Wo Reisezeitgewinne sinnvoll sind – und wo sie wenig bringen

Ein Thema taucht immer häufiger auf: Wir müssten in der Schweiz ein neues Hochleistungs-Bahnnetz bauen um  mehr Leute auf den Zug zu bringen respektive ans europäische Netz angeschlossen zu sein. Ich habe bereits im Winter eine Stellungnahme geschrieben – wollen wir möglichst viele Leute auf die Bahn bringen, so brauchen wir vor allem ein Umsteigen in den Agglomerationen. Dort ist das Potenzial besonders hoch. In einem Postkartenwunsch hat Florence Vuichard in den CH Medien vom Frecciarossa geschwärmt und Bundesrat Rösti aufgefordert, die alten Pläne für die Haupttransversale wieder auszupacken.

Ich habe darauf mit Skepsis reagiert und viele Reaktionen ausgelöst. Einige finden, wir müssten auch in der Schweiz die Reisezeiten über längere Strecken massiv verkürzen. Ich gehe hier gerne konkreter auf diesen Wunsch nach schnellen Verbindungen ein.

Stundentakt und Knoten – eine Schweizer Errungenschaft

Man darf ruhig auch einmal die Schweiz von aussen betrachten: Im Bereich der Bahn löst sie Bewunderung aus. Vor allem der Stundentakt ist eine tolle Sache, umso mehr dort, wo auch die Knoten funktionieren. Will heissen: Die Züge kommen kurz vor der vollen Stunde (oder halben Stunde) an und die Anschlüsse fahren kurz danach ab. Wenn nicht grad ein Zug steckenbleibt, ergibt das sehr gute Verbindungen überall hin. Unser Problem ist aber: In einigen Städten funktioniert dieser Knoten nicht vollständig. So in Luzern, St. Gallen oder in Lausanne. Die Reisezeiten sind etwas zu lang oder die nachfolgenden Strecken passen nicht in dieses System. Also müssen wir schauen, dass diese Reisezeiten verkürzt werden. Dabei reicht es aber, einige Minuten einzusparen und dazu brauchen wir keine durchgehenden Hochleistungslinien. Die bringen zwar noch weitere Reisezeiteinsparungen, die jenen zugute kommen, die genau diese Strecke fahren, doch ganz viele brauchen noch einen Anschluss.

Schnelle Verbindungen bis zur Grenze – und dann?

Immer wieder wird daran erinnert, dass uns mit der NEAT eine Reisezeit Zürich – Milano von gut 2 Stunden versprochen wurde. Es sind heute deutlich über 3 Stunden. Das kann man den fehlenden Zufahrtslinien zum Basistunnel ankreiden. Nur: Früher war es möglich, Lugano – Milano in 1 Stunde zu fahren – wie das Fahrplanbeispiel 1961 zeigt und da gab es noch Grenzkontrollen – heute ist es mindestens 1 Viertelstunde mehr.  Und wer von Luzern kommt, steigt aus dem IC nach Milano aus und ist mit der Regionalbahn eine halbe Stunde schneller. Grund: Die Regionalbahnen haben im Raum Mailand Vortritt. Verständlich aus Sicht dieser Metropole, sehr ärgerlich für unsere international Reisenden. Aber lohnt es sich in einer solchen Situation mit Milliardenbeträgen zum Beispiel im Kanton Schwyz und Uri die Zufahrt zum Tunnel um einige Minuten zu verkürzen? 

Wer bezahlts am Schluss?

Viele sind jeweils enttäuscht, dass ich als Grüner auch finanziell argumentiere. Tja, ich würde liebend gerne mehr Mittel bereit stellen für den nötigen Bahnausbau. Nur: Von allen Fans von Neubaustrecken quer durch die Schweiz habe ich noch nie einen Finanzierungsvorschlag gehört. Ich hoffe, diese Projekte sind zusätzlich zu den bereits beschlossenen Ausbauten gedacht. Man beschäftigt sich lieber mit der Planung neuer Linien und nimmt gerne den Zeichenstift in die Hand, die ordinäre Frage nach der Finanzierung lässt man weg. Dabei hat nicht einmal der Vorschlag der Grünen für etwas mehr Geld zu Gunsten der Agglomerationsprogramme eine Mehrheit gefunden.  Andere Vorschläge sind eine weitere Stärkung der öV-Finanzen, eine Umverlagerung vom Autobahnausbau zur Bahn. Wer aber nicht bereit ist, die Mittel zur Verfügung zu stellen, heizt den Konkurrenzdruck zwischen den Projekten an. Dazu kommt noch die unsägliche Abbaurunde des Bundes, die den regionalen Personenverkehr zwingen würde, rund 8 Prozent einzusparen.

Handwerk ist gefragt

SBB und das zuständige Bundesamt für Verkehr (BAV) haben massive Probleme, die beschlossenen Projekte umzusetzen. So verzögert sich namentlich der Bau des Zimmerbergtunnels, die SBB kündigten an, vor 2033 keine neuen Grossbaustellen an bestehenden Strecken zu eröffnen und der ganze Fahrplan 2035 muss überarbeitet werden, mit einschneidenden Folgen resp. Verschlechterungen, wie es die Eisenbahnrevue detailliert aufzeigt. Der Bahnhofausbau Lausanne ist ein Desaster mit einer komplett neuen Planung. Die Projekte Basel und Luzern sollen etappiert werden. Ich habe schon vor einem Jahr die Frage gestellt, ob jetzt Planung und Bau der beschlossenen Projekte besser laufen oder all diese Negativmeldungen nur zeigen, dass da etwas komplett aus den Schienen gefallen ist. Hier ist auch die Politik in der Verantwortung, genau hinzuschauen und auf eine fristgerechte Umsetzung der Parlamentsbeschlüsse zu pochen.

Ich meine: Bevor wir über völlig neue Projekte reden, sollten wir die lange Liste der dringlichen Ausbauten erledigen. Ich hoffe sehr, dass ich hier auf die Hartnäckigkeit der Bahnfreund*innen zählen kann.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert