Wohninitiative: «Der Unterschied macht die Rendite»

Ein Dach über dem Kopf ist eines der elementarsten Grundrechte – und gleichzeitig ein grosses Geschäft für Vermieter, Anleger und Immobilienbesitzer. In der Schweiz haben es Mieterinnen und Mieter schwer, zu ihrem Recht zu kommen und zahlbare Wohnungen zu finden. Hier setzt die Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» an. Diesen Mittwoch fasst der Nationalrat eine Empfehlung. Gleichzeitig wird das Mietrecht aus rechten Kreisen frontal angegriffen, sagt Nationalrat Michael Töngi.

Gian Waldvogel: Im ersten Satz des Argumentariums steht ein Satz, der nicht wirklich zur Statistik passt stimmt: Trotz reger Bautätigkeit herrscht in der Schweiz Wohnungsnot. Aber die Leerwohnungsquote liegt 2018 mit 1.62 Prozent so hoch wie seit langem nicht mehr. Es ist also mehr als genug Platz da.

Michael Töngi: Es stimmt, dass in den vergangenen Jahren viel gebaut wurde und es gibt Gemeinden mit vielen leeren Wohnungen. Ein Beispiel ist Huttwil im Kanton Bern, wo auf 5000 Einwohner rund 300 Wohnungen leer stehen. Hier wurde viel zu viel gebaut. Fakt ist jedoch, dass die Mietpreise trotz Bauboom und deutlich gesunkenem Referenzzinssatz weiter ansteigen. Nur im oberen Segment sinken die Preise für neu ausgeschriebene Wohnungen.

Weshalb wurde das Volksbegehren lanciert?

Die Initiative wurde gestartet, damit der Bund mehr unternimmt als heute. Der Mieterinnen- und Mieterverband hat die Initiative 2015 lanciert, weil wir uns über die Untätigkeit des Bundes geärgert haben. Jahrelang hat Bern Massnahmen geprüft, wie er günstigen Wohnraum fördern könnte und am Schluss wurde gar nichts unternommen. Das liegt unter anderem an Bundesrat Johann Schneider-Ammann, der sich nicht für die Anliegen der Mieterinnen und Mieter interessierte. Erschwerend kommt hinzu, dass die CVP in der aktuellen Legislatur mit der SVP und FDP zusammenarbeitet und so auch die sanftesten Massnahmen zu Gunsten des Mieterinnen- und Mieterschutzes verhindert hat.

Die Initiative verlangt, dass doppelt so viele gemeinnützige Wohnungen wie bisher erstellt werden. Weshalb kann das nicht dem freien Markt überlassen werden?

Der Markt regelt eben nicht alles. Ein Dach über dem Kopf brauchen wir alle, dieses Gut müssen wir konsumieren. Daher ist es ein asymmetrischer Markt, der nicht Marktprinizipien funktioniert. In Städten beispielsweise besteht immer eine grössere Nachfrage als Angebot und in diesen Bereichen muss der Staat eingreifen. Beispielsweise indem die Preise kontrolliert werden oder noch besser: Es wird preisgünstiger Wohnraum geschaffen, der auf die Dauer günstig bleibt.

Der Bundesrat empfiehlt die Initiative zur Ablehnung, sie sei nicht marktkonform. Doch er unterstützt den Rahmenkredit im Umfang von 250 Millionen Franken für die Aufstockung des Fonds de Roulement. Aber nur, falls die Initiative nicht angenommen wird. Wie funktioniert dieser Fonds und weshalb reicht das nicht als Massnahme?

Aus diesem Fonds erhalten Genossenschaften preisgünstige Darlehen. Ein seit vielen Jahren bewährtes Instrument für den gemeinnützigen Wohnungsbau. Das Parlament entscheidet dabei jedes Jahr im Rahmen des Budgets, wie viel Geld aus dem Rahmenkredit tatsächlich den Genossenschaften zur Verfügung gestellt wird. Der letzte Rahmenkredit ist nun wieder aufgebraucht und es muss ein neuer gesprochen werden. Das ist eine ganz normale Tätigkeit, die nichts mit der Initiative des Mieterinnen- und Mieterverbandes zu tun hat. Die Verknüpfung der beiden Geschäfte ist widersinnig. Wenn die Initiative angenommen würde, müsste der Bund im Gegenteil noch mehr unternehmen für den gemeinnützigen Wohnungsbau.

