Abbau statt Gestalten – die Prioritäten rechtsbürgerlicher Politik

Die Begriffe ähneln sich stets und kommen so locker daher. Dieses Mal heisst es „Entlastungspaket“, was der Bundesrat am Freitag verkündete. Ein Sammelsurium von Abbau und Stopps, die seinesgleichen suchen. Strategisch nicht schlecht hat der Bundesrat die Gruppe Gaillard vorgeschickt und kann jetzt vermelden, dass er nicht alle Vorschläge übernehmen wolle. Dabei handelt es sich bei seinem Paket um massive Kürzungen.

Als Verkehrs- und Medienpolitiker muss ich sagen: Die Abbauliste widerspricht den Zielen, die das Parlament vorgegeben hat und viele Massnahmen wurden erst kürzlich beschlossen.

Im Bereich des öffentlichen Verkehrs soll der Kostendeckungsgrad erhöht werden. Das heisst nichts anderes als nochmals höhere Billettpreise oder aber einen Abbau von schlecht ausgelasteten Linien. Das betrifft insbesondere die Randregionen. Zugleich soll weniger Geld in den Bahninfrastrukturfonds gelegt werden – obwohl wir wissen, dass mit steigendem Unterhalt und einen Bedarf an neuen Angeboten der Fonds heute schon knapp bemessen ist. Es passt nicht zusammen, mehreren Regionen Hoffnungen auf Ausbauten zu machen und gleichzeitig die Fondseinlagen zu kürzen. Und die lang erwartete Förderung von internationalen Zügen will er vor der Umsetzung grad wieder einstampfen. Obendrauf soll auch die Förderung von nichtfossilen Bussen gestrichen werden. Dabei haben wir das erst gerade im Parlament beschlossen. So erreichen wir weder das Ziel, den Anteil des öffentlichen Verkehrs zu erhöhen noch eine klimaneutrale Schweiz.

Bei den Medien geht es nicht um gleich viel Geld, aber um ebenso wichtige Fragen. In der letzten Sessionswoche entscheidet der Nationalrat über die dringend nötige Aufstockung der Medienunterstützung. Der Bundesrat will auch diese nicht ausbauen, sondern kürzen, die Hilfen für die Mitgliederpresse soll  sogar ganz wegfallen. Uns ereilen ständig Hiobsbotschaften zum Abbau bei den Medien. In gewissen Regionen gibt es kaum noch eine Berichterstattung. Alle wissen, wie wichtig vielfältige Medien für unsere Demokratie sind. Was hier der Bundesrat vorschlägt, ist grobfahrlässig. Wer die Sicherheit unseres Landes nun so stark ins Zentrum stellt, müsste doch gerade hier investieren, denn die Gefahren von Desinformation, Fake-News und schlecht informierten Menschen ist sehr real.

Ich werde den Verdacht nicht los, dass das angebliche Finanzloch (meist trafen sie am Schluss gar nicht ein) durch die massiv erhöhten Militärausgaben ein guter Vorwand für eine rechtsbürgerliche Bundesratsmehrheit ist, um den Abbau voranzutreiben und lästige Aufgaben durch eine Spardiskussion statt einer inhaltlichen Auseinandersetzung abzuschaffen.

Dass wir einen solchen Vorschlag auf dem Tisch haben, liegt an der Zusammensetzung dieses Bundesrates. Die vier SVP und FDP Bundesrät*Innen vertreten nicht die Parlamentsmehrheit und auch keine Wähler*innen-Mehrheit. Die Mitte hat auf die Vorschläge des Bundesrates ebenfalls kritisch reagiert. Sie sollte sich ab und zu daran erinnern, dass sie bei den Bundesratswahlen diese Zusammensetzung des Bundesrats mitgewählt hat.

 

Horror: 30’000 Staustunden– trotz Autobahnausbau

Stau ist nichts Tolles. Stau ärgert, man kommt nicht pünktlich ans Ziel und vertrödelt Zeit. Was Bundesrat Rösti aber nicht wissen will: Seit Jahrzehnten bauen wir in der Schweiz die Autobahnen aus und seit Jahrzehnten nehmen die Staus nicht ab. Sie bleiben konstant und hartnäckig. Das einzige, was wir seit Jahrzehnten machen, ist das Verschieben das Staus von einem Flaschenhals zum nächsten.  

Der schon etwas ältere Spruch «Wer Strassen sät, erntet Verkehr» ist keine grüne Ideologie, sondern Standard in der Mobilitätsforschung. Dort nennt sich das Phänomen «induzierter Verkehr». Werden Strassen ausgebaut, so macht dies das Autofahren attraktiver und der Verkehr nimmt zu. Die Leute pendeln weiter. Das mag volkswirtschaftlich einen Nutzen bringen, aber gesamthaft sitzen sie genau gleich lang im Auto. Oder sie fahren weiter für ihre Freizeitvergnügen und fahren längere Distanzen zum Einkaufen – es ist ja alles so rasch erreichbar – ausser, oh Schreck, man steckt im übernächsten Stau. 

Wie es funktioniert, erklärt zum Beispiel Prof. Dr. Alexander Erath, der an der Fachhochschule Nordwestschweiz zu Mobilitätsfragen lehrt, am 5. Februar in einem Webinar. Und Beispiele in den USA zeigen, wohin auch Ausbauten bis auf 6 oder 8 Spuren, wie jetzt in der Schweiz geplant, führen: Es können auch 26 Spuren wie in Houston sein, doch der Stau besteht noch immer. Und eben: Er wird noch länger.  

Mittlerweilen wissen wir auch, dass das Gegenteil den Praxistest besteht: Abbau von Fahrbahnen führt zu weniger Verkehr. Auch hier gibt es einen schönen Begriff – «Verkehrsverdunstung». Dabei nimmt der Verkehr stärker ab, als der konkrete Spurabbau vermuten liesse. Natürlich braucht es dabei auch flankierende Massnahmen und gute Angebote zum Umsteigen. Dann bleibt die Verkehrsbelastung auf der Strasse auch nach einer Baustelle dauerhaft tiefer.  

Bundesrat Rösti kann noch so lange Staustunden und Milliardenkosten vorrechnen. Auch der Ausbauschritt 2023, über den wir dank des erfolgreichen Referendums dieses Jahr abstimmen, wird sie nicht zum Verschwinden bringen. 

