Bodenpreise à la Monopoly: Ein Korrekturvorschlag

Die Bodenpreise sind stark am Steigen. Schlagzeilen wie «Bauland wird teurer» oder «So teuer ist der Boden» prägen die Nachrichten. Das ist auch in den Zahlen jener Kantone ablesbar, die Bodenpreise statistisch verfolgen. Im Kanton Zürich sind die durchschnittlichen Preise von 2012 bis 2022 von 1141 auf 1754 Franken angestiegen – eine satte Steigerung von mehr als 50 Prozent. Und dies in einer Zeit, als es praktisch keine Teuerung gab. Die Stadt Zürich meldete letztes Jahr  ebenfalls horrend gestiegene Preise: Die Bruttopreise – also Boden inklusive Gebäude – haben sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Sie liegen mittlerweile bei 5800 Franken, im Bereich Bahnhofstrasse bei 100’000 Franken, an zentralen Lagen wie Enge oder am Stauffacher auch noch bei 20’000 Franken.

In anderen Regionen  – soweit Daten überhaupt vorhanden sind – ist die Entwicklung teils etwas gemächlicher, aber sie zeigt fast überall nach oben. Was noch vor 20 Jahren ein ungläubiges Staunen auslöste, sind heute gängige Preise.

Was sagt der Bundesrat zu dieser Entwicklung? Wie immer bei diesen Themen: Nicht gerade viel. In einer Antwort auf eine Interpellation von mir kommt der Standardsatz, dass er die Entwicklung beobachte. Der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum sei ein Ziel des Bundesrates. Nur verrät er nicht, wie er es konkret umsetzen will. Und zu den Bodenpreisen schreibt er: «Es gibt derzeit keine Massnahmen, mit welchen der Bundesrat die marktwirtschaftliche Mechanismen der Preisbildung bei den Bodenpreisen beeinflusst.»

Der etwas sperrige Satz macht eines offensichtlich: Der Bundesrat glaubt nach wie vor, dass das begrenzte Gut namens Boden, das wir alle zum Leben brauchen, nach marktwirtschaftlichen Kriterien gehandelt werden soll. Dabei kann es gar keinen Markt geben: Das Angebot, der Boden, ist nicht vermehrbar und doch müssen alle Menschen irgendwo wohnen und müssen zwangsweise für den Boden bezahlen, und sei es mit der Miete. Dabei sehen wir die Auswüchse seit vielen Jahren, Jahrzehnten. Wem der Boden gehört, war schon immer eine zentrale Frage. Die einen haben Boden und holen sich hohe Profite, andere haben keinen Boden und müssen für diese Profite bezahlen, oft durch völlig überhöhte Mieten.

Der Wertzuwachs über die Zeit wird durch die Grundstückgewinnsteuer besteuert. Immerhin erhält hier der Staat einen Anteil des Wertzuwachs. In der Stadt Zürich waren es letztes Jahr unglaubliche 421 Millionen Franken Grundstückgewinnsteuern. Im Kanton Luzern waren es noch 2022 stolze 106 Millionen Franken, die zwischen dem Kanton und den Gemeinden aufgeteilt werden. Merkwürdig nur, dass von diesem Geld nichts zum Erhalt oder Bau preisgünstiger Wohnungen fliesst. Damit würde die Wirkung dieser Steuer massiv erhöht.

Die Gemeinden oder Kantone sind ja nicht unglücklich über diese Einnahmen, die in die allgemeine Kasse sprudeln. Man kann so die Einnahmen aufbessern und ist damit auch Profiteur dieser Preissteigerungen. Und ist vielleicht verleitet, diese Tendenz gar nicht brechen zu wollen.

Will man diese Tendenz unterbinden, gibt es verschiedene Ansätze. Einer ist eine grundsätzliche Diskussion über die Bodenfrage, die aber erfahrungsgemäss schwierig zu führen ist. Eine konkrete Diskussion bei Planungen auf Gemeindeebene oder der Bodenpolitik der Gemeinden, was schon erfolgsversprechender ist.

Eine dritte Möglichkeit ist eine pragmatische und als Teillösung zu verstehen: Wenn wir einen Teil der Grundstückgewinnsteuer für den gemeinnützigen und preisgünstigen Wohnungsbau einsetzen, dann flicken wir mit den Gewinnen dieser Bodengeschichte mindestens ein Stück weit die Schäden, die die Preisspirale verursacht. Ausserhalb der grossen Städte läuft im Bereich der Wohnungspolitik leider wenig und mit diesem Ansatz müssten alle aktivere Wohnpolitik verfolgen. Ich habe diesen Vorschlag mit einem Vorstoss eingebracht und ich zähle auf die Bereitschaft, nicht nur ständig über diese massiven Steigerungen der Landpreise zu lamentieren, sondern auch etwas zu unternehmen.

Hurra (vielleicht) kriegen wir 23 Jahre nach Beschluss einen Halbstundentakt

In der Botschaft zur neuesten Bahnvorlage gibt es einen Überblick zu den beschlossenen Massnahmen und deren Umsetzung. 2013 hat das Parlament den Ausbauschritt 2025 beschlossen – will heissen, auf dieses Jahr hin hätten die Massnahmen  umgesetzt sein sollen. In diesem Ausbauschritt ist auch der Halbstundentakt Luzern – Bern enthalten. Der Bundesrat hat in einer Interpellation von mir geantwortet, dass dieser Abschnitt zu den frequenzstärksten Linien ohne Halbstundentakt gehört, leider hat er meine Frage aber nicht konkreter beantwortet. Also, nun lesen wir in dieser Botschaft, dass die Massnahmen für den Halbstundentakt 2036 oder später erstellt werden. Das liest sich dann etwas kryptisch so: „Im Rahmen der laufenden Vorstudien sind die Funktionalitäten und die Bauabläufe mit einer Massnahme des AS 2035 in Dagmersellen abzustimmen. Die Inbetriebnahme wird im Jahr 2036 prognostiziert. Sie ist jedoch noch nicht gesichert.“

Zentralplus hat beim zuständigen Bundesamt nachgefragt, und jetzt ist klar: Ja, der Halbstundentakt kommt frühestens 2036. Ich habe nochmals in allen Antworten des Bundesrates und Berichte nachgelesen, weshalb das so ewig lang geht: Es liegt an Massnahmen im Bahnhof Bern, Zofingen und an der Strecke Dagmersellen – Zofingen. Wahlweise werden auch noch Massnahmen auf dem Abschnitt Zofingen – Rothrist genannt. Man hat den Eindruck: Um den Halbstundentakt Luzern – Bern einzuführen, muss das halbe Schienennetz in der Schweiz umgebaut werden.

Es ist schon klar, einen Halbstundentakt einzuführen, bedeutet mehr Aufwand als einfach einen zusätzlichen Zug hinzustellen. Er muss irgendwo wenden, in den Bahnhöfen Platz haben und natürlich auch auf der Strecke.

Nur: Luzern (und Bern) warten eine Ewigkeit. 2013 beschlossen, zuerst in wenigen Jahren in Aussicht gestellt, verzögert sich die Einführung immer weiter, zuerst auf Ende 20er Jahre, dann 2031, später 2033 und jetzt auf 2036 oder später. So ist Planen und Entscheiden schlicht nicht möglich, wenn eine doch kleinere Massnahme zur Umsetzung 20 und mehr Jahre braucht.

