Wer unsere Meinungen tatsächlich cancelt

Ein gewisses Alter hat auch seine Vorteile: Man erinnert sich an die eine oder andere Situation oder Zeit und das hilft einem manchmal, eine aktuelle Diskussion einzuordnen. So zum Beispiel einen Meinungsbeitrag von René Scheu, Geschäftsführer des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik. Er beklagt sich, dass heute Leute gecancelt würden und ein falsches Wort genüge, um Karrieren zu beenden.

Zuerst: Mir kommt spontan keine einzige Person in der Schweiz in den Sinn, deren Karriere wegen eines falschen Wortes beendet worden wäre. Vielleicht passt das am ehesten noch zu Jonas Fricker, der als Grüner Nationalrat nach einem unterirdischen Vergleich von Tiertransporten und Holocaust zurücktrat – auf Druck gewisser Medien, nicht aber der jüdischen Gemeinschaft. Aber gerade auf der konservativen Seite, die von Canceln spricht, wer hat wegen einer unbedachten Aussage gehen müssen? Im Gegenteil, der Pegel an Provokationen steigt doch ständig an.

Was mich aber mehr irritiert, ist das kurze Gedächtnis von René Scheu. Er erinnert sich zwar an die Zensur staatlicher Stellen in totalitären Regimes, doch die frühere Normalität hierzulande – als man angeblich noch frei reden durfte – ist ihm entgangen. In den 80er Jahren konnten Mitglieder der POCH im Kanton Luzern nicht als Lehrerin oder Lehrer arbeiten. Schwule Männer versuchten es meist gar nicht und sie landeten in der Schwulenkartei, fichiert und registriert wie so manch andere Person. Auf dem Land getraute sich kaum jemand, für eine linke Partei hinzustehen und man abonnierte das Vaterland um nicht als links zu gelten und um Stipendien zu erhalten. Generationen können ein Lied davon singen, wie sie zum Gottesdienstbesuch gezwungen wurden. Vielleicht dachten sie ja was ganz anderes, aber sie sprachen es nicht aus. Konformität und Anpassungsdruck waren damals viel stärker.

Als ich Anfang der 90er Jahre in den Krienser Einwohnerrat kam, lag der damalige sogenannte Mainstream in einer Agglomerationsgemeinde weit rechts. Es gab auch damals gute Gesprächspartner*innen in allen Parteien, aber der eine oder andere versuchte schon, diesem jungen Grünen die Welt erklären. Ich war mich Gegenwind gewohnt, es war ja auch ein Ansporn.

René Scheu zitiert aus einem Buch von Richard Precht, der sich über das Überhandnehmen der Moral beklagt und dass sich die Menschen ständig angegriffen fühlten.  Er malt ein Bild einer Gesellschaft, in der nur noch hinter vorgehaltener Hand die Meinung gesagt werde. Tatsächlich zeigen Studien, dass eine zunehmende Zahl von Menschen in Deutschland angibt: Ich sage nicht mehr, was ich sagen möchte. Umfragen von Allensbach zum Thema dazu geben zu denken, ein erheblicher Teil der Leute antworten in diese Richtung. Allerdings gibt es Kritik an diesen Studien. So drücken sie aus, wie der Eindruck der Leute ist und messen keine effektiven Aussagen. Ob diese tatsächlich heute weniger breit sind, wissen wir nicht. Kritik kam auch an den Fragen, die als flach bezeichnet wurden. So wurden die Leute etwa gefragt, ob sie es richtig fänden, dass man nicht mehr Zigeunerschnitzel sagen dürfe. Oder ob es ihnen auch so gehe, dass es sie nerve, wenn andere versuchen, ihnen eine Sprachregelung aufzudrängen. Ich glaube, sowas nennt sich Suggestivfrage. Die Studie kommt zum Resultat, dass die Leute im privaten Bereich viel toleranter seien im Sprachgebrauch als es die Medien und diese sich von den Leuten entkoppelten. Gleichzeitig zeigt die neueste Allensbach-Studie, dass viele Menschen zwar der Meinung sind, die Meinungsfreiheit sei eingeschränkt, selber aber auch rasch ein Verbot von Aussagen fordern. So befürwortet die Hälfte der Teilnehmenden ein Verbot für die Aussage, dass Soldaten Mörder seien. Für dieses Verbot haben sich wahrscheinlich keine woken Linken in der Umfrage ausgesprochen, sondern genau jene, die sich selber in ihrer Meinungsäusserung eingeschränkt fühlen. Alles etwas widersprüchlich…

Was aber aus meiner Sicht zentral ist und bei diesen Studien ausgeblendet wird: Ein Teil der politischen Parteien – das fängt in Deutschland bei der AfD und bei uns bei der SVP an, geht aber weit darüber hinaus – erzählt mantramässig, man dürfe ja nicht mehr alles sagen und sie stilisiert jede Zigeunerschnitzeldiskussion zu einer Cancel Culture Diskussion hoch. Das hat seine Wirkung, insbesondere durch die Verstärkung in den Medien.  Und ausgerechnet Richard Precht, der die Meinungsäusserungsfreiheit in Gefahr sieht und überall Zensur wittert, hat eine sehr grosse Medienpräsenz. Er wird alles andere als gecancelt.

Und dazu noch eine persönliche Einschätzung: Gewisse Leute sind überrascht und verärgert, dass ihre Meinung auf Grund des gesellschaftlichen Wandels nicht mehr mehrheitsfähig ist. „Man darf das doch wohl sagen dürfen“: Ja klar, nur zu, aber muss halt mit dem Widerspruch umgehen können. Und daran mangelt es nicht nur Personen aus linken Milieus, sondern auch rechtskonservativen Kreisen.

Unsere Meinungsäusserungsfreiheit ist nicht in Gefahr, weil es eine Diskussion gibt, wie ein Süssgebäck mit Schokoladenüberzug genannt wird. Eine verödende Medienlandschaft, ein US Präsident, der einzelne Politiker wegen ihren Aussagen abstraft oder gleich gegen das ganze Land Zölle verfügt, sehe ich als grösseres Problem für die freie Meinungsäusserung.  Dazu kommen auch in Europa autokratische Regierungen, die wie in Ungarn Menschenrechte massiv einschränken, queere Personen aus dem Strassenbild weg haben wollen und ihnen jedes Recht auf Demonstrationen nehmen. Und ein weiteres breites und wichtiges Thema sind die Tech-Plattformen, die möglichst polarisierende Aussagen favorisieren und ohne Spielregeln Diskussionen zulassen.

Wie wir die Herausforderungen beim Bahnausbau bewältigen können

Massive Verzögerungen, hohe Mehrkosten und ein Angebotskonzept, das nicht realisierbar ist, manchmal könnte man über den Bahnausbau in der Schweiz verzweifeln. Vor fünf oder sechs Jahren waren wir so stolz: Mit dem Bahninfrastrukturfonds sollte das Geld für den Unterhalt und den Ausbau auf lange Frist ausreichen, neue Projekte in Angriff genommen werden und der Modalsplit zu Gunsten der Bahn verändert werden.

