Nicht weniger als der Verlust unserer Lebensgrundlage ist bedroht, wie der Biodiversitätsrat der Uno Anfang Mai in einem umfassenden Bericht festhält. Millionen von Tier- und Pflanzenarten auf der Erde stehen vor der Auslöschung – auch wegen dem Klimawandel. Die Schweiz trägt international eine besondere Verantwortung. Aber auch im Inland steht es nicht gut um die Biodiversität, wie. Nationalrat Michael Töngi im Interview einräumt. Er fordert deshalb mehr Mittel, griffige Massnahmen und konsequente Umsetzung im Arten- und Landschaftsschutz.
Gian Waldvogel: Zum Einstieg: Was verstehen wir unter Biodiversität – und worin liegt der Wert dessen Erhalts?
Michael Töngi: Biodiversität beinhaltet die Vielfalt der Arten und Lebensräume sowie die genetische Vielfalt unter den Arten auf unserem Planeten. Sie ermöglicht und schützt das Leben auf der Erde. Je mehr Vielfalt wir auf unserem Planeten haben, desto besser können die Lebewesen auf Herausforderungen reagieren. Die genetische Vielfalt ist beispielsweise wichtig, damit Krankheiten nicht eine ganze Pflanzen- oder Tierart auf einmal dahinraffen kann. Das gleiche gilt für die Landwirtschaft: Monokulturen sind anfälliger für Schädlingsbefall als ein biodiverser Anbau. Zusammengefasst: Biodiversität sichert den Kreislauf des Lebens und wir als Menschen sind abhängig davon, dass dieser geschützt wird.
Du selbst hegts und pflegst ja einen Garten mit exotischen Pflanzen wie der schwarze Prinz oder der Kosmonaut Volkov– wohnst aber auf einem Bauernhof. Ist das nun förderlich oder eher problematisch für den Schutz der Biodiversität?
Zu einem Gemüsegarten gehörten Kulturpflanzen. Wichtig ist auch die Förderung der Artenvielfalt im Siedlungsgebiet und das ist gemäss neueren wissenschaftlichen Untersuchungen mit den richtigen Massnahmen möglich. Die Stadt Kriens fördert schon lange, dass einheimische Sträucher angepflanzt werden und in Gärten statt Rasen Wiesen blühen. Damit wurden schon erstaunlich gute Resultate erzielt.
Anfang Mai wurde ein umfassender Bericht des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) publiziert, der den Zustand der Biodiversität auf globaler Ebene untersucht. Er kommt zum Schluss: Weltweit sind über eine Million Arten und Lebensräume vom Aussterben bedroht. Was droht uns Menschen da?
Die Situation ist dramatisch. Es droht der Verlust der Vielfalt und letztlich unserer Lebensgrundlage: «Der Mensch macht der Natur den Garaus», titelte dazu die NZZ passend. Aber es stellt sich auch die ethische Frage: Welches Recht nehmen wir uns heraus, als Spezies viele anderen Lebewesen zu verdrängen?
Wo liegt die Mitverantwortung der Schweiz auf globaler Ebene für diese tristen Aussichten?
Mit dem Rohstoffhandel aber auch im Nahrungsmittel- und Landwirtschaftssektor richten in der Schweiz domizilierte Konzerne international grosse Schäden an. Mit der Abholzung von Urwäldern oder auch dem Import von Futtermitteln aus dem Ausland schadet die Schweiz der natürlichen Vielfalt rund um den Planeten. Wir leben zwar auf grossem Fuss – die Auswirkungen auf die Biodiversität spüren wir in der Schweiz jedoch weniger.
Der Bericht zeigt einen klaren Zusammenhang zwischen Klimawandel und Artensterben auf: wenn die globalen Temperaturen um 2 Grade Celsius gegenüber vor-industrieller Zeit steigen, würden 5 Prozent aller Arten auf unserem Planeten gefährdet, bei 4.3 Grad Celsius sind es gar 16 Prozent. Heisst das im Umkehrschluss: Wenn wir das Klima schützen, retten wir auch die Biodiversität?
Ein konsequenter Klimaschutz ist wichtig, der Klimawandel verschärft das Artensterben. Das zeigt sich exemplarisch in den Alpen. Aufgrund der höheren Temperaturen rutschen die Lebensräume von Pflanzen und Tieren nach oben – bis es ganz oben irgendwann keinen Platz mehr hat für verschiedene Lebewesen. Zudem können sich verschiedene Arten an diesen rasanten Wandel nicht ausreichend schnell anpassen. Aber es braucht noch andere, kleinräumige und lokale Massnahmen für den Schutz der Biodiversität.