Ein paar Schlussfolgerungen daraus:

  1. Zuerst: Es braucht jetzt eine laute Reaktion aus Luzern und der Zentralschweiz. Auch wer geduldig ist, kann hier nur den Kopf schütteln.
  2.  Offensichtlich waren die Grundlagen für die Ausbauschritte 2025 und 2035 schlecht. Das Parlament hat Projekte beschlossen, die offensichtlich nicht in den vorgesehenen Fristen umgesetzt werden können. Natürlich kann man nicht vor dem Beschluss zuviel Geld für Planungen ausgeben, aber hier wurde schlecht gearbeitet. Es braucht einen höheren Detaillierungsgrad für die Projekte vor Beschlussfassung.
  3.  Es zeigt sich auch, dass mit den heutigen Kapazitäten  – finanziell wie planerisch – die wichtigen Ausbauten nicht in einem sinnvollen Zeithorizont erstellt werden können. Wenn wir das Umsteigen fördern wollen um einen höheren Modalsplit für den öV zu erreichen, geht es nur mit zusätzlichen Finanzen und auch Planerinnen und Planer.

Stärken wir die Schweizer Medien statt die SRG kaputt zu machen

Mit der Halbierungsinitiative folgt ein neuerlicher Angriff auf die SRG. Und dies gleich von verschiedenen Seiten: Den einen passt es nicht, dass die SRG allen gegenüber kritisch Bericht erstattet, kontinuierlich informiert und ganz unterschiedliche Menschen in diesem Land anspricht, sie wollen möglichst keine Konkurrenz und damit hohe Reichweite für Gratismedien von rechts. Eine Konkurrenz aus dem Weg räumen, das wollen auch einige Verleger. Ihnen schwebt ein Modell vor, gemäss diesem die SRG quasi als Besenwagen fungiert. Was sie selber nicht produzieren, sprich: was nicht rentabel ist, das soll die SRG noch machen. Dabei wird in der letzten Zeit wieder vermehrt argwöhnisch zusammengezählt, wie viele Zeichen ein Artikel der SRG im Internet umfasst oder wie teuer sie Sportrechte einkauft.

Natürlich bekommen private Verlage mehr Freiheiten und Expansionsmöglichkeiten, wenn die SRG viele Angebote streichen muss. Nur: Es ist zu simpel zu glauben, mit einer massiven Verkleinerung der SRG würden die Privaten automatisch besser dastehen. In den letzten 10 Jahren haben sich die Werbeinnahmen in den Medien massivst verschoben. Aber nicht zwischen einer SRG und den Privaten, sondern von diesen beiden hin zu den sozialen Plattformen. Es sind mittlerweilen Milliardenbeträge, die zu den grossen Techgiganten gehen und den Schweizer Medien nicht mehr zur Verfügung stehen. Eine lebendige Medienszene lebt von der Vielfalt und von verschiedenen Angeboten. Deshalb verstehe ich das Ausspielen von Privatmedien und SRG nicht.

Die SRG ist wichtig für unser Land: Ihre Sender haben einen Auftrag, sie berichten breit und sie berichten gerade vor Abstimmungen und Wahlen meist ausgewogen. Sie lassen Pro und Kontra zu Wort kommen, haben ein Konzept, wie sie vorgehen, im Gegensatz zu vielen privaten Medien, wo Abstimmungsthemen oft mit Schlagseite behandelt werden. Das ist ihr gutes Recht, solange sie journalistische Grundsätze einhalten, aber in einer Demokratie ist diese Arbeit, wie sie eine Institution wie die SRG leistet, besonders wichtig.

Und tatsächlich kostet diese Arbeit viel Geld. Oft wird bei Vergleichen dann vergessen, dass die Schweiz mit ihrer Viersprachigkeit mit besonderen Herausforderungen konfrontiert ist. In Norwegen, Dänemark oder Österreich ist es mit einer Landessprache einiges kostengünstiger, einen Service public anzubieten. Würden die Einnahmen der SRG halbiert, so würden wir vor einer Auswahl aus zwei besonders schlechten Varianten stehen: Entweder müsste man die italienischen und auch die französischsprachigen Programme radikal zusammenkürzen. Will man das nicht, müsste man den grössten Teil in der Deutschschweiz einsparen. Ein bisschen überall kürzen, reicht bei diesem massiven Eingriff sicher nicht.

Die Gegner und Kritikerinnen der SRG vereint oft neben ideologischen oder eben wirtschaftlichen Interesse meist nicht viel. Alle verstehen etwas anders unter dem Service public Auftrag der SRG. Die einen stören sich am Sport, die anderen am Ziischtigclub und wieder andere wollen keine Unterhaltungssendungen, als ob die nicht auch eine  Aufgabe erfüllen und die Schweiz ausmachen.

Apropos Service public: Leider hat der Bundesrat die Diskussion über eine neue Konzession der SRG verschoben. Dies wäre der Ort für eine Diskussion, was die SRG leisten soll. Und hier könnten wir konkret werden statt mit Schlagworten zu arbeiten. Auch die Halbierungsinitianten bringen da nicht viel Inhalt zustande. Oder habe ich etwas verpasst?

Diese konkrete Diskussion wäre aber wichtig. So stelle ich fest, dass insbesondere in den politischen Sendegefässen die SRG ebenfalls nicht gefeit ist vor einer konfrontativen und lauten Diskussionsart. Ist eine Geschichte nicht ganz gradlinig zu erzählen, fällt sie weg. Und natürlich gibt es die Frage, wie die SRG junge Menschen erreichen kann – dies vor allem auch digital. Sie hat dazu hohe Investitionen getätigt, schwärmt manchmal auch davon, aber die Wirksamkeit dieser Massnahmen ist mir nicht bekannt.

Wir können nur hoffen, dass die anrollende Debatte auch was Positives bringt und wir neben den eingeübten Schlagworten auch vertieft über die Medienszene Schweiz und die Aufgabe der SRG reden.St

Wo Reisezeitgewinne sinnvoll sind – und wo sie wenig bringen

Ein Thema taucht immer häufiger auf: Wir müssten in der Schweiz ein neues Hochleistungs-Bahnnetz bauen um  mehr Leute auf den Zug zu bringen respektive ans europäische Netz angeschlossen zu sein. Ich habe bereits im Winter eine Stellungnahme geschrieben – wollen wir möglichst viele Leute auf die Bahn bringen, so brauchen wir vor allem ein Umsteigen in den Agglomerationen. Dort ist das Potenzial besonders hoch. In einem Postkartenwunsch hat Florence Vuichard in den CH Medien vom Frecciarossa geschwärmt und Bundesrat Rösti aufgefordert, die alten Pläne für die Haupttransversale wieder auszupacken.

Ich habe darauf mit Skepsis reagiert und viele Reaktionen ausgelöst. Einige finden, wir müssten auch in der Schweiz die Reisezeiten über längere Strecken massiv verkürzen. Ich gehe hier gerne konkreter auf diesen Wunsch nach schnellen Verbindungen ein.