Als im Sommer 2022 mit der Vernehmlassung zu den Bahnperspektiven 2050 klar wurde, dass es grobe Verzögerungen und Mehrkosten geben würde, fragte ich hier, ob der Ausbau 35 entgleist sei. Damals gab es Beschwichtigungen. Aber heute wissen wir, dass das Geld niemals reicht um die einst geplanten Massnahmen umzusetzen und dass grundsätzlich neu geplant werden muss, um dieses Angebotskonzept fahren zu können. Bundesrat Rösti hat Ulrich Weidmann den Auftrag erteilt, einen neuen Vorschlag zu erarbeiten. Wir werden in Bälde erfahren, was er vorschlägt und ob es ein weiser Entscheid war, die Liste weiterer Bahnausbauten in externe Hände zu legen.

Die Bevölkerung der Schweiz nimmt weiter zu, gleichzeitig will der Bund mehr Menschen auf den öV bringen und die Städte erst recht. Dazu braucht es jetzt einen klaren Plan, damit diese Verzögerungsmeldungen aufhören und der Ausbau rascher vorangeht.

  1. Den BIF nachjustieren und die Finanzierung klären.

Die Euphorie über den BIF war verständlich, die Fondslösung erlaubte es, den Bahnausbau aus dem alltäglichen Finanzhickhack herauszuhalten. Ganz ist dies aber doch nicht gelungen. Wir bedienen uns diesem Fonds, um zum Beispiel den Güterverkehr zu fördern oder der Bund plant die Einlagen aus der Schwerverkehrsabgabe um 200 Mio. Franken zu verkleinern, um seine angeblich klammen Finanzen aufzufrischen. Die Konferenz der kantonalen öV Direktoren hat bereits protestiert. Tatsächlich: So geht das nicht. Im Gegenteil – wir müssen darüber sprechen, dass das heute befristete Mehrwertsteuerpromille über 2030 hinaus beibehalten wird wie auch die Mittel aus der Mineralölsteuer. Der Bundesrat äusserte sich in einer Interpellation von Eva Herzog dazu pessimistisch. Er ängstigt sich vor der nötigen Volksabstimmung, doch diese Befürchtungen nehmen wir ihm gerne. Beide Massnahmen ergeben zusätzlich 700 Millionen Franken pro Jahr. Mit diesen zusätzlichen Geldern sieht die Entwicklung für den BIF bedeutend besser aus.

  1. Die Aggloprogramme stärken

Das grösste Verkehrsproblem haben wir in den Agglomerationen und im Verkehr innerhalb dieser Agglomerationen, die meisten Fahrten sind recht kurz und im Gegensatz zu den innerstädtischen Gebieten und im nationalen Verkehr – hier ist schon ein grosser Teil im öV unterwegs – gibt es ein markantes Umsteigepotenzial vom Auto auf den öV.  Wenn wir die Mobilität in diesen dichten Gebieten aufrecht erhalten wollen, braucht es Massnahmen, die mit Aggloprogrammen gefördert werden: Velospuren, Verkehrsleitsysteme, Busbevorzugung oder neue Tramlinien. Die Aggloprogramme werden aus dem Autobahn- und Agglomerationsverkehrsfonds gespiesen. Eine Konsequenz aus dem Nein zum Autobahnausbau muss die längst geforderte Erhöhung des Anteils für die Aggloprogramme sein. Mitspielen müssen allerdings auch die Kantone, die recht unterschiedlich ihre Programme umsetzen und planen.

Meine parlamentarische Initiative mit diesem Inhalt wurde von der nationalrätlichen Verkehrskommission bereits angenommen. Der Ständerat muss sich nun anschliessen. Oder noch besser: Der Bundesrat nimmt das Anliegen gleich selber auf.

  1. Eine höhere Mitfinanzierung von schienengebundenen Transportmittel

Während der Bahnausbau vollständig aus dem Bahninfrastrukturfonds bezahlt wird – wobei hier die Kantone ebenfalls miteinzahlen – werden Trams oder andere schienengebundene Transportmittel über Aggloprogramme vom Bund mitfinanziert, der höchste Anteil liegt bei 50 Prozent, wobei er einheitlich für das gesamte Programm gilt. Das hat den Sinn, dass die Kantone angehalten sind, möglichst gute Gesamtprojekte einzureichen. Aber es besteht natürlich ein Fehlanreiz: Die Kantone verlangen viel eher einen Bahnausbau als eine Verlängerung einer Tramlinie. Deshalb ist es eine starke Überlegung wert, dass innerhalb der Aggloprogramme solche Projekte einen höheren Beitrag erhalten. Mit einer höheren Gesamtsumme für die Programme müssten andere Teile nicht darunter leiden. Mein Vorstoss dazu wird in einer der nächsten Kommissionssitzungen diskutiert, aber auch hier: Der Bundesrat darf die Idee gerne übernehmen.

  1. Klärung des Unterhaltsbedarfs

Beim der Diskussion um den letzten Rahmenkredit für den Unterhalt des Bahnnetzes sahen wir eindrucksvoll, wie stark der Bedarf schwanken kann. Der Wiederbeschaffungswert für das ganze Bahnnetz in der Schweiz beträgt stolze 170 Milliarden Franken. Klar, bracht es da auch Milliardenbeträge pro Jahr für den Unterhalt und gemäss Vorgaben hat der Unterhalt vor dem Ausbau Vorrang. Aber ob man pro Jahr davon ausgeht, es brauche statt 1.8 Prozent der Gesamtsumme für den Unterhalt oder 2 Prozent, so sind das bereits 340 Millionen Franken pro Jahr.  Wir sollten den Unterhalt nicht vernachlässigen, brauchen aber auch hier eine Diskussion, wie viel nötig ist und wie er auch günstiger möglich sein könnte. Auch in der Schweiz geht man dazu über, vermehrt Linien für kürzere Zeiten zu schliessen um rascher und einfacher arbeiten zu können.

Dazu kommt noch, dass bei der Überprüfung des Angebotskonzepts 2035 von Seiten SBB ganz viele neue Projekte auftauchten, ohne die es nicht gehen soll. Darunter sind zum Beispiel mehrere Bahnhofsausbauten in kleineren Städten. Dabei haben sich die Passagierzahlen etwa so entwickelt, wie sie schon in der Botschaft zum Bahnausbau 2035 dargestellt wurden. Niemand konnte mir bisher erklären, weshalb dann diese Bahnhöfe ausgebaut werden müssen.

Eine hochkomplexe Angelegenheit, aber da es um sehr hohe Summen geht, braucht es auch hier eine enge Begleitung und Aufsicht durch den Bund.