Bemerkenswert ist ebenfalls Bundesrat Röstis Aussage zum Öffentlichen Verkehr in demselben Artikel im Tagesanzeiger: «Es ist nicht möglich, den ÖV stärker auszubauen.» Er rechtfertigt damit den massiven Ausbau der Infrastruktur für den MIV. 

Ob er mit der Aussage technische, politische oder finanzielle Hürden anspricht, bleibt ungeklärt. Klar ist aber: Bei Bundesrat Rösti fehlt vor allem eines: Der politische Wille. Wenn der Modalsplit verändert werden soll, so wie es die Pläne des Bundesrates vorsehen, dann braucht es einen besseren Öffentlichen Verkehr, gerade auch für Teile der Bevölkerung, die heute keinen oder einen schlechten Zugang haben.  

Denn in Bezug auf Klimafreundlichkeit und Energieverbrauch übertrifft der öffentliche Verkehr den motorisierten Individualverkehr deutlich: Über 75 Prozent der CO2-Emissionen stammen von Personenwagen oder Motorrädern. Zudem brauchen öffentliche Verkehrsmittel weniger Energie und Platz.  

Der aktuelle Anteil des öffentlichen Verkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen in der Schweiz, auch bekannt als Modalsplit, variiert je nach Bewertungsgrundlage zwischen 13 Prozent (bezogen auf die Anzahl der zurückgelegten Wege) und 28 Prozent (gemessen an den zurückgelegten Distanzen). Dieser Wert hat sich in den letzten 15 Jahren kaum vergrössert. Mit Albert Rösti bleibt das wohl so.  

Bundesrat Rösti und die Medien: Auf dem Verordnungsweg ins Gestrüpp

Diese Aussagen sind knapp, aber sie lassen tief in das Medienverständnis von Bundesrat und immer noch Mitglied des Komitees der Halbierungsinitiative Albert Rösti blicken. Sie offenbaren eine Übernahme der Denkweise von Teilen der privaten Medien, zeugen von Unverständnis über die Medienlandschaft und deren Pflege. Obendrein sind sie handwerklich falsch und verunmöglichen eine breite Diskussion.  

Die privaten Medien sehen die SRG seit langem als Konkurrenz, und zwar nicht in einem guten Sinne einer medialen Vielfalt. Manchmal haben die beiden eher den «Rank» gefunden. Momentan gibt es aber eine journalistische Kampagne von CH Media und von der TX Group, die die SRG massiv zurückstutzen wollen. 

Ihre Hauptthese ist: Die SRG soll nur noch das machen, das die Privaten nicht machen können – oder wollen. Dies wurde im Tagesanzeiger so vertreten, aber auch in einer Studie von Avenir Suisse propagiert. Auch sie verlangt, dass die SRG nur noch «demokratiepolitische Inhalte produziert, die von Privaten nicht angeboten werden»Die Privaten könnten sich also noch stärker auf kommerziell interessante Felder beschränken, die SRG dürfte dagegen all das produzieren, was wirtschaftlich uninteressant ist. 

Man muss sich einmal vorstellen, wie ein solches Programm aussehen würde – übrig würden die Nischen bleiben, deren Pflege der SRG heute vorgeworfen wird. Und interessant wäre dann, wer darüber entscheidet, wo die Abgrenzung verläuft. Diese Denkweise macht aus der SRG einen Besenwagen, der noch aufwischen darf, was für andere nicht rentiert. Wollen wir eine solche Schrumpf-SRG? 

Unsere Medienlandschaft lebt davon, dass verschiedene Player berichten. Alle, die in einem Raum leben, wo es nur noch eine Zeitung gibt, wissen von der Einfalt der Berichterstattung. Gibt es verschiedene Zeitungen, Onlineplattformen oder auch Radios, die neben einem Regionaljournal noch vertieft berichten, zeigt sich: Konkurrenz belebt die Meinungsvielfalt und spornt die Journalist*innen an. Und animiert auch zum Lesen, zuhören und schauen. 

Eine Konkurrenz ist gemäss Auswertungen nicht von der Hand zu weisen, aber mehr Angebote führen auch zu mehr Konsum. Es gibt nirgends einen Hinweis, dass gute öffentliche Angebote den privaten Medien das Leben schwer machen. Aber Rösti übernimmt auch hier den Singsang gewisser privater Medien. 

Bundesrat Rösti ist die Diskussion auch falsch angegangen. Er schlägt eine Senkung der Haushaltsabgabe vor, gibt drei Stichworte, wo die SRG sparen soll, aber er drückt sich vor seiner eigenen Aufgabe, mit Änderungen in der Konzession klar zu machen, wo die SRG die Einsparungen vornehmen soll. Dabei wäre genau dies seine Aufgabe: Zuerst eine neue Konzession auflegen, diese breit zu diskutieren und dann festzulegen, ob die Kürzungen realistisch sind. Es würde sich dann rasch zeigen, ob es einen Konsens gibt, was weggestrichen werden soll. Schreibe ich einen Post dazu, werden oft genau entgegengesetzte Vorschläge gemacht. Die einen wollen keinen Sport, die anderen haben genug vom Jassen und die dritten wollen ein ganzes Radioprogramm streichen. 

Bundesrat Rösti geht den umgekehrten Weg: Er will die der SRG Gelder kürzen und lässt die bisherige Konzession einfach weiterlaufen. Sieht so Führung und Verantwortung aus?  

Kommt hinzu: Staatspolitisch ist das Vorgehen einigermassen schräg. Zur Verordnungsänderung, mit welcher die Senkung der Haushaltsabgabe beschlossen wird, findet zwar eine Vernehmlassung statt. Damit hat es sich aber. Es gibt keine parlamentarische Diskussion und auch keine weitere öffentliche Diskussion. Sieht so ein Gegenprojekt zu einer Initiative aus?   

Bodenpreise à la Monopoly: Ein Korrekturvorschlag

Die Bodenpreise sind stark am Steigen. Schlagzeilen wie «Bauland wird teurer» oder «So teuer ist der Boden» prägen die Nachrichten. Das ist auch in den Zahlen jener Kantone ablesbar, die Bodenpreise statistisch verfolgen. Im Kanton Zürich sind die durchschnittlichen Preise von 2012 bis 2022 von 1141 auf 1754 Franken angestiegen – eine satte Steigerung von mehr als 50 Prozent. Und dies in einer Zeit, als es praktisch keine Teuerung gab. Die Stadt Zürich meldete letztes Jahr  ebenfalls horrend gestiegene Preise: Die Bruttopreise – also Boden inklusive Gebäude – haben sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Sie liegen mittlerweile bei 5800 Franken, im Bereich Bahnhofstrasse bei 100’000 Franken, an zentralen Lagen wie Enge oder am Stauffacher auch noch bei 20’000 Franken.