Stundentakt und Knoten – eine Schweizer Errungenschaft

Man darf ruhig auch einmal die Schweiz von aussen betrachten: Im Bereich der Bahn löst sie Bewunderung aus. Vor allem der Stundentakt ist eine tolle Sache, umso mehr dort, wo auch die Knoten funktionieren. Will heissen: Die Züge kommen kurz vor der vollen Stunde (oder halben Stunde) an und die Anschlüsse fahren kurz danach ab. Wenn nicht grad ein Zug steckenbleibt, ergibt das sehr gute Verbindungen überall hin. Unser Problem ist aber: In einigen Städten funktioniert dieser Knoten nicht vollständig. So in Luzern, St. Gallen oder in Lausanne. Die Reisezeiten sind etwas zu lang oder die nachfolgenden Strecken passen nicht in dieses System. Also müssen wir schauen, dass diese Reisezeiten verkürzt werden. Dabei reicht es aber, einige Minuten einzusparen und dazu brauchen wir keine durchgehenden Hochleistungslinien. Die bringen zwar noch weitere Reisezeiteinsparungen, die jenen zugute kommen, die genau diese Strecke fahren, doch ganz viele brauchen noch einen Anschluss.

Schnelle Verbindungen bis zur Grenze – und dann?

Immer wieder wird daran erinnert, dass uns mit der NEAT eine Reisezeit Zürich – Milano von gut 2 Stunden versprochen wurde. Es sind heute deutlich über 3 Stunden. Das kann man den fehlenden Zufahrtslinien zum Basistunnel ankreiden. Nur: Früher war es möglich, Lugano – Milano in 1 Stunde zu fahren – wie das Fahrplanbeispiel 1961 zeigt und da gab es noch Grenzkontrollen – heute ist es mindestens 1 Viertelstunde mehr.  Und wer von Luzern kommt, steigt aus dem IC nach Milano aus und ist mit der Regionalbahn eine halbe Stunde schneller. Grund: Die Regionalbahnen haben im Raum Mailand Vortritt. Verständlich aus Sicht dieser Metropole, sehr ärgerlich für unsere international Reisenden. Aber lohnt es sich in einer solchen Situation mit Milliardenbeträgen zum Beispiel im Kanton Schwyz und Uri die Zufahrt zum Tunnel um einige Minuten zu verkürzen? 

Wer bezahlts am Schluss?

Viele sind jeweils enttäuscht, dass ich als Grüner auch finanziell argumentiere. Tja, ich würde liebend gerne mehr Mittel bereit stellen für den nötigen Bahnausbau. Nur: Von allen Fans von Neubaustrecken quer durch die Schweiz habe ich noch nie einen Finanzierungsvorschlag gehört. Ich hoffe, diese Projekte sind zusätzlich zu den bereits beschlossenen Ausbauten gedacht. Man beschäftigt sich lieber mit der Planung neuer Linien und nimmt gerne den Zeichenstift in die Hand, die ordinäre Frage nach der Finanzierung lässt man weg. Dabei hat nicht einmal der Vorschlag der Grünen für etwas mehr Geld zu Gunsten der Agglomerationsprogramme eine Mehrheit gefunden.  Andere Vorschläge sind eine weitere Stärkung der öV-Finanzen, eine Umverlagerung vom Autobahnausbau zur Bahn. Wer aber nicht bereit ist, die Mittel zur Verfügung zu stellen, heizt den Konkurrenzdruck zwischen den Projekten an. Dazu kommt noch die unsägliche Abbaurunde des Bundes, die den regionalen Personenverkehr zwingen würde, rund 8 Prozent einzusparen.

Handwerk ist gefragt

SBB und das zuständige Bundesamt für Verkehr (BAV) haben massive Probleme, die beschlossenen Projekte umzusetzen. So verzögert sich namentlich der Bau des Zimmerbergtunnels, die SBB kündigten an, vor 2033 keine neuen Grossbaustellen an bestehenden Strecken zu eröffnen und der ganze Fahrplan 2035 muss überarbeitet werden, mit einschneidenden Folgen resp. Verschlechterungen, wie es die Eisenbahnrevue detailliert aufzeigt. Der Bahnhofausbau Lausanne ist ein Desaster mit einer komplett neuen Planung. Die Projekte Basel und Luzern sollen etappiert werden. Ich habe schon vor einem Jahr die Frage gestellt, ob jetzt Planung und Bau der beschlossenen Projekte besser laufen oder all diese Negativmeldungen nur zeigen, dass da etwas komplett aus den Schienen gefallen ist. Hier ist auch die Politik in der Verantwortung, genau hinzuschauen und auf eine fristgerechte Umsetzung der Parlamentsbeschlüsse zu pochen.

Ich meine: Bevor wir über völlig neue Projekte reden, sollten wir die lange Liste der dringlichen Ausbauten erledigen. Ich hoffe sehr, dass ich hier auf die Hartnäckigkeit der Bahnfreund*innen zählen kann.

 

Wenn die Politik ihren eigenen Zielen widerspricht – Autobahnausbau holla!

Die Stossrichtung in allen Papieren und Strategien ist klar: Der öffentliche Verkehr muss gestärkt werden, der Modalsplit zu seinen Gunsten verändert werden, in Agglomerationen soll zusätzlicher Verkehr mit öV, Velo und Fussverkehr aufgefangen werden und über allem schweben die vier V: Vermeiden, Verlagern, Vernetzen und Verträglich gestalten. Egal, ob das eine Luzerner Mobilitätsstrategie ist, ein kantonaler Richtplan oder ein Sachplan Verkehr des Bundes, diese Grundsätze gelten.

In diese Richtung muss es auch gehen, wenn wir die klimapolitischen Ziele des Bundes zu erreichen sollen. Mehrere Studien zeigen, dass es nicht mit der Elektrifizierung des heutigen Autoverkehrs getan ist, sondern eben auch ein Umsteigen braucht. Einerseits ist die Herstellung der Autos nicht CO2-neutral und andererseits müssen wir haushälterisch mit erneuerbaren Energien umgehen. Und ganz abgesehen davon leiden viele Städte und Dörfer unter dem Lärm und unglaublichen Platzverbrauch der Autos.

Viele nicken, wenn es um die Grundsätze geht, doch in der politischen Realität  tut sich die Mehrheit mit diesen Vorgaben schwer. Namentlich mit dem ersten: Zum Thema Vermeiden erscheint dann immer nur das Stichwort Homeoffice und vielleicht noch flexiblere Arbeitszeiten. Auch das Thema Verlagern wurde zwar vom Parlament mit Vorstössen zur Erhöhung des öV-Anteils am Modalsplit bestärkt, man ist auch gerne bereit, den öV noch etwas stärker zu unterstützen. Doch dann ist rasch einmal Schluss, denn an der gleichzeitigen Förderung des Autoverkehrs rührt die Mehrheit nicht. So geschehen in der Verkehrskommission des Nationalrates gestern. Beim Thema Autobahnausbau leuchten die Augen vieler und ja, Papier ist dann sehr geduldig.  Die übliche Argumentation lautet, man solle Auto und Bahn nicht gegeneinander ausspielen und damit wird die Diskussion abgewürgt.

Die Kommission hat den Ausbau von vier Autobahnabschnitten abgesegnet und sogar ein weiteres Projekt aufgenommen. Die Aufnahme des Projekts am Genfersee ist besonders pikant: Bundesrat Rösti hat es an seiner 100 Tage Medienkonferenz quasi bestellt («Wenn das Parlament (…) die Westschweiz noch spezifisch berücksichtigen will, finde ich dies aus einer übergeordneten Landessicht durchaus verständlich.» ) und die Kommission hat es prompt zwei Wochen später umgesetzt.