Fazit: So düster, wie die Bahnentwicklung manchmal diskutiert wird, muss sie nicht erfolgen. Aber für einen weiteren Erfolg braucht es diese Massnahmen.

Wer möchte auf diesen Plätzen wieder Autos statt Stadtleben?

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann das Auto das Bild und das Leben vieler Orte und Menschen zu prägen. Die Zahl der Autos nahm rasant zu, neue Strassen wurden gebaut und viele Flächen wurden zu Autoparkplätzen. Wo früher Märkte waren, Leben stattfand, stand jetzt ein Auto neben dem andern oder sie fuhren selbst durch enge Altstadtgassen.

Anfang der 70er Jahre wuchs der Unwillen gegen diese Verschandelung der Städte. In Luzern war zum Beispiel selbst der Weinmarkt ein Parkplatz. 15’000 Personen hatten 1972 eine autofreie Altstadt gefordert und 1973 schloss sich die City-Vereinigung dem Anliegen an. Auf Antrag der Stadt erliess dann der Regierungsrat auf weiten Strecken in der Altstadt ein Fahrverbot. Ausnahmebewilligungen und einzelne Parkplätze gaben aber weiter zu reden. Aber:

Wer kann sich heute vorstellen, dass der Weinmarkt ausser für den Umschlag von Waren als Parkplatz dienen könnte? Wer möchte diesen Zustand zurück? Das Flanieren durch die Altstadt ohne ständige Gefahr einer Kollision mit einem Auto ist ein grosser Pluspunkt, Restaurants bedienen draussen. Es ist eine völlige Selbstverständlichkeit, auch wenn es auf anderen Plätzen noch viel länger ging.

 

Vielen ist noch lebhaft die lange Diskussion um den Mühlenplatz in Erinnerung. Dieser wurde erst 2008 autofrei, auch damals gab es Widerstand vom Gewerbe, doch dieses war nach Einführung sehr zufrieden, der Mühlenplatz sei einer der schönsten von Luzern 

Es brauchte zuerst einen Versuchsbetrieb während einiger Sommer, wie oft ging es lange, doch nach der Aufhebung der Parkplätze auf dem Mühlenplatz konnten mehrere Restaurants den Aussenplatz nutzen, er ist ein beliebter Treffpunkt, es gibt weiterhin kleinere Läden und wenn nötig, kann auch ein Auto parkieren, wie es in der ganzen Altstadt der Fall ist. Wieder die Frage: Wer möchte die Zeit zurückdrehen und vermisst die Parkplätze auf dem Mühlenplatz?

Das gleiche gilt für den Kapellplatz, der früher auch als Parkplatz diente, auf dem Bild hier schon etwas umgestaltet, aber die Blumenkisten verbesserten die Nutzbarkeit des Platzes auch nicht wirklich.

Aber nicht nur die Altstadt wurde autofrei, mehrere Plätze in der Stadt Luzern sind heute angenehme Aufenthaltsorte, waren aber vor 20, 30 oder mehr Jahren von Strassen durchschnitten oder eben von Autos überstellt. Hier ein Plan des Helvetiagärtlis vor der Umgestaltung. Die Waldstätterstrasse ist durchgehend befahrbar. Wo heute verschiedene Bars und Restaurant wirten und ein Kleinod entstanden ist, war schlicht eine Strassenfläche.

Auch vor dem Bourbaki ist eine Freifläche entstanden, die zuvor als Parkplatz diente und verschiedene Strassen wurden etwa im Bruchquartier umgestaltet. Es gibt heute mehr Bäume, etwas weniger Parkplätze auf offener Strasse und jetzt neu im Hirschmattquartier Versuche, die Parkplätze anders und effektiver zu nutzen.

Das entspricht auch der ursprünglichen Planung der Quartiere rund um die Altstadt: Sie wurden in einer Zeit geplant und grösstenteils gebaut, als es noch keine Autos gab. Diese Quartiere sind tatsächlich dicht, aber der Eindruck des Strassenraums ist durch die vielen Parkplätzen und die Dominanz des Autoverkehrs geprägt. Etwas weniger verstellt, sehen diese Strassen viel grosszügiger aus, wie hier die Hirschmattstrasse selber.

Und majestätische Gebäude kommen besser zur Geltung, wenn sie nicht vom Verkehr verschluckt werden und nicht nur in der Altstadt ihre Schönheit entfalten, wie hier an der Ecke Hirschmatt-Pilatusstrasse. Natürlich können diese Flächen nicht mehr völlig freigespielt werden, die Bevölkerung ist massiv gewachsen, die Bedürfnisse ebenfalls, doch andere Städte zeigen, dass mit Superblocks in Barcelona, mit Verkehrsberuhigungen in Paris viel drin liegt.

Und Luzern hat sich auch längst auf diesen Weg gemacht. Mit der Initiative der Jungen Grünen für autobefreite Quartiere kann die Stadt diesen Weg rascher und konsequenter gehen. Es wäre ihr vergönnt – und natürlich den Menschen dieser Stadt – wenn dies gelingt, wie es auch das städtische Parlament empfiehlt.

Denn es ist auch klar: Der Weg zu einem Siedlungsraum, der nicht vom Autoverkehr und auch nicht von autobeparkten Aussenraum geprägt ist,  ist keine Einbahnstrasse: Der Widerstand ist da und wird auch auf Bundesebene lauter. Das Bundesparlament schaut den Städten und Gemeinden sehr kritisch auf die Finger und möchte ihnen eine eigenständige Verkehrspolitik erschweren, sei es bei Tempo 30 oder weitergehenden Versuchen. Und beim Kanton stapeln sich die Gesuch für Tempo 30 auf Kantonstrassen. Pro Jahr sollen etwa drei Gesuche abgearbeitet werden. Das geht für viele viel, viel zu lange.

Wer sich in einem immer dichteren Siedlungsraum einer effizienten, platzsparenden Mobilität widersetzt, verpasst es, in der Dichte  Lebensqualität für die Menschen zu schaffen.

Fotos:

Stadtarchiv Luzern: Stadtrat will autofreien Weinmarkt / Lorenz Fischer /  Helvetiaplatz und allgemeine Unterlagen / Hirschmattstrasse / Hirschmattstrasse 44 Habsburgerstrasse 20

Unsere Nachbarn haben uns auch schon zum Glück verholfen – also etwas Entspannung bitte

Die Schweiz liegt mitten in Europa. Ihre Geschichte ist verwoben mit der Geschichte der Nachbarn. Unser heutiges Staatsgebiet lag und liegt an wichtigen Handelsstrassen, zwischen grösseren Staaten und bereits früher zwischen grösseren Herrscherhäuser, Nationen, die die europäische Geschichte prägten. Die Schweiz war nie am Rand, aber auch diese Situation war und ist in Europa keine spezielle Situation, wir teilen sie mit anderen Staaten wie Belgien, Tschechien, Regionen wie das Elsass, Lothringen, Burgund und anderen Regionen in Ostmitteleuropa.