In anderen Regionen  – soweit Daten überhaupt vorhanden sind – ist die Entwicklung teils etwas gemächlicher, aber sie zeigt fast überall nach oben. Was noch vor 20 Jahren ein ungläubiges Staunen auslöste, sind heute gängige Preise.

Was sagt der Bundesrat zu dieser Entwicklung? Wie immer bei diesen Themen: Nicht gerade viel. In einer Antwort auf eine Interpellation von mir kommt der Standardsatz, dass er die Entwicklung beobachte. Der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum sei ein Ziel des Bundesrates. Nur verrät er nicht, wie er es konkret umsetzen will. Und zu den Bodenpreisen schreibt er: «Es gibt derzeit keine Massnahmen, mit welchen der Bundesrat die marktwirtschaftliche Mechanismen der Preisbildung bei den Bodenpreisen beeinflusst.»

Der etwas sperrige Satz macht eines offensichtlich: Der Bundesrat glaubt nach wie vor, dass das begrenzte Gut namens Boden, das wir alle zum Leben brauchen, nach marktwirtschaftlichen Kriterien gehandelt werden soll. Dabei kann es gar keinen Markt geben: Das Angebot, der Boden, ist nicht vermehrbar und doch müssen alle Menschen irgendwo wohnen und müssen zwangsweise für den Boden bezahlen, und sei es mit der Miete. Dabei sehen wir die Auswüchse seit vielen Jahren, Jahrzehnten. Wem der Boden gehört, war schon immer eine zentrale Frage. Die einen haben Boden und holen sich hohe Profite, andere haben keinen Boden und müssen für diese Profite bezahlen, oft durch völlig überhöhte Mieten.

Der Wertzuwachs über die Zeit wird durch die Grundstückgewinnsteuer besteuert. Immerhin erhält hier der Staat einen Anteil des Wertzuwachs. In der Stadt Zürich waren es letztes Jahr unglaubliche 421 Millionen Franken Grundstückgewinnsteuern. Im Kanton Luzern waren es noch 2022 stolze 106 Millionen Franken, die zwischen dem Kanton und den Gemeinden aufgeteilt werden. Merkwürdig nur, dass von diesem Geld nichts zum Erhalt oder Bau preisgünstiger Wohnungen fliesst. Damit würde die Wirkung dieser Steuer massiv erhöht.

Die Gemeinden oder Kantone sind ja nicht unglücklich über diese Einnahmen, die in die allgemeine Kasse sprudeln. Man kann so die Einnahmen aufbessern und ist damit auch Profiteur dieser Preissteigerungen. Und ist vielleicht verleitet, diese Tendenz gar nicht brechen zu wollen.

Will man diese Tendenz unterbinden, gibt es verschiedene Ansätze. Einer ist eine grundsätzliche Diskussion über die Bodenfrage, die aber erfahrungsgemäss schwierig zu führen ist. Eine konkrete Diskussion bei Planungen auf Gemeindeebene oder der Bodenpolitik der Gemeinden, was schon erfolgsversprechender ist.

Eine dritte Möglichkeit ist eine pragmatische und als Teillösung zu verstehen: Wenn wir einen Teil der Grundstückgewinnsteuer für den gemeinnützigen und preisgünstigen Wohnungsbau einsetzen, dann flicken wir mit den Gewinnen dieser Bodengeschichte mindestens ein Stück weit die Schäden, die die Preisspirale verursacht. Ausserhalb der grossen Städte läuft im Bereich der Wohnungspolitik leider wenig und mit diesem Ansatz müssten alle aktivere Wohnpolitik verfolgen. Ich habe diesen Vorschlag mit einem Vorstoss eingebracht und ich zähle auf die Bereitschaft, nicht nur ständig über diese massiven Steigerungen der Landpreise zu lamentieren, sondern auch etwas zu unternehmen.

Hurra (vielleicht) kriegen wir 23 Jahre nach Beschluss einen Halbstundentakt

In der Botschaft zur neuesten Bahnvorlage gibt es einen Überblick zu den beschlossenen Massnahmen und deren Umsetzung. 2013 hat das Parlament den Ausbauschritt 2025 beschlossen – will heissen, auf dieses Jahr hin hätten die Massnahmen  umgesetzt sein sollen. In diesem Ausbauschritt ist auch der Halbstundentakt Luzern – Bern enthalten. Der Bundesrat hat in einer Interpellation von mir geantwortet, dass dieser Abschnitt zu den frequenzstärksten Linien ohne Halbstundentakt gehört, leider hat er meine Frage aber nicht konkreter beantwortet. Also, nun lesen wir in dieser Botschaft, dass die Massnahmen für den Halbstundentakt 2036 oder später erstellt werden. Das liest sich dann etwas kryptisch so: „Im Rahmen der laufenden Vorstudien sind die Funktionalitäten und die Bauabläufe mit einer Massnahme des AS 2035 in Dagmersellen abzustimmen. Die Inbetriebnahme wird im Jahr 2036 prognostiziert. Sie ist jedoch noch nicht gesichert.“

Zentralplus hat beim zuständigen Bundesamt nachgefragt, und jetzt ist klar: Ja, der Halbstundentakt kommt frühestens 2036. Ich habe nochmals in allen Antworten des Bundesrates und Berichte nachgelesen, weshalb das so ewig lang geht: Es liegt an Massnahmen im Bahnhof Bern, Zofingen und an der Strecke Dagmersellen – Zofingen. Wahlweise werden auch noch Massnahmen auf dem Abschnitt Zofingen – Rothrist genannt. Man hat den Eindruck: Um den Halbstundentakt Luzern – Bern einzuführen, muss das halbe Schienennetz in der Schweiz umgebaut werden.

Es ist schon klar, einen Halbstundentakt einzuführen, bedeutet mehr Aufwand als einfach einen zusätzlichen Zug hinzustellen. Er muss irgendwo wenden, in den Bahnhöfen Platz haben und natürlich auch auf der Strecke.