Sogenannte Engpässe sollen beseitigt werden. Dabei zeigen die Verkehrszahlen dieser Autobahnabschnitte, dass im realen Leben die Verkehrswende längst begonnen hat. Der Verkehr nimmt auf diesen Strecken seit fünf Jahren nicht mehr zu. Der Knick begann bereits 2018 und 2019, also vor Corona. Dabei ist es egal, ob die Staustunden zuvor besonders hoch waren. Auch in den Städten nimmt der Autoverkehr ab, die Theorie des zuständigen Bundesamtes ASTRA ist damit auch widerlegt. Dieses argumentiert, dass der Autobahnausbau nötig sei, damit der Verkehr nicht auf das untergeordnete Strassennetz ausweicht.

Während die bürgerliche Mehrheit im Bundesparlament also den Autobahnausbau vorantreiben will, fahren die Leute etwas weniger herum und sie setzen sich nach der Coronadelle wieder vermehrt in den öffentlichen Verkehr. Es ist einigermassen anarchronistisch und gegen die Ziele der Verkehrspolitik, wenn jetzt die Autobahnen wieder ausgebaut werden und damit ein Trend zurück in die falsche Richtung gesetzt wird. Denn Beispiele aus der Region Luzern haben gezeigt, dass dies fatale Folgen hat. Im letzten öV-Bericht des Kantons wurde gezeigt, dass die beiden neuen Autobahnzubringer Rothenburg und Buchrain in diesen Regionen den öV schwächten. Selbst ein Ausbau der öV-Linien konnte den Wettbewerbsvorteil des Autos durch raschere Verbindungen nicht wettmachen.

Dies ist kein Wunder: Verkehrspolitik ist zwar eine sehr emotionale Sache und die Benützung eines Verkehrsmittels hat oft mit Prestige und Bildern zu tun, aber letztlich entscheiden sich doch sehr viele Leute rational. Wie rasch komme ich vorwärts, wie bequem und einfach bin ich unterwegs. Hat jemand einen Autobahnanschluss vor der Haustür und einen Parkplatz am Zielort auf sicher, dann fällt die Entscheidung häufiger gegen den öV. Bringt mich dieser direkt, ohne grösseren Zeitunterschied und vor allem pünktlich an diesen Ort, ist dieses Transportmittel im Vorteil. Gleiches gilt für eine sichere Veloverbindung.

Leider nimmt die nationale Politik diese Erfahrungen nicht ernst. Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit machen aber Mut: In Bern wurden zwei Umfahrungsprojekte nur noch einigermassen bis sehr knapp angenommen.  In vielen Agglomerationen nimmt der öV-Anteil zu und die Erfahrung lehrt, dass der Autoanteil am Verkehr umso niedriger ist, umso dichter eine Siedlung ist.

Man sagt es nicht gerne als Politiker im nationalen Parlament: Aber die Hoffnung ist klein, dass von dieser Seite ernsthafte Anstrengungen kommen, um eine fortschrittliche und klimataugliche Verkehrspolitik umzusetzen.

Waffen liefern? Eine Auslegeordnung

Viele Anfragen, und eine schwierige Entscheidung: Soll die Schweiz die Regeln der Waffenausfuhr zu Gunsten der Ukraine ändern? Die Diskussion ist vielschichtig, es geht um moralische Fragen, rechtliche Auslegungen, es geht um sehr konkrete Frage, in denen gleichzeitig viel Grundsätzliches steckt. Wir diskutieren konkret über einige Tausend Schuss Munition und einige Fahrzeuge, die Deutschland und Spanien in der Schweiz gekauft haben und an die Ukraine weitergeben wollen, wir diskutieren allgemeiner über die Forderung, dass die Schweiz in diesem Angriffskrieg den vom Aggressor überfallenen Staat auch militärisch unterstützen soll und wir diskutieren damit immer auch über die Schweizer Neutralität.

Eine Vorbemerkung: Für mich ist völlig klar, dass die Ukraine auf möglichst viele Arten unterstützt werden muss. Sie wurde angegriffen, dieser Krieg ist absolut verwerflich und ohne Wenn und Aber zu verurteilen. Die Verhandlungsaufrufe von Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht sind zynisch und in der Verwischung der Täter- und Opferrolle unerträglich.

Auch wer sich möglichst weit von dieser Haltung abgrenzen will, kommt nicht umhin, in dieser schwierigen Situation mehrere Fragen sorgfältig zu beantworten.

Zur konkreten Frage der Munitionslieferung: Deutschland und Spanien können in der Schweiz gekaufte Munition nicht weitergeben, weil sie eine Klausel unterschrieben haben, die dies verbietet. Diese Klauseln gibt es, damit die Schweizer Regeln des Waffenexportes nicht umgangen werden. Sie verbieten, in Kriegsgebiete Waffen zu liefern. Die Grünen haben immer strenge Regeln zu Waffenausfuhr gefordert und die kürzlich erfolgte Verschärfung mitinitiiert. Wir müssen also unser Kriegsmaterialgesetz ändern, wenn wir diese Lieferungen ermöglichen wollen. Dabei kursieren diverse Varianten. Sie zeigen alle, wie schwierig die Frage ist: Es werden willkürliche Vorgaben gemacht, wann ein Staat trotz gegenteiliger Abmachung Schweizer Waffen weiterexportieren dürfte und sie wollen dies auch nachträglich für bereits geliefertes Material ermöglichen. Zum Beispiel fünf Jahre nach dem Kauf und wenn die Uno-Vollversammlung mit einer Zweidrittelmehrheit diesen Krieg verurteilt hat. Mit einer «Lex Ukraine» will man helfen, aber wir würden eine komplizierte Ausnahmeregel schaffen, die nach Meinung der klaren Mehrheit der Experten und des Bundesrates mit der Neutralität nicht kompatibel ist. Dies alles für ein paar Tausend Schuss Munition. Nach langem Abwägen finde ich das falsch.

Kommen wir zur zweiten Frage der Waffenlieferungen allgemein: Viele Personen, die sich zu Wort melden, stellen eine viel grundsätzlichere Frage. Muss die Schweiz die Ukraine nicht auch militärisch unterstützen? Schliesslich verteidigt die Ukraine Werte, die uns wichtig sind und in diesem Krieg ist überdeutlich klar, wer der Aggressor ist. Will die Schweiz direkt Waffen liefern, aber eigentlich bereits bei der ersten Frage zur Munition, müssen wir sehr schnell und sehr aktiv eine Diskussion über unsere Neutralität führen. Die Grundregeln sind hier klar, und eine lautet: «alle Kriegsparteien im Hinblick auf den Export von Rüstungsgütern gleich zu behandeln.» Nun kann man die Neutralität veraltet finden oder schlicht falsch, aber vor einem Einstieg in den Waffenexport müsste die Schweiz die Neutralität neu definieren oder eben abschaffen, wie es Finnland tut. Das ist die richtige Reihenfolge einer Diskussion – es geht eben nicht umgekehrt, dass wir zuerst über Ausnahmebestimmungen Waffenexporte zulassen und erst nachher die grundsätzliche Regel anpassen. Das ist wichtig: Wenn wir Rechtsstaatlichkeit verteidigen wollen, müssen wir sie selber hochhalten und dann können wir die Diskussion nicht am falschen Ende beginnen.