Jede Gruppierung, die zusammenfindet, definiert sich auch über eine gemeinsame Geschichte, Herkunft, Besonderheiten, die sie von anderen abhebt, egal, ob es sich um moderne Staaten, Religionsgruppen, kulturelle Vereinigungen oder ethnische Gemeinschaften handelt. Heldenhafte Geschichten, grosse Männer, auch ein paar Frauen, gloriose Taten und toll erzählte Begebnisse helfen mit, sich von anderen abzugrenzen und ein Gemeinschaftsgefühl zu bilden. Diesen Geschichten begegnen wir überall und unser Bundeshaus ist voll davon, es wurde in einer Zeit gebaut, als diese Helden und Heldinnen besonders im Schwange waren, auch rund um uns herum wimmelte es von nationalen Personifikationen wie der Marianne, der Germania, unserer Helvetia oder mythischen und historischen Figuren wie Jeanne d’Arc, der germanische Arminius oder eben Bruder Klaus und Winkelried gehören ebenso dazu. Diese Figuren und Geschichten sagen etwas über das Selbstbild dieser Gesellschaften aus und sind oft wunderbar erzählt. Und in diesem Sinne schätze ich diese Erzählungen.  Wir sollten uns aber hüten, von ihnen Empfehlungen für die Zukunft zu erwarten.  Denn unsere Geschichte ist nicht nur eine Geschichte von heldenhaften Erzählungen und Abgrenzung gegen aussen, sondern auch eine alltägliche Geschichte der Verflechtungen mit unseren Nachbarn, und zwar politisch wie wirtschaftlich.

Schon vor Hunderten von Jahren haben die ländlichen Orte in der Schweiz Käse exportiert. Dies ging einher mit einer verstärkten Bewirtschaftung unserer Alpen und einer Abkehr in den Bergregionen vom Ackerbau. Man konzentrierte sich auf die Milchproduktion und den Export und importierte dafür Getreide. Bereits vor 700 Jahren hat man sich spezialisiert und damit die Wertschöpfung erhöht. Und um diesen Geschäftszweig abzusichern, brauchte es Garantieren wie Allianzverträge. So konnte Käse aus der Eidgenossenschaft zollfrei nach Frankreich exportiert werden, was ein grosser Wettbewerbsvorteil bedeutete, zudem bekamen die Eidgenossen Salz zu vorteilhaften Konditionen.

Um 1800 setzte sich die Käseproduktion mit einem hohen Exportanteil dann auch im Mittelland durch, es entstanden die unzähligen Molkereien, die in letzten Jahrzehnten wieder eingingen. Der Emmentaler begann seinen Siegeszug durch Europa und darüber hinaus. Auch hier gab es eine wirtschaftlich vorteilhafte Spezialisierung.

Aber es wurde nicht nur Käse exportiert, sondern auch Rinder um die Städte mit Fleisch zu versorgen. Eine besonders hohe Nachfrage bestand in den oberitalienischen Städten. Vom Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert wurde das Vieh im sogenannten Welschlandhandel aus dem Gebiet der Schweiz in die Lombardei und Piemont getrieben. Für das 18. Jahrhundert wurde geschätzt, dass 15’000 bis 20’000 Tiere pro Jahr dverkauft wurden. Die Tiere wurden über die Alpenpässe getrieben, was eine grosse Logistik voraussetzte und das Geschäft war risikoreich. Der Fleischkonsum schwankte je nach Konjunktur, doch niemand konnte sich erlauben, seine Tiere wieder nach Hause zu treiben. Man brauchte also auch Kapitalreserven in diesem Geschäft.

Bekannt ist der Söldnerdienst. Er war wirtschaftlich sehr bedeutend. Anfang 18. Jahrhundert befanden sich rund 50’000 Männer aus der Eidgenossenschaft in fremden Diensten. Das Söldnerwesen wurde stark als militärische Geschichte erzählt, doch ging es auch um eine Arbeitsmigration mit sehr grosser wirtschaftlicher Bedeutung, denn in den ländlichen Regionen gab es konstant einen Geburtenüberschuss und eine wachsende Bevölkerung, die nicht vor Ort einen Verdienst fand.

Verschiedene Regionen der Schweiz waren stark in der Stoffproduktion. Auch hier war der Export sehr wichtig. Als Beispiel sei die Produktion des Indiennes-Stoffes genannt.  Das waren bedruckte Baumwollstoffe, aus Indien übernommen. Die Produktion brachten Hugenotten in die Schweiz, die aus Frankreich vertrieben wurden, zugleich verbot Frankreich diese farbigen Tücher um traditionelle Tuchhersteller zu schützen. Die Textilindustrie war die Leitindustrie der Schweiz mit zum Teil über 100’000 Beschäftigten.

Die eidgenössischen Stände waren aber nicht nur wirtschaftlich verflochten, sie waren noch ganz lange Teil des römischen Reiches deutscher Nation, teilweise waren sie auch noch bis ins 16. Jahrhundert bereit, eine Zugehörigkeit zu Habsburg anzuerkennen. Auf dieser Karte wird dies sichtbar, erst 1648 hat die Schweiz sich vom römischen Reich abgekoppelt. Doch auch diese Abkoppelung kam nicht nur aus eigenem Antrieb. Der eidgenössische Gesandte Rudolf Wettstein verhandelte in Westfalen zuerst nicht über die Loslösung, sondern nur über eine Zusage, dass keine Basler Kaufleute mehr vor das Reichsgericht zu zitiert werden können. Es war der französische Gesandte, der ihm zuflüsterte, er solle um die Souveränität zu verhandeln. Das war nicht im Sinne der katholischen Orte, die den uneindeutigen, gewohnheitsrechtlichen Zustande lieber belassen hätten als unsichere diplomatische Verhandlungen aufzunehmen.

Zurück zum Söldnerwesen: Dieses finanzierte die Aristokratie, die diese Verträge aushandelte, durch Pensionen und schuf ein Geflecht von Beziehungen. Die Zahlungen ermöglichten es den Städten, auf Steuereinnahmen zu verzichten und auf ein eigenes Heer, denn mit den Soldverträgen wurden auch militärische Schutzgarantien abgegeben.

Auf dem Wiener Kongress waren die Schweizer Vertreter heillos zerstritten. Die einen wollten die alte Welt mit Untertanengebieten wieder herstellen, diese wehrten sich natürlich und das Wallis fand, es gehöre gar nicht zur Schweiz. Es gab eine Delegation der Tagsatzung und gleichzeitig Gesandte aus einzelnen Kantonen, die nichts miteinander zu tun haben wollten. Es war eine Kommission aus Mitgliedern der grossen europäischen Mächten, die damals formulierte, was aus der Schweiz werden solle.  Selbst ein Tagsatzungsabgeordnete sagte, man könne das nicht den Schweizern überlassen, sonst gebe es einen Bürgerkrieg. Die europäischen Mächte machten das nicht aus Nächstenliebe zur Schweiz, sondern sie wollten einen Puffer zwischen Frankreich und anderen Staaten schaffen und hatte kein Interesse an einem Unruheherd mitten in diesem Europa. Aber ohne dieses Engagement hätte es sein können, die Schweiz wäre in der Alten Eidgenossenschaft hängengeblieben und verschwunden.