Nur: Luzern (und Bern) warten eine Ewigkeit. 2013 beschlossen, zuerst in wenigen Jahren in Aussicht gestellt, verzögert sich die Einführung immer weiter, zuerst auf Ende 20er Jahre, dann 2031, später 2033 und jetzt auf 2036 oder später. So ist Planen und Entscheiden schlicht nicht möglich, wenn eine doch kleinere Massnahme zur Umsetzung 20 und mehr Jahre braucht.

Ein paar Schlussfolgerungen daraus:

  1. Zuerst: Es braucht jetzt eine laute Reaktion aus Luzern und der Zentralschweiz. Auch wer geduldig ist, kann hier nur den Kopf schütteln.
  2.  Offensichtlich waren die Grundlagen für die Ausbauschritte 2025 und 2035 schlecht. Das Parlament hat Projekte beschlossen, die offensichtlich nicht in den vorgesehenen Fristen umgesetzt werden können. Natürlich kann man nicht vor dem Beschluss zuviel Geld für Planungen ausgeben, aber hier wurde schlecht gearbeitet. Es braucht einen höheren Detaillierungsgrad für die Projekte vor Beschlussfassung.
  3.  Es zeigt sich auch, dass mit den heutigen Kapazitäten  – finanziell wie planerisch – die wichtigen Ausbauten nicht in einem sinnvollen Zeithorizont erstellt werden können. Wenn wir das Umsteigen fördern wollen um einen höheren Modalsplit für den öV zu erreichen, geht es nur mit zusätzlichen Finanzen und auch Planerinnen und Planer.

Stärken wir die Schweizer Medien statt die SRG kaputt zu machen

Mit der Halbierungsinitiative folgt ein neuerlicher Angriff auf die SRG. Und dies gleich von verschiedenen Seiten: Den einen passt es nicht, dass die SRG allen gegenüber kritisch Bericht erstattet, kontinuierlich informiert und ganz unterschiedliche Menschen in diesem Land anspricht, sie wollen möglichst keine Konkurrenz und damit hohe Reichweite für Gratismedien von rechts. Eine Konkurrenz aus dem Weg räumen, das wollen auch einige Verleger. Ihnen schwebt ein Modell vor, gemäss diesem die SRG quasi als Besenwagen fungiert. Was sie selber nicht produzieren, sprich: was nicht rentabel ist, das soll die SRG noch machen. Dabei wird in der letzten Zeit wieder vermehrt argwöhnisch zusammengezählt, wie viele Zeichen ein Artikel der SRG im Internet umfasst oder wie teuer sie Sportrechte einkauft.

Natürlich bekommen private Verlage mehr Freiheiten und Expansionsmöglichkeiten, wenn die SRG viele Angebote streichen muss. Nur: Es ist zu simpel zu glauben, mit einer massiven Verkleinerung der SRG würden die Privaten automatisch besser dastehen. In den letzten 10 Jahren haben sich die Werbeinnahmen in den Medien massivst verschoben. Aber nicht zwischen einer SRG und den Privaten, sondern von diesen beiden hin zu den sozialen Plattformen. Es sind mittlerweilen Milliardenbeträge, die zu den grossen Techgiganten gehen und den Schweizer Medien nicht mehr zur Verfügung stehen. Eine lebendige Medienszene lebt von der Vielfalt und von verschiedenen Angeboten. Deshalb verstehe ich das Ausspielen von Privatmedien und SRG nicht.

Die SRG ist wichtig für unser Land: Ihre Sender haben einen Auftrag, sie berichten breit und sie berichten gerade vor Abstimmungen und Wahlen meist ausgewogen. Sie lassen Pro und Kontra zu Wort kommen, haben ein Konzept, wie sie vorgehen, im Gegensatz zu vielen privaten Medien, wo Abstimmungsthemen oft mit Schlagseite behandelt werden. Das ist ihr gutes Recht, solange sie journalistische Grundsätze einhalten, aber in einer Demokratie ist diese Arbeit, wie sie eine Institution wie die SRG leistet, besonders wichtig.

Und tatsächlich kostet diese Arbeit viel Geld. Oft wird bei Vergleichen dann vergessen, dass die Schweiz mit ihrer Viersprachigkeit mit besonderen Herausforderungen konfrontiert ist. In Norwegen, Dänemark oder Österreich ist es mit einer Landessprache einiges kostengünstiger, einen Service public anzubieten. Würden die Einnahmen der SRG halbiert, so würden wir vor einer Auswahl aus zwei besonders schlechten Varianten stehen: Entweder müsste man die italienischen und auch die französischsprachigen Programme radikal zusammenkürzen. Will man das nicht, müsste man den grössten Teil in der Deutschschweiz einsparen. Ein bisschen überall kürzen, reicht bei diesem massiven Eingriff sicher nicht.

Die Gegner und Kritikerinnen der SRG vereint oft neben ideologischen oder eben wirtschaftlichen Interesse meist nicht viel. Alle verstehen etwas anders unter dem Service public Auftrag der SRG. Die einen stören sich am Sport, die anderen am Ziischtigclub und wieder andere wollen keine Unterhaltungssendungen, als ob die nicht auch eine  Aufgabe erfüllen und die Schweiz ausmachen.

Apropos Service public: Leider hat der Bundesrat die Diskussion über eine neue Konzession der SRG verschoben. Dies wäre der Ort für eine Diskussion, was die SRG leisten soll. Und hier könnten wir konkret werden statt mit Schlagworten zu arbeiten. Auch die Halbierungsinitianten bringen da nicht viel Inhalt zustande. Oder habe ich etwas verpasst?

Diese konkrete Diskussion wäre aber wichtig. So stelle ich fest, dass insbesondere in den politischen Sendegefässen die SRG ebenfalls nicht gefeit ist vor einer konfrontativen und lauten Diskussionsart. Ist eine Geschichte nicht ganz gradlinig zu erzählen, fällt sie weg. Und natürlich gibt es die Frage, wie die SRG junge Menschen erreichen kann – dies vor allem auch digital. Sie hat dazu hohe Investitionen getätigt, schwärmt manchmal auch davon, aber die Wirksamkeit dieser Massnahmen ist mir nicht bekannt.