In der Schweiz selbst sieht es nicht gut aus. «Der Zustand der Biodiversität in der Schweiz ist unbefriedigend. Die Hälfte der Lebensräume und ein Drittel der Arten sind bedroht», schreibt das Bundesamt für Umwelt. Wo liegen die wichtigsten Gründe für das Verschwinden der Arten und Landschaften?
Wir haben in der Schweiz eine fortschrittliche Landwirtschaftspolitik und tun einiges im Naturschutz. Trotzdem haben wir im internationalen Vergleich eine hohe Belastung durch Dünger und Pestizide. Die Schweiz nutzt vorhandene Flächen zu intensiv, wodurch sie für viele Pflanzen und Tiere kein geeigneter Lebensraum mehr darstellen. Ganz besonders im Mittelland schaden die Zersiedlung und der Strassenbau der Vielfalt. Zudem ist zu wenig Geld vorhanden, unter anderem für den Schutz der Moore.
Wo stehen wir politisch – was macht der Bund bisher genau, um Arten und Naturräume zu schützen?
Der Bund ist durchaus aktiv – er investiert pro Jahr 400 Millionen in Ökoflächen in der Landwirtschaft. 2012 publizierte der Bundesrat den Bericht Biodiversität, 2017 verabschiedete er einen Aktionsplan dazu. Der ist in den Augen der Natur- und Umweltschutzverbände jedoch unzureichend und zu unverbindlich. Sie haben einen umfassenden eigenen Aktionsplan erarbeitet mit weitergehenden Massnahmen. Dick angestrichen auf der politischen Agenda ist die Agrarpolitik 2022. Da entscheidet sich, ob die Mittel und Vorgaben für den Schutz der Biodiversität erhalten und ausgebaut werden. Ganz wichtig ist auch, dass in der Raum- und Ortsplanung aber auch bei Baubewilligungen von den Behörden die Biodiversität berücksichtigt und verstärkt wird.
Wie beurteilst Du die Sensibilität der Politiker*innen und Parteien für das Thema?
Die ist wie so oft konjunkturell bedingt – internationale Berichte wie derjenige des Weltbiodiversitätsrates setzen das Thema auf die politische Agenda. Ich denke das Bewusstsein ist in Bundesbern vorhanden. Fraglich ist jedoch die Umsetzung konsequenter Massnahmen. Das gilt besonders für die Biodiversität, weil es ein so breites und komplexes Problem ist, das oft zersplittert behandelt wird. Es geht um Strassenbau, Raumplanung, Landwirtschaft – das macht eine umfassende Strategie schwierig. Ähnliches passiert ja auch beim Thema Klima.
Mehrere Verbände haben gleich zwei Initiativen lanciert: Einerseits die Biodiversitätsinitiative, welche mehr Schutzgebiete und mehr Gelder für die breitflächige Förderung von Biodiversität fordert. Andererseits die Landschaftsinitiative, die strengere Regeln beim Bauen ausserhalb der Bauzone bedingt. Räumst du den beiden Initiativen gute Chancen ein?
Es herrscht derzeit eine heftige Debatte ums Bauen ausserhalb von Bauzonen – dass mit der Landschaftsinitiative eine klare Stossrichtung vorgegeben wird, ist absolut richtig. Und mit der Biodiversitätsinitiative verankern wir das Thema in der Verfassung. Die beiden Vorlagen verhelfen dem Artenschutz die notwendige Aufmerksamkeit, was ich sehr begrüsse.
Wie sieht es in Luzern aus – auch hier gibt es Moore, Auen und wertvolle Wiesen zu schützen?
Der erste Vorstoss zur Stärkung der Biodiversität überwies der Kantonsrat im Jahr 2006. Der Planungsbericht wurde 2018, ganze 12 Jahre später in die Vernehmlassung geschickt. Das zeigt schon, wie stiefmütterlich das Thema behandelt wird. Es ist zu hoffen, dass nun endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden..
Weiterführende Links:
Zusammenfassung Bericht Biodiversitätsrat (Englisch)
Aktionsplan Bund
Aktionsplan der Umwelt- und Naturschutzverbände
https://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/Aktionsplan_Zivilgesellschaft.pdf
Doppelinitiativen Landschafts- und Biodiversitätsinitiative