Das mit dem Lernen aus der Geschichte ist immer so eine Sache. Aber wir können aus der Geschichte, wie die eidgenössischen Orte zusammenfanden und wie sie mit den umliegenden Mächten verbunden waren, drei Sachen mitnehmen, die für Zuversicht und Gelassenheit in der Auseinandersetzung zur heutigen europäischen Frage stehen.

Natürlich – wie eingangs erwähnt – ist die Geschichte der Schweiz auch eine  Geschichte, wie ein Staatenbündnis und nachher ein Bundesstaat Souveränität schafft und absichert. Aber die Geschichte zeigt deutlich, wie wir immer im Austausch und in Abhängigkeiten waren, wirtschaftlich wie politisch. Sicherheit entstand immer auch durch die Absicherung durch Nachbarstaaten.

Diese Absicherung wurde in unzähligen Verträgen festgehalten. Bei allem Streben nach Unabhängigkeit gehörte diese Absicherung mit komplexen Vertragswerken auf ganz unterschiedlichen Themen zu unserer Geschichte. Und so komplex und schwer durchschaubar wie die EU heute ist, war es die Eidgenossenschaft als Staatenbund auch. Gewisse Kreise haben eine merkwürdige Angst vor internationalen Vereinbarungen und Verträgen entwickelt, obwohl genau diese Art des Aushandelns zur DNA der Schweiz gehört.

Die Schweiz verdankt ihre Existenz oder auch ihre Weiterentwicklung ihren Nachbarn, die einen Sinn in dieser Schweiz sahen. Natürlich waren das keine schweizliebenden Herrscherhäuser rundherum, die zum Beispiel am Wiener Kongress die Schweiz bewahrten, aber man sollte bei anderen Staaten nicht immer schlimmste Absichten vermuten. Oft ergänzen sich die Interessen und es entstehen daraus gute Lösungen für beide Seiten. In diesem Sinne sollten wir auch die EU als Partnerin sehen, mit der wir für beide Seiten gute Lösungen suchen.

 

Quellen:

Holenstein André, Mitten in Europa

Bergier, Jean-François, Wirtschaftsgeschichte der Schweiz

Historisches Lexikon der Schweiz

 

Bilder: Bundeshaus eigene Aufnahmen / Käseherstellung: Historisches Lexikon/ Viehexport: Pro Cinema, Tönnis Brautfahrt/ Söldner: Blog Nationalmuseum / Karte hl. röm. Reich: Wikipedia/ Wiener Kongress: Infosperber

Mobilität: Weg vom Immer-mehr und Immer-breiter

Das Nein zum Autobahnausbau war eine Klatsche für das gesamte bürgerliche Polit-Establishment. Für sie war klar, die Schweiz ist ein Autoland und stimmt für breitere Autobahnen.

Doch es kam ganz anders: Mit dem Nein wurde klar, dass eine Politik des immer-weiter-immer-breiter keine Mehrheit findet. Albert Rösti versuchte noch am Abstimmungssonntag das Nein auch als wachstumskritisches Votum zu deuten. Doch die Analysen zeigen klar, die Bevölkerung sagte nein, weil sie weiss: Mehr Strassen bringen am Schluss mehr Stau und zugleich waren die Befürchtungen zu den Umweltauswirkungen ausschlaggebend.

Wer dieses Abstimmungsresultat ernst nimmt, muss die Verkehrspolitik neu ausrichten:

  • Keine Kapazitätsausbauten bei den Autobahnen
  • Eine Förderung der umweltschonenden Mobilität

Bundesrat Albert Rösti hat im Nachgang zur Abstimmung gefordert, dass die einzelnen Verkehrsträger (noch) besser aufeinander abgestimmt werden müssten. Er hat damit zugegeben, dass darauf zu wenig geachtet wurde. Dabei wäre das Instrument schon längst vorhanden. Es nennt sich Sachplan Verkehr und wurde unter seiner Vorgängerin Simonetta Sommaruga entwickelt. Es zeigt auf, mit welchen Massnahmen in den Regionen Auto, öV, Velo oder Fussverkehr aufeinander abgestimmt werden.

Aus eigener Luzerner Erfahrung kann ich sagen: Das wurde bisher kaum oder gar nicht gemacht. Die Planung des Autobahnausbaus Bypass ist lokal nicht mit dem öV oder gar mit dem Durchgangsbahnhof abgestimmt.

Nun will der Bundesrat die Planung neu aufnehmen und dabei Strassen- und Bahnprojekte zuerst überprüfen lassen und dann besser miteinander verknüpfen, eine Begleitgruppe und ein Soundingboard sollen diese Arbeiten begleiten. Die Überprüfung erfolgt extern unter der Leitung von ETH-Professor Ulrich Weidmann.

Der Einbezug breiterer Akteure ist richtig, und eine externe Überprüfung bringt eine Aussensicht. Wichtig sind jetzt folgende Punkte:

  • Inhaltlich muss klar sein, wohin die Reise geht. Ein besserer öV und keine Kapazitätserweiterungen bei den Autobahnen. Es reicht nicht, ein Autobahnausbau mit einer paar Meter Tramverlängerungen zu kombinieren. Die Verkehrswende muss jetzt verstärkt werden.
  • Um Staus in den Ballungszentren beizukommen braucht es eine Stärkung der Aggloprogramme. Ohne rasche und höhere Investitionen in diesem Bereich werden wir keine Lösung haben.
  • Gleichzeitig mit der Diskussion über die Infrastrukturen braucht es jene zur Finanzierung und Ablösung der Mineralölsteuer. Sie muss darauf ausgelegt werden, eine fossilfreie, platzsparende Mobilität zu fördern.
  • Externe Meinungen aus der Wissenschaft sind wichtig. Der Auftrag an einen Professor ist aber zu wenig, es braucht die ganze Palette. Und: Diese Übung darf nicht dazu dienen, die Verantwortung für Entscheide abzuschieben.

Schon etwas desaströs: Doppelt so hohe Kosten beim Ausbauschritt 2035

Bereits im Sommer 2022 bei der Vernehmlassung zur Botschaft Zwischenstand der Ausbauschritte wurde es sichtbar: Die Kosten und Termine für den Ausbauschritt 2035 laufen uns davon. Bei mehrerer Projekten zeichneten sich bedeutend höhere Kosten ab und mit dem Verzicht auf die Wankkompensation – einseitig durch die SBB – mussten auf einen Schlag neue Ausbaupläne her. Ich habe damals gefragt, ob die Ausbaupläne entgleist seien.  Das zuständige Bundesamt beruhigte. Es sei normal, dass es gewisse Verzögerungen gebe und machte möglichst auf Normalität.