Wir können nur hoffen, dass die anrollende Debatte auch was Positives bringt und wir neben den eingeübten Schlagworten auch vertieft über die Medienszene Schweiz und die Aufgabe der SRG reden.St

Wo Reisezeitgewinne sinnvoll sind – und wo sie wenig bringen

Ein Thema taucht immer häufiger auf: Wir müssten in der Schweiz ein neues Hochleistungs-Bahnnetz bauen um  mehr Leute auf den Zug zu bringen respektive ans europäische Netz angeschlossen zu sein. Ich habe bereits im Winter eine Stellungnahme geschrieben – wollen wir möglichst viele Leute auf die Bahn bringen, so brauchen wir vor allem ein Umsteigen in den Agglomerationen. Dort ist das Potenzial besonders hoch. In einem Postkartenwunsch hat Florence Vuichard in den CH Medien vom Frecciarossa geschwärmt und Bundesrat Rösti aufgefordert, die alten Pläne für die Haupttransversale wieder auszupacken.

Ich habe darauf mit Skepsis reagiert und viele Reaktionen ausgelöst. Einige finden, wir müssten auch in der Schweiz die Reisezeiten über längere Strecken massiv verkürzen. Ich gehe hier gerne konkreter auf diesen Wunsch nach schnellen Verbindungen ein.

Stundentakt und Knoten – eine Schweizer Errungenschaft

Man darf ruhig auch einmal die Schweiz von aussen betrachten: Im Bereich der Bahn löst sie Bewunderung aus. Vor allem der Stundentakt ist eine tolle Sache, umso mehr dort, wo auch die Knoten funktionieren. Will heissen: Die Züge kommen kurz vor der vollen Stunde (oder halben Stunde) an und die Anschlüsse fahren kurz danach ab. Wenn nicht grad ein Zug steckenbleibt, ergibt das sehr gute Verbindungen überall hin. Unser Problem ist aber: In einigen Städten funktioniert dieser Knoten nicht vollständig. So in Luzern, St. Gallen oder in Lausanne. Die Reisezeiten sind etwas zu lang oder die nachfolgenden Strecken passen nicht in dieses System. Also müssen wir schauen, dass diese Reisezeiten verkürzt werden. Dabei reicht es aber, einige Minuten einzusparen und dazu brauchen wir keine durchgehenden Hochleistungslinien. Die bringen zwar noch weitere Reisezeiteinsparungen, die jenen zugute kommen, die genau diese Strecke fahren, doch ganz viele brauchen noch einen Anschluss.

Schnelle Verbindungen bis zur Grenze – und dann?

Immer wieder wird daran erinnert, dass uns mit der NEAT eine Reisezeit Zürich – Milano von gut 2 Stunden versprochen wurde. Es sind heute deutlich über 3 Stunden. Das kann man den fehlenden Zufahrtslinien zum Basistunnel ankreiden. Nur: Früher war es möglich, Lugano – Milano in 1 Stunde zu fahren – wie das Fahrplanbeispiel 1961 zeigt und da gab es noch Grenzkontrollen – heute ist es mindestens 1 Viertelstunde mehr.  Und wer von Luzern kommt, steigt aus dem IC nach Milano aus und ist mit der Regionalbahn eine halbe Stunde schneller. Grund: Die Regionalbahnen haben im Raum Mailand Vortritt. Verständlich aus Sicht dieser Metropole, sehr ärgerlich für unsere international Reisenden. Aber lohnt es sich in einer solchen Situation mit Milliardenbeträgen zum Beispiel im Kanton Schwyz und Uri die Zufahrt zum Tunnel um einige Minuten zu verkürzen? 

Wer bezahlts am Schluss?

Viele sind jeweils enttäuscht, dass ich als Grüner auch finanziell argumentiere. Tja, ich würde liebend gerne mehr Mittel bereit stellen für den nötigen Bahnausbau. Nur: Von allen Fans von Neubaustrecken quer durch die Schweiz habe ich noch nie einen Finanzierungsvorschlag gehört. Ich hoffe, diese Projekte sind zusätzlich zu den bereits beschlossenen Ausbauten gedacht. Man beschäftigt sich lieber mit der Planung neuer Linien und nimmt gerne den Zeichenstift in die Hand, die ordinäre Frage nach der Finanzierung lässt man weg. Dabei hat nicht einmal der Vorschlag der Grünen für etwas mehr Geld zu Gunsten der Agglomerationsprogramme eine Mehrheit gefunden.  Andere Vorschläge sind eine weitere Stärkung der öV-Finanzen, eine Umverlagerung vom Autobahnausbau zur Bahn. Wer aber nicht bereit ist, die Mittel zur Verfügung zu stellen, heizt den Konkurrenzdruck zwischen den Projekten an. Dazu kommt noch die unsägliche Abbaurunde des Bundes, die den regionalen Personenverkehr zwingen würde, rund 8 Prozent einzusparen.

Handwerk ist gefragt

SBB und das zuständige Bundesamt für Verkehr (BAV) haben massive Probleme, die beschlossenen Projekte umzusetzen. So verzögert sich namentlich der Bau des Zimmerbergtunnels, die SBB kündigten an, vor 2033 keine neuen Grossbaustellen an bestehenden Strecken zu eröffnen und der ganze Fahrplan 2035 muss überarbeitet werden, mit einschneidenden Folgen resp. Verschlechterungen, wie es die Eisenbahnrevue detailliert aufzeigt. Der Bahnhofausbau Lausanne ist ein Desaster mit einer komplett neuen Planung. Die Projekte Basel und Luzern sollen etappiert werden. Ich habe schon vor einem Jahr die Frage gestellt, ob jetzt Planung und Bau der beschlossenen Projekte besser laufen oder all diese Negativmeldungen nur zeigen, dass da etwas komplett aus den Schienen gefallen ist. Hier ist auch die Politik in der Verantwortung, genau hinzuschauen und auf eine fristgerechte Umsetzung der Parlamentsbeschlüsse zu pochen.

Ich meine: Bevor wir über völlig neue Projekte reden, sollten wir die lange Liste der dringlichen Ausbauten erledigen. Ich hoffe sehr, dass ich hier auf die Hartnäckigkeit der Bahnfreund*innen zählen kann.

 

Wenn die Politik ihren eigenen Zielen widerspricht – Autobahnausbau holla!