Was ist nun mit der Neutralität? Die Neutralität ist für mich – wie soll ich es formulieren – stark befleckt. Sie war lange auch Deckmantel für eine Schweiz und eine Schweizer Wirtschaft, die mit allen Geschäfte betrieb und wenig Verantwortung übernahm und sie ist ein Synonym für ein Durchmogeln, das wir Grünen stets kritisierten. Nur: Die Neutralität hat auch eine andere Seite. Die Schweiz hat verschiedene Schutzmachtmandate für andere Staaten, sie ist Depositarstaat etwa der Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht und in Genf befinden sich wichtige internationale Organisationen. Diese Dienste sind auch heute noch aktuell – so wünscht zum Beispiel die Ukraine, dass die Schweiz ihre Interessen in Russland vertritt. Die Schweiz hat sich als Staat positioniert, der eine eigenständige Rolle spielt und in der Aussenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit Ziele verfolgt, die die Stärkung der Zivilgesellschaft, humanitäre Hilfe und Demokratie ins Zentrum stellt. Auch wenn da viel Zwiespältiges dabei ist und unser gegenwärtiger Aussenminister nicht gerade vor Tatendrang und Aktivitäten strotzt, ich möchte diese Werte und Positionen der Schweiz nicht aufgeben. Die Neutralität mit allen Facetten ist ein Grundwert der Schweiz, sie aufzugeben, bedürfte einer intensiven Diskussion.

Oft höre ich auch den Zuruf: In diesem Konflikt kann man nicht neutral sein. Das müssen wir auch nicht: Die Schweiz hat die Aggression Russlands sehr klar verurteilt und trägt die Sanktionen mit (der Bundesrat brauchte dazu zu Beginn des Kriegs einen kurzen Schubs). Die Neutralitätspolitik lässt dies zu und verdammt uns nicht zur Untätigkeit. Die Neutralitätspolitik ist viel breiter als das Neutralitätsrecht, das genau den Kern der militärischen Auseinandersetzung betrifft.

Und in diesem Bereich kann die Schweiz einfach noch viel mehr machen.

  • In der Debatte um den Voranschlag 2023 haben wir Anträge für die Erhöhung von Beiträgen an die Ukraine unterstützt. Sie wurden abgelehnt.
  • Im Januar haben wir Grünen gefordert, dass unsere Gasturbinen nicht in der Schweiz montiert, sondern gleich in die Ukraine geliefert würden, um die Elektritätsversorgung vor Ort zu unterstützen.
  • Es braucht viel mehr Anstrengungen, um die Oligarchengelder in der Schweiz einzufrieren. Heute sind schätzungsweise erst 8 von rund 200 Milliarden Franken eingefroren.
  • Wir brauchen Kontrolle der Rohstofffirmen und jetzt eine Abschöpfung der riesigen Übergewinne, die zum Beispiel Glencore auf Grund der gestiegenen Preise gemacht hat. Diese Kriegsgewinne müssen für humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau in der Ukraine zur Verfügung stehen. Ein grosser Teil des Rohstoffhandels wird in der Schweiz getätigt. Damit läuft die Finanzierung des russischen Staates und des Kriegs über unser Land. Darüber müssen wir sprechen.

Und zuletzt: Wir müssen die Diskussion über diese Wiederausfuhrmöglichkeiten in den Kontext der generellen Waffenausfuhrdiskussion stellen. Insbesondere die FDP argumentiert, dass das vor kurzem verschärfte Kriegsmaterialgesetz zu restriktiv sei und dass wir es lockern müssten, damit die heimische Kriegsmaterialindustrie mehr exportieren könne – sonst nehme sie Schaden. Es geht also bei der Lockerung der Wiederausfuhr vielen nicht zuerst um die Ukraine, sondern einmal mehr um wirtschaftliche Interessen von Schweizer Waffenfirmen.

Die wiederentdeckte Liebe zur Geschwindigkeit

Schon immer begeisterten Neubaustrecken für die Eisenbahn Planerköpfe. Wie viele Linien wurden geplant, eingezeichnet, einige dann auch gebaut. Wir haben das auch beim Durchgangsbahnhof erlebt: Ein wahres Planungsfieber mit kühnen, interessanten aber auch abstrusen Vorschlägen.

In letzter Zeit gab es einen neuen Schub: Es soll auch in der Schweiz vorwärts gehen mit Hochgeschwindigkeitslinien. So hat kürzlich der Nationalrat gegen den Willen der Grünen einer Motion zugestimmt, die komplett neue Linien verlangt um ähnlich wie im Ausland mit hohen Geschwindigkeiten die Zentren auf neuen Trassen zu verbinden. Das Projekt läuft unter dem Titel Verkehrskreuz Schweiz. Ins gleiche Horn hat der CH-Media-Redaktor Francesco Benini gestossen. Er sieht es als „jämmerliche Leistung“ an, dass die Züge von Basel nach Zürich eine Stunde brauchen. Was schon mal nicht ganz stimmt, denn halbstündlich verkehren Züge in 53 bzw. 54 Minuten.  Er fordert zum Beispiel eine Verkürzung der Reisezeit von Zürich nach Bern auf eine halbe Stunde.

Die Promotoren des Verkehrskreuz Schweiz argumentieren mit einem hohen Umsteigeeffekt auf die Bahn, wenn Hochgeschwindigkeitslinien gebaut werden, sie argumentieren mit Zahlen des TGV. Aber stimmt das auch? Zuerst: Ihr Vergleich hinkt massiv. Tatsächlich hat der TGV massiv Leute auf die Bahn gebracht. Die Zahlen lassen aber die Vermutung zu, dass sie auf Linien wie Marseille-Paris oder Bordeaux-Paris hauptsächlich vom Flugzeug auf die Bahn und viel weniger vom Auto auf die Bahn umgestiegen sind. Zwischen Bern und Zürich gibt es schlicht keine Flüge zu verlagern.

Kommen auch sonst mehr Leute auf die Bahn dank Hochgeschwindigkeitszügen? Dieser Frage ist auch der Bund nachgegangen mit seinem  Bericht zur Bahn 2050. Er hat darin verschiedene Varianten geprüft. Und er kommt zum Schluss: Ja, Hochgeschwindigkeitszüge bringen mehr Bahnverkehr. Der Anteil des öffentlichen Verkehrs am Modalsplit nimmt zu. Aber: Es ist hauptsächlich zusätzlicher Verkehr. Für die Begründung muss man etwas ausholen. Dieser Anstieg ist aber stark darauf zurückzuführen, dass die Leute bei hohen Bahngeschwindigkeiten ihre Reise- und Pendlergewohnheiten anpassen. Es gibt dann vermehrt Berner*innen, die nicht nach Zürich pendeln, sondern bis nach Winterthur oder noch weiter. Und Luzerner*innen pendeln dann vermehrt nicht nur nach Bern, sondern nach Fribourg und sogar Lausanne wird dann erreichbar. Das bedeutet, die Fahrkilometer in der Bahn nehmen stark zu. Das heisst aber noch nicht, dass auch der Autoverkehr abnimmt. Das Konzept Bahn 2050 empfiehlt deshalb eine Konzentration auf den Ausbau der Bahnleistungen bei kurzen und mittleren Strecken, da hier ein hohes Umsteigepotenzial vorhanden ist. Fernverkehrsstrecken sollen gezielt dort ausgebaut werden, wo die Bahn heute gegenüber dem Auto nicht konkurrenzfähig ist. 

Diese Fokussierung ist sinnvoll. Wir erleben dies am Beispiel Luzern. Auf Linien quer durch die Agglomeration ist die Bahn wegen des Kopfbahnhofs sehr lange unterwegs. Paradebeispiel ist die Strecke Emmenbrücke – Ebikon. Gute 7 Kilometer Distanz, mit dem Zug braucht es 20 Minuten und mehr. Kein Wunder, findet der öV in Luzern auch über weitere Strecken auf der Strasse statt, was seinem Tempo aber ebenfalls nicht dienlich ist. Ähnliche  Probleme gibt es in anderen Agglomerationen wie etwa dem Genfersee entlang, wo es dann vor allem an Kapazitäten mangelt.