In der Botschaft zum Zwischenstand von 2023 war es dann klar: Der Vollausbau Lötschberg, aber auch die nötigen Anpassungen Zimmerbergtunnel, Brüttener und Stadelhofen sowie die Neubaupläne Morges-Perroy führen zu einer Aufstockung des ursprünglichen Kredits von 13 Milliarden auf fast 16 Milliarden. Kann passieren, finde ich, aber alle wussten: Da kommt noch mehr, vor allem für den Ersatz der Wankkompensation.

Und jetzt: Um das Angebotskonzept 2035 – Grundlage des gleichnamigen Ausbauschritts – zu erreichen, braucht es zusätzliche 14 Milliarden Franken. Eine Verdoppelung der Summe fast ohne zusätzliches Angebot. Eine gigantische Kostensteigerung. Es werden nicht nur Projekte teurer, sondern viele kleinere Anpassungen wurden schlicht nicht berücksichtigt. So müssen offensichtlich viele kleinere Bahnhöfe angepasst werden, weil sie die prognostizierten Kundenströme nicht aufnehmen können.

Man muss sich einige Fragen stellen.

  • Wie konnte es sein, dass bei der Planung für 2019 offenbar nur die grossen Projekte berücksichtigt wurden, aber viele kleinere Projekte nicht auf dem Radar waren?
  • Oder anders gefragt: Überfordert die an sich richtige Reihenfolge mit Angebotskonzept und nachfolgender Infrastrukturplanung die Fachkräfte und das Bundesamt? Und ist das komplexe Gerüst mit einer politischen Planung beim BAV und der Ausführung der Projekte durch die SBB richtig?
  • Und wie spielen BAV und SBB zusammen? Wenn zum Beispiel die Verwaltungsratspräsidentin Monika Ribar die Ausbaupläne des Parlaments in Frage stellt, ist die SBB der richtige Partner für die Projekte? Oder sollte sie sich auf den Betrieb konzentrieren?
  • Was bedeutet ein zusätzlicher Aufwand von 14 Milliarden Franken für einen bereits beschlossenen Ausbauschritt konkret? Wenn pro Jahr 1 bis 1.5 Mia. Franken für den Ausbau zur Verfügung stehen, so werden wir erst 2040 irgendein neues Projekt in Angriff nehmen können?
  • Wie robust sind nach der totalen Ungenauigkeit von 2019 die vorliegenden Zahlen? Kann es sein, dass sie jetzt umgekehrt mit hohen Reserven ausgestattet sind?
  • Werden jetzt kleinere Projekte in diesen Ausbauschritt gepostet und dieser aufgeblasen um möglichst lange keine weiteren grösseren Projekte mehr in Angriff nehmen zu müssen?
  • Und sind die Reisezeitverlängerungen, die jetzt zu Gunsten der Fahrplanstabilität überall eingerechnet werden, nötig? Wie hoch sind die Zusatzkosten alleine um auf Grund dieser Reserven die Vorgaben wieder einhalten zu können?

Klar ist: Für die Verkehrswende, erst recht nach dem letzten Abstimmungswochenende, brauchen wir einen ausgebauten öffentlichen Verkehr. Gemäss Bahnperspektiven 2050 muss der Zugsverkehr in den Agglomerationen massiv ausgebaut werden. Das können wir uns abschminken, wenn lange Jahre kein neues Projekt mehr in Angriff genommen und hauptsächlich repariert wird.

Abbau statt Gestalten – die Prioritäten rechtsbürgerlicher Politik

Die Begriffe ähneln sich stets und kommen so locker daher. Dieses Mal heisst es „Entlastungspaket“, was der Bundesrat am Freitag verkündete. Ein Sammelsurium von Abbau und Stopps, die seinesgleichen suchen. Strategisch nicht schlecht hat der Bundesrat die Gruppe Gaillard vorgeschickt und kann jetzt vermelden, dass er nicht alle Vorschläge übernehmen wolle. Dabei handelt es sich bei seinem Paket um massive Kürzungen.

Als Verkehrs- und Medienpolitiker muss ich sagen: Die Abbauliste widerspricht den Zielen, die das Parlament vorgegeben hat und viele Massnahmen wurden erst kürzlich beschlossen.

Im Bereich des öffentlichen Verkehrs soll der Kostendeckungsgrad erhöht werden. Das heisst nichts anderes als nochmals höhere Billettpreise oder aber einen Abbau von schlecht ausgelasteten Linien. Das betrifft insbesondere die Randregionen. Zugleich soll weniger Geld in den Bahninfrastrukturfonds gelegt werden – obwohl wir wissen, dass mit steigendem Unterhalt und einen Bedarf an neuen Angeboten der Fonds heute schon knapp bemessen ist. Es passt nicht zusammen, mehreren Regionen Hoffnungen auf Ausbauten zu machen und gleichzeitig die Fondseinlagen zu kürzen. Und die lang erwartete Förderung von internationalen Zügen will er vor der Umsetzung grad wieder einstampfen. Obendrauf soll auch die Förderung von nichtfossilen Bussen gestrichen werden. Dabei haben wir das erst gerade im Parlament beschlossen. So erreichen wir weder das Ziel, den Anteil des öffentlichen Verkehrs zu erhöhen noch eine klimaneutrale Schweiz.

Bei den Medien geht es nicht um gleich viel Geld, aber um ebenso wichtige Fragen. In der letzten Sessionswoche entscheidet der Nationalrat über die dringend nötige Aufstockung der Medienunterstützung. Der Bundesrat will auch diese nicht ausbauen, sondern kürzen, die Hilfen für die Mitgliederpresse soll  sogar ganz wegfallen. Uns ereilen ständig Hiobsbotschaften zum Abbau bei den Medien. In gewissen Regionen gibt es kaum noch eine Berichterstattung. Alle wissen, wie wichtig vielfältige Medien für unsere Demokratie sind. Was hier der Bundesrat vorschlägt, ist grobfahrlässig. Wer die Sicherheit unseres Landes nun so stark ins Zentrum stellt, müsste doch gerade hier investieren, denn die Gefahren von Desinformation, Fake-News und schlecht informierten Menschen ist sehr real.

Ich werde den Verdacht nicht los, dass das angebliche Finanzloch (meist trafen sie am Schluss gar nicht ein) durch die massiv erhöhten Militärausgaben ein guter Vorwand für eine rechtsbürgerliche Bundesratsmehrheit ist, um den Abbau voranzutreiben und lästige Aufgaben durch eine Spardiskussion statt einer inhaltlichen Auseinandersetzung abzuschaffen.