Die Stossrichtung in allen Papieren und Strategien ist klar: Der öffentliche Verkehr muss gestärkt werden, der Modalsplit zu seinen Gunsten verändert werden, in Agglomerationen soll zusätzlicher Verkehr mit öV, Velo und Fussverkehr aufgefangen werden und über allem schweben die vier V: Vermeiden, Verlagern, Vernetzen und Verträglich gestalten. Egal, ob das eine Luzerner Mobilitätsstrategie ist, ein kantonaler Richtplan oder ein Sachplan Verkehr des Bundes, diese Grundsätze gelten.

In diese Richtung muss es auch gehen, wenn wir die klimapolitischen Ziele des Bundes zu erreichen sollen. Mehrere Studien zeigen, dass es nicht mit der Elektrifizierung des heutigen Autoverkehrs getan ist, sondern eben auch ein Umsteigen braucht. Einerseits ist die Herstellung der Autos nicht CO2-neutral und andererseits müssen wir haushälterisch mit erneuerbaren Energien umgehen. Und ganz abgesehen davon leiden viele Städte und Dörfer unter dem Lärm und unglaublichen Platzverbrauch der Autos.

Viele nicken, wenn es um die Grundsätze geht, doch in der politischen Realität  tut sich die Mehrheit mit diesen Vorgaben schwer. Namentlich mit dem ersten: Zum Thema Vermeiden erscheint dann immer nur das Stichwort Homeoffice und vielleicht noch flexiblere Arbeitszeiten. Auch das Thema Verlagern wurde zwar vom Parlament mit Vorstössen zur Erhöhung des öV-Anteils am Modalsplit bestärkt, man ist auch gerne bereit, den öV noch etwas stärker zu unterstützen. Doch dann ist rasch einmal Schluss, denn an der gleichzeitigen Förderung des Autoverkehrs rührt die Mehrheit nicht. So geschehen in der Verkehrskommission des Nationalrates gestern. Beim Thema Autobahnausbau leuchten die Augen vieler und ja, Papier ist dann sehr geduldig.  Die übliche Argumentation lautet, man solle Auto und Bahn nicht gegeneinander ausspielen und damit wird die Diskussion abgewürgt.

Die Kommission hat den Ausbau von vier Autobahnabschnitten abgesegnet und sogar ein weiteres Projekt aufgenommen. Die Aufnahme des Projekts am Genfersee ist besonders pikant: Bundesrat Rösti hat es an seiner 100 Tage Medienkonferenz quasi bestellt («Wenn das Parlament (…) die Westschweiz noch spezifisch berücksichtigen will, finde ich dies aus einer übergeordneten Landessicht durchaus verständlich.» ) und die Kommission hat es prompt zwei Wochen später umgesetzt.

Sogenannte Engpässe sollen beseitigt werden. Dabei zeigen die Verkehrszahlen dieser Autobahnabschnitte, dass im realen Leben die Verkehrswende längst begonnen hat. Der Verkehr nimmt auf diesen Strecken seit fünf Jahren nicht mehr zu. Der Knick begann bereits 2018 und 2019, also vor Corona. Dabei ist es egal, ob die Staustunden zuvor besonders hoch waren. Auch in den Städten nimmt der Autoverkehr ab, die Theorie des zuständigen Bundesamtes ASTRA ist damit auch widerlegt. Dieses argumentiert, dass der Autobahnausbau nötig sei, damit der Verkehr nicht auf das untergeordnete Strassennetz ausweicht.

Während die bürgerliche Mehrheit im Bundesparlament also den Autobahnausbau vorantreiben will, fahren die Leute etwas weniger herum und sie setzen sich nach der Coronadelle wieder vermehrt in den öffentlichen Verkehr. Es ist einigermassen anarchronistisch und gegen die Ziele der Verkehrspolitik, wenn jetzt die Autobahnen wieder ausgebaut werden und damit ein Trend zurück in die falsche Richtung gesetzt wird. Denn Beispiele aus der Region Luzern haben gezeigt, dass dies fatale Folgen hat. Im letzten öV-Bericht des Kantons wurde gezeigt, dass die beiden neuen Autobahnzubringer Rothenburg und Buchrain in diesen Regionen den öV schwächten. Selbst ein Ausbau der öV-Linien konnte den Wettbewerbsvorteil des Autos durch raschere Verbindungen nicht wettmachen.

Dies ist kein Wunder: Verkehrspolitik ist zwar eine sehr emotionale Sache und die Benützung eines Verkehrsmittels hat oft mit Prestige und Bildern zu tun, aber letztlich entscheiden sich doch sehr viele Leute rational. Wie rasch komme ich vorwärts, wie bequem und einfach bin ich unterwegs. Hat jemand einen Autobahnanschluss vor der Haustür und einen Parkplatz am Zielort auf sicher, dann fällt die Entscheidung häufiger gegen den öV. Bringt mich dieser direkt, ohne grösseren Zeitunterschied und vor allem pünktlich an diesen Ort, ist dieses Transportmittel im Vorteil. Gleiches gilt für eine sichere Veloverbindung.

Leider nimmt die nationale Politik diese Erfahrungen nicht ernst. Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit machen aber Mut: In Bern wurden zwei Umfahrungsprojekte nur noch einigermassen bis sehr knapp angenommen.  In vielen Agglomerationen nimmt der öV-Anteil zu und die Erfahrung lehrt, dass der Autoanteil am Verkehr umso niedriger ist, umso dichter eine Siedlung ist.

Man sagt es nicht gerne als Politiker im nationalen Parlament: Aber die Hoffnung ist klein, dass von dieser Seite ernsthafte Anstrengungen kommen, um eine fortschrittliche und klimataugliche Verkehrspolitik umzusetzen.

Waffen liefern? Eine Auslegeordnung

Viele Anfragen, und eine schwierige Entscheidung: Soll die Schweiz die Regeln der Waffenausfuhr zu Gunsten der Ukraine ändern? Die Diskussion ist vielschichtig, es geht um moralische Fragen, rechtliche Auslegungen, es geht um sehr konkrete Frage, in denen gleichzeitig viel Grundsätzliches steckt. Wir diskutieren konkret über einige Tausend Schuss Munition und einige Fahrzeuge, die Deutschland und Spanien in der Schweiz gekauft haben und an die Ukraine weitergeben wollen, wir diskutieren allgemeiner über die Forderung, dass die Schweiz in diesem Angriffskrieg den vom Aggressor überfallenen Staat auch militärisch unterstützen soll und wir diskutieren damit immer auch über die Schweizer Neutralität.

