von Gian Waldvogel

Michael Töngi vertritt die Grünen Anliegen in der Verkehrskommission des Nationalrates. Für den Präsidenten von VCS Luzern ist klar: Das viele Geld für neue Strassen bedroht das Klima und die Lebensqualität in der Schweiz. Linderung könnte unter anderem die Digitalisierung schaffen, doch die Früchte des Silicon Valley sind mit Vorsicht zu geniessen.

Gian Waldvogel: Du kommst gerade aus der Verkehrskommission, die über weitere Strassenbauprojekte entscheiden hat – was ist dein Eindruck?

Michael: Statt einer kritischen Überprüfung der vorgeschlagenen Projekte – zu denen auch der Bypass gehört – hat die Kommission weitere Strassenprojekte in die Liste aufgenommen. So etwa die Umfahrung Näfels, obwohl selbst der Kanton Glarus die Realisierung nicht als dringlich erachtet. Ein unglaublicher Wettbewerb zu Gunsten neuer Strassen!

Gian: Der West-Ast in Biel, Bypass und Spange Nord in Luzern, eine zweistöckige Autobahn im Limmattal, um nur einige Beispiele zu nennen: Woher kommt dieser grosse Druck, derartige Betonwalzen durch urbane Gebiete zu führen?

Michael: Die Verkehrspolitik in Bern ist im Strassenbereich weiter auf Wachstum ausgerichtet. Das ist der Fluch des Strassenverkehrsfonds, den das Volk unterstützt hat: Dank dem NAF sprudelt das Geld, das jetzt in neue Projekte gebuttert werden kann. Zudem herrscht ein Verteilkampf zwischen den Regionen, alle möchten ein Stück des grossen Kuchens abbekommen. Deshalb setzen sich viele Politiker für Nationalstrassenprojekte in ihrem Kanton ein.

Gian: Ist diese massive Förderung der Strasseninfrastruktur auf Bundesebene denn vereinbar mit dem Klimaabkommen von Paris und der Energiestrategie des Bundesrates?

Michael: Der Bund argumentiert relativ lapidar, dass auch Elektroautos Strassen brauchen. Aber es ist klar, dass ein fossilfreier Individualverkehr fast nicht zu erreichen ist, wenn der Verkehr auf der Autobahn weiterhin jährlich um zwei Prozent zunimmt . Mit solchen Zuwachsraten wird auch in Zukunft eine Mehrheit der Fahrzeuge mit fossilen Brennstoffen angetrieben, weil die Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Quellen kaum mit diesem Zuwachs mithalten kann.

Gian: Sind denn Elektromobile die Lösung, um einen klimaverträglichen Autoverkehr sicherzustellen?

Michael: Sie sind Teil der Lösung, aber nicht die ganze. Wir müssen die Mobilität auch begrenzen und gleichzeitig ein Umsteigen auf effizienten öffentlichen Verkehr fördern. Hinzu kommen die Chancen aus der Digitalisierung, die beispielsweise ermöglichen, dass sich mehr Leute ein Fahrzeug teilen. Ganz wichtig ist, dass man die Entwicklung und Forschung in diesem Bereich nicht einfach Google und Co. überlässt.

Gian: Für die Zukunft der Mobilität ist Big Data also ein zweischneidiges Schwert?

Michael: Die Digitalisierung der Strasse, wie sie die grossen Konzerne vorantreiben, kann auch zur Folge haben, dass sogar noch mehr Autos auf der Strasse fahren. Etwa, weil der Strassenraum in der Schweiz noch effizienter genutzt werden könnte. Hier muss die Schweiz eigene Mittel investieren, um die Chancen der Digitalisierung im Sinne einer umweltfreundlicheren und platzsparenden Mobilität zu nutzen.

Gian: Du hast im September einen Vorstoss eingereicht, der vom Bundesrat Antworten einfordert, wie bei Strassenprojekten die Verträglichkeit für Anwohner und Siedlungsgebiete berücksichtigt wird. Fehlt es auf Bundesebene und in der Verkehrskommission an der Sensibilität für die Wünsche der Stadt- und Agglomerationsbewohner?

Michael: Durchaus. Es besteht grosser Nachholbedarf, die Städte sind in Bundesbern nicht gut vertreten. Ganz im Gegenteil zur Autolobby, die auch in der Verkehrskommission des Nationalrates ihre Anliegen effektiv vertritt.

Gian: Der Bypass wurde vom Bundesrat gutgeheissen, die Finanzierung steht bereits. Heisst das: Game Over für die Kritiker in Luzern?

Michael: Wir müssen realistisch sein: Das Projekt zu verhindern ist extrem schwierig. Gerade das Südportal ist jedoch für Kriens im derzeitigen Projektstadium völlig unbefriedigend. Ich engagiere mich dafür, dass in Kriens zumindest eine erträgliche Lösung gefunden wird mit einer längeren Überdachung der zehnspurigen Autobahn. Der Bund nimmt zu wenig Rücksicht auf die Bedingungen vor Ort und vergibt eine grosse Chance. Wenn eine Infrastruktur schon dermassen ausgebaut wird, so muss doch ein echter Mehrwert für die Ansässigen entstehen. Der Einbezug der Standortgemeinde geschieht jedoch nicht automatisch, er muss eingefordert werden.

Gian: Wie beurteilst du die Rolle der Luzerner Regierung?

Michael: Die Krienserinnen und Krienser sind der Meinung, dass sich der Regierungsrat viel stärker für eine längere Eindachung hätte einsetzen müssen. Leider erstaunt mich diese Kritik nicht: Wie der Kanton beim Autobahnzubringer Spange Nord mit den Quartierbewohnern umging, ist ebenfalls deplorabel. Er musste zuerst vom Kantonsrat zu einem Dialog verknurrt werden.