Dass wir einen solchen Vorschlag auf dem Tisch haben, liegt an der Zusammensetzung dieses Bundesrates. Die vier SVP und FDP Bundesrät*Innen vertreten nicht die Parlamentsmehrheit und auch keine Wähler*innen-Mehrheit. Die Mitte hat auf die Vorschläge des Bundesrates ebenfalls kritisch reagiert. Sie sollte sich ab und zu daran erinnern, dass sie bei den Bundesratswahlen diese Zusammensetzung des Bundesrats mitgewählt hat.

 

Horror: 30’000 Staustunden– trotz Autobahnausbau

Stau ist nichts Tolles. Stau ärgert, man kommt nicht pünktlich ans Ziel und vertrödelt Zeit. Was Bundesrat Rösti aber nicht wissen will: Seit Jahrzehnten bauen wir in der Schweiz die Autobahnen aus und seit Jahrzehnten nehmen die Staus nicht ab. Sie bleiben konstant und hartnäckig. Das einzige, was wir seit Jahrzehnten machen, ist das Verschieben das Staus von einem Flaschenhals zum nächsten.  

Der schon etwas ältere Spruch «Wer Strassen sät, erntet Verkehr» ist keine grüne Ideologie, sondern Standard in der Mobilitätsforschung. Dort nennt sich das Phänomen «induzierter Verkehr». Werden Strassen ausgebaut, so macht dies das Autofahren attraktiver und der Verkehr nimmt zu. Die Leute pendeln weiter. Das mag volkswirtschaftlich einen Nutzen bringen, aber gesamthaft sitzen sie genau gleich lang im Auto. Oder sie fahren weiter für ihre Freizeitvergnügen und fahren längere Distanzen zum Einkaufen – es ist ja alles so rasch erreichbar – ausser, oh Schreck, man steckt im übernächsten Stau. 

Wie es funktioniert, erklärt zum Beispiel Prof. Dr. Alexander Erath, der an der Fachhochschule Nordwestschweiz zu Mobilitätsfragen lehrt, am 5. Februar in einem Webinar. Und Beispiele in den USA zeigen, wohin auch Ausbauten bis auf 6 oder 8 Spuren, wie jetzt in der Schweiz geplant, führen: Es können auch 26 Spuren wie in Houston sein, doch der Stau besteht noch immer. Und eben: Er wird noch länger.  

Mittlerweilen wissen wir auch, dass das Gegenteil den Praxistest besteht: Abbau von Fahrbahnen führt zu weniger Verkehr. Auch hier gibt es einen schönen Begriff – «Verkehrsverdunstung». Dabei nimmt der Verkehr stärker ab, als der konkrete Spurabbau vermuten liesse. Natürlich braucht es dabei auch flankierende Massnahmen und gute Angebote zum Umsteigen. Dann bleibt die Verkehrsbelastung auf der Strasse auch nach einer Baustelle dauerhaft tiefer.  

Bundesrat Rösti kann noch so lange Staustunden und Milliardenkosten vorrechnen. Auch der Ausbauschritt 2023, über den wir dank des erfolgreichen Referendums dieses Jahr abstimmen, wird sie nicht zum Verschwinden bringen. 

Bemerkenswert ist ebenfalls Bundesrat Röstis Aussage zum Öffentlichen Verkehr in demselben Artikel im Tagesanzeiger: «Es ist nicht möglich, den ÖV stärker auszubauen.» Er rechtfertigt damit den massiven Ausbau der Infrastruktur für den MIV. 

Ob er mit der Aussage technische, politische oder finanzielle Hürden anspricht, bleibt ungeklärt. Klar ist aber: Bei Bundesrat Rösti fehlt vor allem eines: Der politische Wille. Wenn der Modalsplit verändert werden soll, so wie es die Pläne des Bundesrates vorsehen, dann braucht es einen besseren Öffentlichen Verkehr, gerade auch für Teile der Bevölkerung, die heute keinen oder einen schlechten Zugang haben.  

Denn in Bezug auf Klimafreundlichkeit und Energieverbrauch übertrifft der öffentliche Verkehr den motorisierten Individualverkehr deutlich: Über 75 Prozent der CO2-Emissionen stammen von Personenwagen oder Motorrädern. Zudem brauchen öffentliche Verkehrsmittel weniger Energie und Platz.  

Der aktuelle Anteil des öffentlichen Verkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen in der Schweiz, auch bekannt als Modalsplit, variiert je nach Bewertungsgrundlage zwischen 13 Prozent (bezogen auf die Anzahl der zurückgelegten Wege) und 28 Prozent (gemessen an den zurückgelegten Distanzen). Dieser Wert hat sich in den letzten 15 Jahren kaum vergrössert. Mit Albert Rösti bleibt das wohl so.  

Bundesrat Rösti und die Medien: Auf dem Verordnungsweg ins Gestrüpp

Diese Aussagen sind knapp, aber sie lassen tief in das Medienverständnis von Bundesrat und immer noch Mitglied des Komitees der Halbierungsinitiative Albert Rösti blicken. Sie offenbaren eine Übernahme der Denkweise von Teilen der privaten Medien, zeugen von Unverständnis über die Medienlandschaft und deren Pflege. Obendrein sind sie handwerklich falsch und verunmöglichen eine breite Diskussion.  

Die privaten Medien sehen die SRG seit langem als Konkurrenz, und zwar nicht in einem guten Sinne einer medialen Vielfalt. Manchmal haben die beiden eher den «Rank» gefunden. Momentan gibt es aber eine journalistische Kampagne von CH Media und von der TX Group, die die SRG massiv zurückstutzen wollen. 

Ihre Hauptthese ist: Die SRG soll nur noch das machen, das die Privaten nicht machen können – oder wollen. Dies wurde im Tagesanzeiger so vertreten, aber auch in einer Studie von Avenir Suisse propagiert. Auch sie verlangt, dass die SRG nur noch «demokratiepolitische Inhalte produziert, die von Privaten nicht angeboten werden»Die Privaten könnten sich also noch stärker auf kommerziell interessante Felder beschränken, die SRG dürfte dagegen all das produzieren, was wirtschaftlich uninteressant ist. 

Man muss sich einmal vorstellen, wie ein solches Programm aussehen würde – übrig würden die Nischen bleiben, deren Pflege der SRG heute vorgeworfen wird. Und interessant wäre dann, wer darüber entscheidet, wo die Abgrenzung verläuft. Diese Denkweise macht aus der SRG einen Besenwagen, der noch aufwischen darf, was für andere nicht rentiert. Wollen wir eine solche Schrumpf-SRG? 

Unsere Medienlandschaft lebt davon, dass verschiedene Player berichten. Alle, die in einem Raum leben, wo es nur noch eine Zeitung gibt, wissen von der Einfalt der Berichterstattung. Gibt es verschiedene Zeitungen, Onlineplattformen oder auch Radios, die neben einem Regionaljournal noch vertieft berichten, zeigt sich: Konkurrenz belebt die Meinungsvielfalt und spornt die Journalist*innen an. Und animiert auch zum Lesen, zuhören und schauen. 