Eine Vorbemerkung: Für mich ist völlig klar, dass die Ukraine auf möglichst viele Arten unterstützt werden muss. Sie wurde angegriffen, dieser Krieg ist absolut verwerflich und ohne Wenn und Aber zu verurteilen. Die Verhandlungsaufrufe von Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht sind zynisch und in der Verwischung der Täter- und Opferrolle unerträglich.

Auch wer sich möglichst weit von dieser Haltung abgrenzen will, kommt nicht umhin, in dieser schwierigen Situation mehrere Fragen sorgfältig zu beantworten.

Zur konkreten Frage der Munitionslieferung: Deutschland und Spanien können in der Schweiz gekaufte Munition nicht weitergeben, weil sie eine Klausel unterschrieben haben, die dies verbietet. Diese Klauseln gibt es, damit die Schweizer Regeln des Waffenexportes nicht umgangen werden. Sie verbieten, in Kriegsgebiete Waffen zu liefern. Die Grünen haben immer strenge Regeln zu Waffenausfuhr gefordert und die kürzlich erfolgte Verschärfung mitinitiiert. Wir müssen also unser Kriegsmaterialgesetz ändern, wenn wir diese Lieferungen ermöglichen wollen. Dabei kursieren diverse Varianten. Sie zeigen alle, wie schwierig die Frage ist: Es werden willkürliche Vorgaben gemacht, wann ein Staat trotz gegenteiliger Abmachung Schweizer Waffen weiterexportieren dürfte und sie wollen dies auch nachträglich für bereits geliefertes Material ermöglichen. Zum Beispiel fünf Jahre nach dem Kauf und wenn die Uno-Vollversammlung mit einer Zweidrittelmehrheit diesen Krieg verurteilt hat. Mit einer «Lex Ukraine» will man helfen, aber wir würden eine komplizierte Ausnahmeregel schaffen, die nach Meinung der klaren Mehrheit der Experten und des Bundesrates mit der Neutralität nicht kompatibel ist. Dies alles für ein paar Tausend Schuss Munition. Nach langem Abwägen finde ich das falsch.

Kommen wir zur zweiten Frage der Waffenlieferungen allgemein: Viele Personen, die sich zu Wort melden, stellen eine viel grundsätzlichere Frage. Muss die Schweiz die Ukraine nicht auch militärisch unterstützen? Schliesslich verteidigt die Ukraine Werte, die uns wichtig sind und in diesem Krieg ist überdeutlich klar, wer der Aggressor ist. Will die Schweiz direkt Waffen liefern, aber eigentlich bereits bei der ersten Frage zur Munition, müssen wir sehr schnell und sehr aktiv eine Diskussion über unsere Neutralität führen. Die Grundregeln sind hier klar, und eine lautet: «alle Kriegsparteien im Hinblick auf den Export von Rüstungsgütern gleich zu behandeln.» Nun kann man die Neutralität veraltet finden oder schlicht falsch, aber vor einem Einstieg in den Waffenexport müsste die Schweiz die Neutralität neu definieren oder eben abschaffen, wie es Finnland tut. Das ist die richtige Reihenfolge einer Diskussion – es geht eben nicht umgekehrt, dass wir zuerst über Ausnahmebestimmungen Waffenexporte zulassen und erst nachher die grundsätzliche Regel anpassen. Das ist wichtig: Wenn wir Rechtsstaatlichkeit verteidigen wollen, müssen wir sie selber hochhalten und dann können wir die Diskussion nicht am falschen Ende beginnen.

Was ist nun mit der Neutralität? Die Neutralität ist für mich – wie soll ich es formulieren – stark befleckt. Sie war lange auch Deckmantel für eine Schweiz und eine Schweizer Wirtschaft, die mit allen Geschäfte betrieb und wenig Verantwortung übernahm und sie ist ein Synonym für ein Durchmogeln, das wir Grünen stets kritisierten. Nur: Die Neutralität hat auch eine andere Seite. Die Schweiz hat verschiedene Schutzmachtmandate für andere Staaten, sie ist Depositarstaat etwa der Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht und in Genf befinden sich wichtige internationale Organisationen. Diese Dienste sind auch heute noch aktuell – so wünscht zum Beispiel die Ukraine, dass die Schweiz ihre Interessen in Russland vertritt. Die Schweiz hat sich als Staat positioniert, der eine eigenständige Rolle spielt und in der Aussenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit Ziele verfolgt, die die Stärkung der Zivilgesellschaft, humanitäre Hilfe und Demokratie ins Zentrum stellt. Auch wenn da viel Zwiespältiges dabei ist und unser gegenwärtiger Aussenminister nicht gerade vor Tatendrang und Aktivitäten strotzt, ich möchte diese Werte und Positionen der Schweiz nicht aufgeben. Die Neutralität mit allen Facetten ist ein Grundwert der Schweiz, sie aufzugeben, bedürfte einer intensiven Diskussion.

Oft höre ich auch den Zuruf: In diesem Konflikt kann man nicht neutral sein. Das müssen wir auch nicht: Die Schweiz hat die Aggression Russlands sehr klar verurteilt und trägt die Sanktionen mit (der Bundesrat brauchte dazu zu Beginn des Kriegs einen kurzen Schubs). Die Neutralitätspolitik lässt dies zu und verdammt uns nicht zur Untätigkeit. Die Neutralitätspolitik ist viel breiter als das Neutralitätsrecht, das genau den Kern der militärischen Auseinandersetzung betrifft.

Und in diesem Bereich kann die Schweiz einfach noch viel mehr machen.

  • In der Debatte um den Voranschlag 2023 haben wir Anträge für die Erhöhung von Beiträgen an die Ukraine unterstützt. Sie wurden abgelehnt.
  • Im Januar haben wir Grünen gefordert, dass unsere Gasturbinen nicht in der Schweiz montiert, sondern gleich in die Ukraine geliefert würden, um die Elektritätsversorgung vor Ort zu unterstützen.
  • Es braucht viel mehr Anstrengungen, um die Oligarchengelder in der Schweiz einzufrieren. Heute sind schätzungsweise erst 8 von rund 200 Milliarden Franken eingefroren.
  • Wir brauchen Kontrolle der Rohstofffirmen und jetzt eine Abschöpfung der riesigen Übergewinne, die zum Beispiel Glencore auf Grund der gestiegenen Preise gemacht hat. Diese Kriegsgewinne müssen für humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau in der Ukraine zur Verfügung stehen. Ein grosser Teil des Rohstoffhandels wird in der Schweiz getätigt. Damit läuft die Finanzierung des russischen Staates und des Kriegs über unser Land. Darüber müssen wir sprechen.