Die Promotoren dieser Hochleistungsstrecken gehen nie auf die Kostenfrage ein. Oder sie argumentieren pauschal, dass eine Neubaustrecke günstiger sei als das Bauen an bestehenden Strecken. Das mag punktuell so sein, wenn zum Beispiel ein Bahnhof umgebaut werden muss – dafür vergessen sie, dass der Nutzen auch kleiner ist, wenn Neubaustrecken nur ganz grosse Zentren verbindet und alle kleinen und mittleren Stationen auf der Seite lässt. Und vor allem: Sie lassen ausser acht, dass wir auch im Bahnbau nur noch mit sehr vielen Auflagen und grossem Widerstand quer durch die Landschaft Neubaulinien verwirklichen könnten. Eine rote Linie ist rasch mal auf der Landkarte eingezeichnet, aber das ist dann von der Realisierung noch etwas weit weg.

Und nur noch als Nebensatz: Der TGV ist in Frankreich ganz klar ein Erfolgsprojekt. Die Bahnpolitik insgesamt aber schon deutlich weniger. Von Strasbourg ist man in 5 Stunden in Bordeaux. Unglaublich! Wer dann aber 200 oder 300 Kilometer ins Innere Frankreichs geht, kommt mit dem öV kaum noch zurück nach Bordeaux und findet nur noch verlassene Bahnhöfe und stillgelegte Geleise vor.

Wer also wirklich etwas fürs Umsteigen und für die Klimabilanz machen will, der setzt sich dafür ein, dass der öV mithilfe eines Bahnausbaus in den Agglomerationen und zwischen den Subzentren massiv gestärkt wird und er oder sie produziert nicht noch mehr Verkehr durch Hochgeschwindigkeitsangebote.

SRG zur Zulieferbetrieb für private Medien degradieren? Ein verhängnisvolle Idee der Avenir Suisse

Avenir Suisse hat in einem neuen Bericht die Medienlandschaft analysiert und einen Vorschlag für eine Umkrempelung der SRG gemacht. Zuerst: Es freut mich, dass auch Avenir Suisse die Idee aufnimmt, gute Medienrecherchen zu unterstützen. Dazu habe ich einen Vorstoss für einen Recherchefonds eingereicht. Nur: Da hören die Gemeinsamkeiten schon auf.

Angefangen bei der Analyse der heutigen Situation. Die Studie negiert die Probleme bei den Medien nicht und es gibt ein paar eindrückliche Grafiken zum Sinkflug an Werbeeinnahmen. Allerdings fehlt dann eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Folgen dieses Schrumpfprozesses. Gleichzeitig wird mit Blick auf das Internet von einem Angebot gesprochen, das ins Unermessliche ansteige, von einer Informationsüberflutung auf Grund von Digitalisierung und Globalisierung. Letzteres ist ein gutes Stichwort: Die Studie bleibt auf einer nationalen Flughöhe hängen, sie schafft nicht den Blick in die Sprachregionen, geschweige denn in lokale Verhältnisse. Tatsächlich kann ich mich über die Resultate zu den Zwischenwahlen in den USA auf unzähligen Kanälen informieren. Etwas schwieriger wird es, wenn ich aus Schweizer Sicht einen guten Kommentar dazu lesen will – doch auch das wird mir geboten, je nachdem hinter einer Bezahlschranke. Wenn ich aber eine gute Berichterstattung zur kommunalen Vorlage über die Krienser Billettsteuer lesen will oder eine Kulturberichterstattung vor Ort suche, dann wird es einiges monotoner. Rund um Luzern berichten mit LZ, zentralplus und dem Regionaljournal noch drei Medien, aber das eine oder andere Thema geht da leicht unter. In vielen Regionen hängt die Berichterstattung von einem Medium ab. In diesen Bereichen hat das Internet zwar den Vertriebskanal erleichtert, aber inhaltlich wenig zu einer Vielfalt beigetragen, die Kommunalpolitik auf der Allmende der digitalen Welt findet nicht statt.

Gleichzeitig negiert dieser nationale Blick die Probleme kleinerer Medien. Es ist nicht falsch, dass grössere Medien mit Bezahlmodi für Onlineangebote, mit Digitalwerbung und eigenen Plattformen im attraktiven Bereich von Jobs oder Wohnungen Fortschritte machen und Umsatz generieren. Kleinere Medien schaffen das aber nicht und sie werden es auch nie schaffen. Ihnen fehlt die Reichweite und für viele Angebote gibt es schlicht keinen lokalen oder regionalen Markt. Die Wohnungsinserate werden in digitaler Form nie zum Entlebucher Anzeiger zurückkehren. Auch die Jobinserate nicht. Die Aussichten dieser Zeitungen sind und bleiben düster.

Aber eigentlich kommt bis zu diesem Punkt der Analyse nichts Unerwartetes. Es ist etwas viel von Markt die Rede, einige richtige Analysen und einige etwas penible Kritiken an irgendwelchen Lokalblättern, die durch Gemeinden gesponsert werden. Nein, der eigentliche Hammer kommt mit der Zerschlagung der SRG, die von Avenir Suisse vorgeschlagen wird. Die SRG soll nur noch produzieren, aber kein eigenes Programm mehr haben. Das funktioniert etwa so: Die SRG produziert nur noch, was die Privaten selber nicht machen. Was der Markt nicht hergibt, darf also die SRG liefern. Diese Inhalte würden dann unter den privaten Medien versteigert, die sie dann publizieren. Damit würden die Aufgaben der SRG massiv zusammenfallen und die Haushaltsabgabe könnte massiv gesenkt werden.

Da stellen sich zuerst praktische Fragen: Wer soll Inhalte per Auktion erwerben, die gemäss Definition vom Markt nicht finanziert werden? Wer interessiert sich für Nischenprodukte, Angebote für ein spezielles Zielpublikum, eben genau für jene Sendungen, die heute die SRG gemäss Konzession recherchiert, produziert und ausstrahlt? Und wenn sie dann jemand «auktioniert», sind es nicht die zahlungskräftigeren Medien, die sich noch etwas mehr Marktanteil verschaffen und kleinere Marktteilnehmer*innen vollends verdrängen? Wie sollen kleiner Medien da mithalten? Gerade sie sind heute darauf angewiesen, dass sie sich zum Beispiel auf die lokale Berichterstattung konzentrieren können und ihre Leser*innen / Zuschauer*innen auf dem nationalen Parkett bei der SRG informieren können.

Aus dieser Frage folgt die grundsätzlichere Kritik an diesem Ansatz: Der Avenir-Suisse-Vorschlag geht davon aus, dass die SRG heute die privaten Medien konkurrenziert und ihnen das Leben schwer macht. Dieser Konkurrenzkampf zwischen Privaten und SRG wird zwar oft zitiert, aber gibt es ihn überhaupt? Mindestens auf dem Werbemarkt hocken alle im gleichen Boot und verlieren Einnahmen um Einnahmen. Mir ist keine Untersuchung bekannt, die zeigen würde, dass die SRG private Medien verdrängt.