Eine Konkurrenz ist gemäss Auswertungen nicht von der Hand zu weisen, aber mehr Angebote führen auch zu mehr Konsum. Es gibt nirgends einen Hinweis, dass gute öffentliche Angebote den privaten Medien das Leben schwer machen. Aber Rösti übernimmt auch hier den Singsang gewisser privater Medien. 

Bundesrat Rösti ist die Diskussion auch falsch angegangen. Er schlägt eine Senkung der Haushaltsabgabe vor, gibt drei Stichworte, wo die SRG sparen soll, aber er drückt sich vor seiner eigenen Aufgabe, mit Änderungen in der Konzession klar zu machen, wo die SRG die Einsparungen vornehmen soll. Dabei wäre genau dies seine Aufgabe: Zuerst eine neue Konzession auflegen, diese breit zu diskutieren und dann festzulegen, ob die Kürzungen realistisch sind. Es würde sich dann rasch zeigen, ob es einen Konsens gibt, was weggestrichen werden soll. Schreibe ich einen Post dazu, werden oft genau entgegengesetzte Vorschläge gemacht. Die einen wollen keinen Sport, die anderen haben genug vom Jassen und die dritten wollen ein ganzes Radioprogramm streichen. 

Bundesrat Rösti geht den umgekehrten Weg: Er will die der SRG Gelder kürzen und lässt die bisherige Konzession einfach weiterlaufen. Sieht so Führung und Verantwortung aus?  

Kommt hinzu: Staatspolitisch ist das Vorgehen einigermassen schräg. Zur Verordnungsänderung, mit welcher die Senkung der Haushaltsabgabe beschlossen wird, findet zwar eine Vernehmlassung statt. Damit hat es sich aber. Es gibt keine parlamentarische Diskussion und auch keine weitere öffentliche Diskussion. Sieht so ein Gegenprojekt zu einer Initiative aus?   

Bodenpreise à la Monopoly: Ein Korrekturvorschlag

Die Bodenpreise sind stark am Steigen. Schlagzeilen wie «Bauland wird teurer» oder «So teuer ist der Boden» prägen die Nachrichten. Das ist auch in den Zahlen jener Kantone ablesbar, die Bodenpreise statistisch verfolgen. Im Kanton Zürich sind die durchschnittlichen Preise von 2012 bis 2022 von 1141 auf 1754 Franken angestiegen – eine satte Steigerung von mehr als 50 Prozent. Und dies in einer Zeit, als es praktisch keine Teuerung gab. Die Stadt Zürich meldete letztes Jahr  ebenfalls horrend gestiegene Preise: Die Bruttopreise – also Boden inklusive Gebäude – haben sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Sie liegen mittlerweile bei 5800 Franken, im Bereich Bahnhofstrasse bei 100’000 Franken, an zentralen Lagen wie Enge oder am Stauffacher auch noch bei 20’000 Franken.

In anderen Regionen  – soweit Daten überhaupt vorhanden sind – ist die Entwicklung teils etwas gemächlicher, aber sie zeigt fast überall nach oben. Was noch vor 20 Jahren ein ungläubiges Staunen auslöste, sind heute gängige Preise.

Was sagt der Bundesrat zu dieser Entwicklung? Wie immer bei diesen Themen: Nicht gerade viel. In einer Antwort auf eine Interpellation von mir kommt der Standardsatz, dass er die Entwicklung beobachte. Der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum sei ein Ziel des Bundesrates. Nur verrät er nicht, wie er es konkret umsetzen will. Und zu den Bodenpreisen schreibt er: «Es gibt derzeit keine Massnahmen, mit welchen der Bundesrat die marktwirtschaftliche Mechanismen der Preisbildung bei den Bodenpreisen beeinflusst.»

Der etwas sperrige Satz macht eines offensichtlich: Der Bundesrat glaubt nach wie vor, dass das begrenzte Gut namens Boden, das wir alle zum Leben brauchen, nach marktwirtschaftlichen Kriterien gehandelt werden soll. Dabei kann es gar keinen Markt geben: Das Angebot, der Boden, ist nicht vermehrbar und doch müssen alle Menschen irgendwo wohnen und müssen zwangsweise für den Boden bezahlen, und sei es mit der Miete. Dabei sehen wir die Auswüchse seit vielen Jahren, Jahrzehnten. Wem der Boden gehört, war schon immer eine zentrale Frage. Die einen haben Boden und holen sich hohe Profite, andere haben keinen Boden und müssen für diese Profite bezahlen, oft durch völlig überhöhte Mieten.

Der Wertzuwachs über die Zeit wird durch die Grundstückgewinnsteuer besteuert. Immerhin erhält hier der Staat einen Anteil des Wertzuwachs. In der Stadt Zürich waren es letztes Jahr unglaubliche 421 Millionen Franken Grundstückgewinnsteuern. Im Kanton Luzern waren es noch 2022 stolze 106 Millionen Franken, die zwischen dem Kanton und den Gemeinden aufgeteilt werden. Merkwürdig nur, dass von diesem Geld nichts zum Erhalt oder Bau preisgünstiger Wohnungen fliesst. Damit würde die Wirkung dieser Steuer massiv erhöht.

Die Gemeinden oder Kantone sind ja nicht unglücklich über diese Einnahmen, die in die allgemeine Kasse sprudeln. Man kann so die Einnahmen aufbessern und ist damit auch Profiteur dieser Preissteigerungen. Und ist vielleicht verleitet, diese Tendenz gar nicht brechen zu wollen.

Will man diese Tendenz unterbinden, gibt es verschiedene Ansätze. Einer ist eine grundsätzliche Diskussion über die Bodenfrage, die aber erfahrungsgemäss schwierig zu führen ist. Eine konkrete Diskussion bei Planungen auf Gemeindeebene oder der Bodenpolitik der Gemeinden, was schon erfolgsversprechender ist.

Eine dritte Möglichkeit ist eine pragmatische und als Teillösung zu verstehen: Wenn wir einen Teil der Grundstückgewinnsteuer für den gemeinnützigen und preisgünstigen Wohnungsbau einsetzen, dann flicken wir mit den Gewinnen dieser Bodengeschichte mindestens ein Stück weit die Schäden, die die Preisspirale verursacht. Ausserhalb der grossen Städte läuft im Bereich der Wohnungspolitik leider wenig und mit diesem Ansatz müssten alle aktivere Wohnpolitik verfolgen. Ich habe diesen Vorschlag mit einem Vorstoss eingebracht und ich zähle auf die Bereitschaft, nicht nur ständig über diese massiven Steigerungen der Landpreise zu lamentieren, sondern auch etwas zu unternehmen.