Gian: Bisher war das Kantonsprojekt Spange Nord mit dem Bundesprojekt Bypass gekoppelt, so haben sowohl der Regierungsrat als auch das Astra kommuniziert. Was geschieht, wenn die Spange Nord abgelehnt wird von der Bevölkerung oder gar zuvor von der Regierung fallengelassen wird – würde der Bypass dennoch umgesetzt?

Michael: Ich gehe davon aus. Das Geld ist vorhanden, andere baureife Projekte nicht in Sicht und da ist die Versuchung gross, den Bypass so oder so zu realisieren. Inzwischen versucht das Bundesamt für Strassen das 1,7-Milliardenprojekt damit zu legitimieren, dass bei einer Sanierung der Stadtautobahn eine parallele Infrastruktur notwendig sei. Dabei ist der City-Ring gerade erst erneuert worden. Und: Sollen wir denn jetzt alle Infrastrukturen verdoppeln, damit wir sie dereinst sanieren können?

Gian: Ein zentrales Argument für zusätzliche Strassenabschnitte ist jeweils die Engpassbereinigung, respektive weniger Stau. Aber sind denn weitere Fahrspuren ein praktikables Rezept gegen den Pendlerstress auf der Strasse?

Michael: Überhaupt nicht. Immer wenn ein Autobahnabschnitt erweitert wird, kommt es ein paar Kilometer weiter zu einem neuen Engpass. Es ist nun mal einfach so, dass mehr Strassen auch zu mehr Verkehr führen. Bestes Beispiel ist die A4- oder der Rontalzubringer. Kaum gebaut, waren die Strassen in den umliegenden Gemeinden innert kürzester Zeit  während den Stosszeiten wieder überlastet.

Gian: Gerade von bürgerlicher Seite wird wiederholt betont, dass man Schiene und Strasse nicht gegeneinander ausspielen soll. Macht dieser Dualismus Sinn oder sollte konsequenter auf Bus und Zug gesetzt werden?

Michael: Ich gehörte noch nie zu diesem Club, der dieses Credo predigte. Ich bin kein verbohrter Autogegner, es gilt jedoch die grösseren Zusammenhänge zu berücksichtigen. In der kleinräumigen Schweiz müssen wir den Verkehr platzsparend und verträglich für die Bevölkerung organisieren. Auf der Landschaft wird das Auto weiterhin eine Rolle spielen, aber in den grossen Ballungszentren sind nun einmal Zug, Bus und das Velo viel sinnvoller. Machen wir deren Vorteile nicht mit neuen grossen Infrastrukturen für den Autoverkehr kaputt.

Rontaler Gemeinden wurden schon beglückt

Die Rontaler Gemeinden haben sich in einem Brief an die KantonsrätInnen und Regierungsräte zu Wort gemeldet und weibeln für die Spange Nord. Nur mit diesem Bauwertk könne das Rontal gut erreichbar bleiben und die Stadt umfahren werden. Komisch nur: Vor bald zehn Jahren wurde der Autobahnanschluss Rontal eröffnet. Haben wir damals nicht die gleichen Sätze gehört? Die Rontaler wollten direkt auf die Autobahn, und so ihre Gemeinden vom Verkehr entlasten? Können sie nicht bereits heute via Autobahn bequem nach Kriens oder Horw fahren? In Richtung Emmenbrücke und Luzerner Landschaft fahren sie bereits entweder über die Autobahn oder aber über den Sedel, kein Rontaler muss durch die Stadt Luzern fahren, ausser er wolle zufälligerweise tatsächlich in die Stadt hinein. Da nützt dann jede neue Spange Nord nichts.

Der Brief beweist einmal mehr: Gibt man den Wünschen der automobilen Gesellschaft nach, so wachsen die Begehrlichkeiten immer weiter. Nach einem neuen Autobahnzubringer braucht es eine neue Umfahrung, danach wohl wieder eine zweite oder dritte Hauptverkehrsader und so fort.

Das Rontal wächst. Wollen wir den Verkehr umweltverträglich und menschenfreundlich anbieten, so braucht es einen massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Baut man dagegen für mehrere Hundert Millionen Franken eine neue Strasse quer durch die Stadt, so torpediert man dieses Ziel.

Bypass: Schlechte Beurteilung durch Bund

Gestern ging das zweite Programm zur Beseitigung von Engpässen bei den Nationalstrassen in die Vernehmlassung. Der Bypass soll gemäss Ausführungen des Bundesrates im Modul 3 bleiben, bei dem die Finanzierung offen ist. Die Beurteilung des Bundesrates:  „Eine Zuteilung des Projekts ins Modul 2 ist jedoch trotz der nachgewiesenen Notwendigkeit nicht möglich. Grund hierfür sind die hohen Investitionskosten, die damit verbundenen eher schlechten Bewertungsresultate und der im Vergleich zu anderen Kernagglomerationen geringere Problemdruck (Problemstufe II).“

Es ist illusorisch zu hoffen, dass die vereinigten Bypass-Freunde Einsicht haben werden und sich vom Projekt abwenden. Zu hoffen ist aber, dass die massiven Verkehrsprobleme – die wir ja auch ausserhalb der Autobahn haben – trotzdem zielgerichtet angegangen werden und nicht zuviel Kraft auf dieses unglaubwürdige Projekt verlegt wird. Fatal ist nicht nur der Bypass als neue Verkehrsmaschine, sondern auch die Verschiebung wichtiger Massnahmen mit dem ständigen Verweis, man nehme das dann in Angriff, wenn der Bypass gebaut sei.