Für kleinere Medien ist völlig klar: Die SRG ist komplementär zu ihnen respektive umgekehrt. Beide ergänzen sich, Lokalmedien schaffen eine Berichterstattung dort, wo die SRG dies nicht leisten kann und die SRG berichtet über internationale und nationale Themen. Bei den grösseren Medienhäusern mag diese Situation anders sein. Nur: Sie stehen untereinander bereits in Konkurrenz und die SRG ist eine weitere Playerin auf einem Feld von mehreren Mitspieler*innen. CH Medien, TX Group, Ringier und NZZ können und sollen zu Gunsten der Medienvielfalt damit leben.

Aber auch mit diesen Fragen ist der Kern des Missverständnisses von Avenir Suisse noch nicht geklärt. Avenir Suisse ist der Meinung, dass ein amerikanischer Wissenschaftspodcast über Biodiversität oder ein koreanischer Spielfilm über alternative Lebensentwürfe die politische Debatte in der Schweiz stärker prägen könne als eine Diskussionssendung im heimischen Fernsehen. Kann sein, dass ein herausragendes Produkt weltweit Diskussionen auslöst – und soll auch heute so sein – aber diese Vorstellung geht von einem etwas platten Bild eines Global Village aus. Wir kommen nicht drum rum, vor Ort die Übersetzungs- und Deutungsarbeit zu leisten und die Diskussion fortzuführen und auf unsere Verhältnisse runterzubrechen. Viele Begriffe, Phänomene, Ereignisse werden je nach Ort ganz unterschiedlich gelesen. Wer eine Diskussion aus den USA zu einem Themen eins zu eins in die Schweiz übernimmt, läuft rasch Gefahr, im Gestrüpp zu landen. Genau das ist die Aufgabe unserer heimischen Medien und es ist speziell die Aufgabe der SRG auch die nationale Klammer herzustellen. Und diese nationale Klammer braucht es übrigens nicht nur bei den harten Faktensendungen, sondern auch im kulturellen, sportlichen oder gesellschaftlichen Bereich – aber das wäre nochmals eine andere Diskussion.

Zuletzt, aber wichtig: Bei aller Kritik, die an der SRG immer wieder angebracht wird: Ihre Sendungen sind von hoher Qualität und werden auch vom Publikum so wahrgenommen. Heute ist das Vertrauen in die Medien vielerorts angeknackst. Deshalb ist es absolut zentral, dass die SRG auch weiterhin über eigene Kanäle ihre Inhalte verbreiten kann und das Vertrauen nicht abhängig vom Sendekanal ist.

Bahnausbau: Etwas Verzögerung oder ist da schon was entgleist?

Im letzten Herbst wurden die neuen Verkehrsperspektiven publiziert. Noch ist nicht die Verkehrswende angesagt, aber ein Trend hin zu öV und Veloverkehr. Bis 2050 soll im Basiszenario der öV Anteil von heute 21 Prozent auf 24 Prozent ansteigen. Gleichzeitig ist klar: Das genügt noch nicht, um die Klimaziele zu erreichen.

Für eine klimaneutrale Schweiz brauchen wir einiges mehr: Eine Studie von Infras zeigt auf, dass bis 2050 der öV-Anteil am Verkehr verdoppelt werden müsste. Dies bedeutet vor allem einen enormen Ausbau im Betrieb, verkehrslenkende Massnahmen, aber ohne Infrastruktur wird dies nicht bewältigbar sein.

Die Leitplanken zur weiteren Planung der Schieneninfrastruktur in der Schweiz sind also gesetzt. Der Bundesrat hat seine Vision im Juni dieses Jahres mit dem Bericht Perspektive Bahn 2050 veröffentlicht. Der Bundesrat hat darin verschiedene Varianten für eine Weiterentwicklung verglichen und kommt zum Schluss, dass mit einem Ausbau des Bahnangebots im Agglomerationsverkehr der höchste Nutzen erreicht werden kann. Ein Ausbau des Fernverkehrs würde zwar noch mehr Personenkilometer im öV ermöglichen, doch das würde auch zu vielen zusätzliche Fahrten führen – also Mehrverkehr. Im Fokus muss aber das Umsteigen stehen. Der Bundesrat hält zugleich fest, dass es mit dem Bahnausbau nicht getan ist, sondern weitere Massnahmen und Regulierungen nötig sind. Ohne diese bestehe sogar die Gefahr, dass der Bahnausbau nicht den erwünschten Effekt erzielen könne. Verständlich, dass diese Massnahmen nicht in diesem Infrastruktur-Bericht genannt werden, aber sie müssen geliefert werden (und politisch beschlossen werden…). Das Warten auf den weiteren Fortgang bei Mobility-Pricing lässt grüssen.

Der Fokus auf den Agglomerationsverkehr ist richtig. Wir müssen möglichst viele Personen auf den öV bringen, das ist viel wichtiger, als auf weiten Strecken noch etwas mehr Zeitgewinn zu erreichen.

So weit so mässig bis gut. Der zweite Teil des Berichts löst dann etwas mehr Stirnrunzeln aus. Er beschäftigt sich mit dem Stand der Ausbauprogramme und den weiteren Schritten. Wenn man diesen Bericht liest, fragt man sich, ob der Ausbau der Infrastruktur noch einigermassen auf Kurs ist oder schon entgleist ist. Wie ein roter Faden zieht sich die Frage der Verzögerungen von Projekten und Aufschieben weiterer Entscheide durch das Dokument. Richtig, wenn jetzt viele Fragen aufgeworfen werden, aber sie brauchen auch Antworten und diese sind erst für später in Aussicht gestellt.

Verzögerung, soweit das Auge reicht

Gemäss Bericht zeichnet sich bei der Umsetzung des Angebotskonzepts 2035 eine Verzögerung von drei bis fünf Jahre ab. Wir konnten schon lesen, dass einige Grossprojekte wie der Zimmerbergbasistunnel oder am Genfersee einige Jahre später angefangen werden können. Ja noch schlimmer: An anderer Stelle wird die Frage aufgeworfen, ob dieses Angebotskonzept überhaupt realisiert werden kann, weil es nach neuen Einschätzungen der SBB keinen stabilen Fahrplan ermöglicht. Bei Bauprojekten sind Verzögerungen keine Überraschung, doch ist unklar, welchen Handorgel-Effekt diese auf den ganzen Ausbau haben. Kumulieren sich die Verzögerungen? Verunmöglichen sie andere Projekte? Wann gibt es eine neue Zeitplanung? Und: Was sind die Konsequenzen aus der SBB-Einschätzung zur Fahrplanstabilität?

Wie geht es mit der Planung weiter?

Unklar bis sehr beunruhigend ist die weitere Planung. Bisher ging man davon aus, dass der nächste Ausbauschritt 2026 im Parlament sein wird, dies wurde 2019 auch explizit im Beschlussestext zum Ausbauschritt 2035 von den Räten beschlossen, aufgezählt sind mehrere Projekte, die in diesem nächsten Ausbauschritt geprüft werden müssen, unter anderem der Durchgangsbahnhof Luzern. Nun aber schreibt der Bundesrat, dass in einer Botschaft 2026 das Angebotskonzept 2035 weiterentwickelt werde und erste Etappen von einzelnen Massnahmen gemäss dem Beschluss von 2019 realisiert würden. Auch das ist ein Pluspunkt für den Durchgangsbahnhof Luzern – aber von einem eigentlichen Ausbauschritt ist keine Rede mehr. Dieser wird auf das Jahr 2030 verschoben. Das entspricht aber nicht mehr den Parlamentsbeschlüssen von 2019 – wie gehen wir damit um?