Und zuletzt: Wir müssen die Diskussion über diese Wiederausfuhrmöglichkeiten in den Kontext der generellen Waffenausfuhrdiskussion stellen. Insbesondere die FDP argumentiert, dass das vor kurzem verschärfte Kriegsmaterialgesetz zu restriktiv sei und dass wir es lockern müssten, damit die heimische Kriegsmaterialindustrie mehr exportieren könne – sonst nehme sie Schaden. Es geht also bei der Lockerung der Wiederausfuhr vielen nicht zuerst um die Ukraine, sondern einmal mehr um wirtschaftliche Interessen von Schweizer Waffenfirmen.

Mit ihrer Artikelserie zur Weitergabe von geheimen Informationen aus dem Berset-Departement haben die CH-Medien an einem konkreten Beispiel aufgedeckt, wie das Zusammenspiel zwischen Bundesrat, Verwaltung und Medien verlaufen kann. Diese Leaks sind eine schwere Belastung für das Funktionieren einer Exekutive – das Vertrauen untereinander scheint im Bundesrat einigermassen zerrüttet.

Gleichzeitig wurde mit einem anderen Blick auch die richtige Frage an die Medien gestellt, ob sich der «Blick» mit diesem anscheinend direkten Draht zu einem Departement zu stark binden liess und die Unabhängigkeit der Redaktion einschränkte. Es ist Aufgabe der Medien, diese Fragen aufzunehmen und es gibt ein öffentliches Interesse an dieser Diskussion.

Indiskretionen sind nichts Neues

Das Thema ist allerdings alles andere als neu. Seit ich mich erinnern kann, gibt es Indiskretionen. Manchmal war es en vogue, dass man in der Sonntagspresse lesen konnte, mit welchem Anliegen ein Bundesrat im Gremium unterlegen war oder wer welchen Mitbericht geschrieben hatte. Meist mit der einigermassen offensichtlichen Absicht, jemanden besonders gut dastehen zu lassen oder in einem Thema zu positionieren.

Oder es wurden Berichte vorab weitergegeben, um einer Geschichte die gewünschte Richtung zu geben. Wir konnten hier auf zentralplus schon lesen, dass sich die Geschäftsprüfungskommissionen des Parlaments mit diesen Indiskretionen beschäftigt (zentralplus berichtete). Und auch das Parlament tat dies. Der Nationalrat lehnte einen Vorstoss aus dem Ständerat ab, der neue Massnahmen gegen Indiskretionen verlangte sowie einen Bericht mit einer Zusammenstellung derselben. Es ist eben alles andere als simpel mit diesen Indiskretionen.

Die Rolle der Medien: Wo bleibt die Selbstreflexion?

Denn so merkwürdig es klingt: Indiskretionen gehören in einer funktionierenden Medienwelt auch zu einer der Quellen, um Missstände aufzudecken. So ist die Geschichte zu Peter Lauener und Alain Berset wiederum durch eine Indiskretion entstanden. Das ganze Material stammt aus den Einvernahmeprotokollen aus den Untersuchungen des ausserordentlichen Staatsanwalts zu den Indiskretionen zur Veröffentlichung des Berichts über die Crypto-Affäre. Momentan sind die Unterlagen versiegelt, weil von Peter Lauener bestritten ist, dass der ausserordentliche Staatsanwalt zu Recht zusätzlich zur Crypto-Frage auch in Sachen Corona-Informationen ermitteln darf.

Es ist nichts Falsches dran, wenn diese Geschichte gross aufgefahren wird und die CH Medien einen Mehrteiler daraus machen. Schliesslich gibt das Material viel her und lässt viele Fragen offen. Was mir allerdings fehlte, ist die Einordnung. Und zwar zur Rolle der Medien selber und vor allem des Mediums, welches die Leaks publizierte.

Nach der guten Story sollte auch etwas auf der Metaebene kommen, wo CH Medien die eigene Rolle reflektiert. Und zum Zwiespalt Stellung nimmt, weshalb die eine Indiskretion hochgefahren wird, die eigene aber nicht thematisiert wird. Weshalb also die einen Indiskretionen schlecht, die anderen aber richtig sein sollen.

Sehr gutes Anschauungsmaterial, aber wenig neue Erkenntnisse

So wurde in einem Übersichtsartikel nur festgehalten, dass die Bundesanwaltschaft prüfe, «wie die E-Mails von Lauener und das Einvernahmeprotokoll von Bundesrats Berset an die Öffentlichkeit kommen konnten.» Mit etwas Stolz hätte die Zeitung festhalten dürfen, dass sie es war, die diese Öffentlichkeit geschaffen hatte. Aber dazu kam bisher nichts. Ähnlich verhielt sich aus meiner Sicht auch der Tages-Anzeiger. Er liess verlauten, dass er es ganz anders als der Blick mache. Sie hätten keinen privilegierten Informationskanal zu Bersets Departement gehabt, sondern über eine Vielzahl von Quellen verfügt – über die sie ebenfalls zu Indiskretionen kamen.

Was nun der genaue Unterschied ist, und ob der Tagesanzeiger vielleicht nicht zu Lauener, aber zu anderen Personen im Departement ein vertrauensvolles Verhältnis hat, wissen wir nach diesem Artikel nicht. Es klang sehr nach: «Ich nicht, die anderen aber auch.»

Folgt diese Einordnung nicht, dann gibt es keine Diskussion über die Rolle der Medien und zur Frage, wann eine Indiskretion zu Recht erfolgt und wo die Grenzen sind. So haben wir zwar bisher sehr gutes Anschauungsmaterial erhalten, aber wenig neue Erkenntnisse gewonnen. Und im schlechteren Fall wird letztlich mit all den Details nur eine alte Debatte befeuert, die die Meinung bestärkt, dass sowieso gemauschelt wird und alle unter einer Decke stecken. Nicht umsonst hiess es in vielen Leserkommentaren: «Wir haben es ja schon lange gewusst.» Ich hoffe sehr, dass die Medien die Chance noch packen und diese Geschichte auf ein anderes Level heben.