Genauigkeit der Planung erhöhen

Ein Ziel muss sein, dass die Grundlagen für die politischen Entscheide präziser werden. Eine Verteuerung eines Projektes wie beim Zimmerbergtunnel auf Grund von neuen Sicherheitsvorschriften sollte nicht passieren. Weshalb war das beim Beschluss nicht klar? Sind die Kostenschätzungen und Projekte zu rudimentär? Wo müssten Planungskompetenzen gestärkt werden?

Wer bestimmt den Takt des Ausbaus?

An mehreren Stellen schreibt der Bundesrat, dass «gemäss Aussagen der SBB» bis 2033 in ihrem Netz keine neuen Bauprojekte mit Netzbezug gestartet werden können. Sicherlich, die SBB kennen ihr Netz und vor allem die Schwierigkeiten von gleichzeitigem Bauen und Aufrechterhaltung des Betriebs am besten. Gleichzeitig hat die Politik Ausbauschritte beschlossen und die Verwaltung hat sie vorbereitet und muss sie umsetzen. Sind nun Verwaltung und Bundesrat ebenfalls der Meinung, dass keine grösseren Projekte auf dem bestehenden Netz begonnen werden können? Überlässt man faktisch die Beurteilung darüber den SBB? Die Problematik, dass es immer schwieriger wird, im bestehenden Netz grössere Eingriffe zu machen, wurde in den Medien zwar schon diskutiert, aber die Konsequenzen daraus sind überhaupt nicht klar.

Und für die Luzerner*innen: Gibt es Projekte ohne Netzbezug?

Ja klar – der Dreilindentunnel zum Durchgangsbahnhof Luzern kann zum Beispiel gebaut werden, ohne den Bahnbetrieb zu tangieren. Er beeinflusst den eh schon schwierigen Bahnbetrieb in Luzern nicht. Das aber möchten wir gerne bestätigt erhalten. Und nicht zu vergessen: In anderen Regionen wie Zürich oder am Genfersee ist der schwierige Bahnbetrieb bzw. der instabile Fahrplan auch dem vorangegangen Angebotsausbau geschuldet. In Luzern dagegen gab ausser der Zentralbahn keine Infrastrukturausbauten und auch nur unterdurchschnittliche Angebotserweiterungen.

Anziehende Wohnungspreise? Leider sind sie nie wirklich gesunken.

Vor kurzem lasen wir: Die Mietzinse ziehen wieder an. Mehrere Medien meldeten mit Verweis auf verschiedene Statistiken, dass die Angebotsmieten wieder steigen. Verschiedene Immobilienbüros messen die Preise der ausgeschriebenen Wohnungen oder der tatsächlich neu vermieteten Wohnungen. So etwa Wüest und Partner, Fahrländer zusammen mit Immoscout oder der hier abgebildete von Homegate. Und tatsächlich: Mehrere dieser Indizes ziehen schon wieder an, nachdem sie etwa fünf Jahre stagnierten respektive leicht sanken.

Ein Schulterzucken, weil es immer ein Auf und Ab gibt auf dem Markt? Nein, denn in den Jahren zuvor gab es unglaubliche Aufschläge mit massiven Auswirkungen auf das Mietzinsniveau. Und vor allem: Betrachtet man nicht die neu vermieteten Wohnungen, sondern generell alle Mietzinse, so gibt es nur eine Richtung: Sie zeigt nach oben.  Die Mieten steigen ständig weiter.

Das ist tragisch und dürfte nach Mietrecht so nicht sein: Die Kapitalkosten sind der grösste Aufwandposten für die Vermieter*innen und diese sind seit 2009 nur immer gesunken. Die Zinsen haben sich mehr als halbiert. Der Referenzzinssatz ist neun Mal gesunken! Hätten die Mieten tatsächlich etwas mit den realen Kosten der Vermieterschaft zu tun, müssten sie heute viel tiefer liegen. Doch alleine von 2015 bis 2020 ist die Nettomiete einer Durchschnittswohnung von 1306 auf 1373 Franken angestiegen.

Das hat Folgen: Trotz steigenden Löhnen und guter Konjunktur, trotz viel tieferer Kosten für die Vermieterschaft zahlen die Mietenden seit Jahren von ihrem Einkommen prozentual gleich viel fürs Wohnen. Und besonders bitter: Wer wenig verdient, der muss einen immer grösseren Anteil seines Einkommens für ein Dach überm Kopf aufbringen. Bei einem Einkommen von unter 4000 Franken muss ein Haushalt über 36 Prozent dafür ausgeben!

Wohin geht dieses Geld? Wird der Referenzzinssatz einmal gesenkt, sollten überschlagsmässig die Mieten in der Schweiz um rund 1 Milliarde Franken sinken. Diesen Wert mal neun Senkungsrunden ergibt eine gigantische Summe pro Jahr. Umverteilung pur.

Besonders eindrücklich ist der Vergleich der Wohnkosten von Eigentümer*innen und Mietenden. Leider werden diese Zahlen nur alle drei Jahre veröffentlicht, doch es zeigt sich klar: Wer Wohneigentum besitzt, zahlte seit 2008 Jahr für Jahr weniger fürs Wohnen. Eigentlich logisch bei den sinkenden Zinsen. Die Mieter*innen profitierten dagegen nicht. Und etwas zynisch gesagt: Sie bezahlen gleich viel oder mehr Miete und finanzieren so noch die Pensionskassen der Eigentümer mit.

Was läuft falsch bei den Mietpreisen? Lakonisch gesagt: Das Mietrecht schützt zwar Personen, die eine Wohnung haben, vor willkürlichen Aufschlägen (allerdings auch nicht einmal vor ungerechtfertigten Aufschlägen), aber ansonsten ist seine Durchsetzung schwach. Wo der Markt tobt – und das ist dort, wo die Menschen wohnen wollen – steigen die Angebotsmieten weiter an und die im Mietrecht postulierte Kostenmiete findet faktisch wenig bis keine Anwendung.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen hat in der letzten Woche zum Thema ökonomische Aussichten festgehalten: „Die Knappheit im Wohnungsmarkt ist das grösste Problem der Schweiz, nicht die Konjunktur und auch nicht die Inflation.“ Richtig! Nur: In den städtischen Ballungszentren, dort wo die Arbeitsplätze sind und die Menschen wohnen wollen, wird die Knappheit immer vorherrschend sein. Selbstverständlich braucht es auch neuen Wohnraum, aber die Knappheit ist in den Zentren eine historische Konstante.

Genau deshalb braucht es ein Mietrecht, das die Mietenden gegen hohe Mieten schützt, denn kein marktwirtschaftliches Rezept wird diese Probleme lösen. Wo ein endliches Gut vorhanden ist wie beim Boden, ist es Aufgabe der Gemeinschaft, dessen Nutzung zu organisieren.

P.S.: Das wissen wahrscheinlich auch die Vertreter*innen der Hauseigentümerseite. Sie beklagen sich momentan ebenfalls, dass sich immer weniger Personen Wohneigentum leisten können. Klar – wenn die Preise dermassen steigen, wird das für alle, die nicht grosse Summen erben, extrem schwierig. Allerdings haben jene, die heute besitzen, grosse Freude an den Wertsteigerungen. So verirrt sich die Hauseigentümerseite bei der Förderung des Wohneigentums auf Abwege wie Steuererleichterungen in immer neuen Varianten statt dass er das Hauptthema der explodierenden Preise ansprechen würde.