Die Vorgabe der Initiative ist sportlich, gerade in der Stadt Luzern zeigt sich, dass es schwierig ist, zusätzlichen gemeinnützigen Wohnraum zu schaffen. Wie soll das umgesetzt werden vom Bund?

Ein wichtiger Aspekt ist die Bodenpolitik der Gemeinden. Jede Kommune soll ein Vorkaufsrecht auf Land erhalten und kann diese Grundstücke dann für den gemeinnützigen Wohnungsbau zur Verfügung stellen. Eine aktive Bodenpolitik, wie sie beispielsweise die Stadt Luzern dank der Initiative der Grünen nun betreibt, ist dabei absolut entscheidend. Die Raumplanung ermöglicht es Gemeinden ausserdem, einen gewissen Anteil an günstigen oder gemeinnützigen Wohnungen in neuen Überbauungen vorzuschreiben.

Kamen Herr und Frau Schweizer 1970 durchschnittlich noch mit 27 Quadratmetern Wohnfläche pro Kopf aus, so beläuft sich diese Zahl im Jahr 2000 auf über 40 Quadratmeter. Und auch der Standard muss immer besser werden. Sind die Mieterinnen und Mieter nicht selbst die Treiber der Wohnkosten?

Am meisten Platz beanspruchen Eigentümerinnen und Eigentümer. Beispielsweise Alleinstehende, die alleine in einem 150 Quadratmeter grossem Haus wohnen. Das zeigt auch die Statistik, der Platzverbrauch der Eigentümer ist rund 10 Quadratmeter höher als derjenige von Mieterinnen. Die Wohnsituation ist dabei hochgradig abhängig vom Einkommen. Stehen einem Haushalt weniger als 5000 Franken zur Verfügung, verwenden die Bewohner im Schnitt über 30 Prozent des Einkommens fürs Wohnen. Es gibt breite Bevölkerungsschichten, die sich nicht mehr Wohnraum leisten konnten in den vergangenen Jahrzehnten. Gegensteuer zur Wohnflächenverschwendung geben Genossenschaften, die günstigen Wohnraum an Belegungsvorschriften knüpfen und so masslosem Wohnraumverbrauch sowie der Zersiedlung Einhalt gebieten.

Der Nationalrat hat in der Dezembersession bereits Inlandinvestitionen in den Klimaschutz abgelehnt. Davon betroffen sind auch Gebäudesanierungen, die keinem einheitlichen Standard unterliegen sollen. Wie wichtig ist denn der Wohnbereich, um den Co2-Ausstoss zu reduzieren und die Klimaziele der Schweiz bis 2030 zu erreichen?

Rund 27 Prozent aller Treibhausemissionen werden im Wohnbereich verursacht. Das Parlament hat sich nicht nur geweigert, Standards für Sanierungen zu schaffen. Es wurden auch die Sanktionsmöglichkeiten gestrichen, falls die Emissionen nicht bis 2030 um 50 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 gesenkt werden. Das heisst, es können beispielsweise weiterhin Ölheizungen verbaut werden ohne dass die Eigentümer mit Konsequenzen zu rechnen haben. Ein unerhörter Tiefschlag. So schaffen wir den Ausstieg aus den fossilen Energien nie.

Stehen energetische Sanierungen nicht im Widerspruch zu preisgünstigem Wohnen?

Wenn Sanierungen in erster Linie auf energetische Massnahmen beschränkt, bewegt sich die Mieterhöhung im überschaubaren Rahmen. Eine wirklich gute Sanierung erhöht die Miete um rund 200 Franken. Für die Energiewende müssen alle einen Beitrag leisten. Es darf aber nicht sein, dass die Energiewende letztlich als Renditemaschinerie für Eigentümer missbraucht wird. Schwierig wird es, wenn zu teuer saniert wird um den Standard der Wohnung zu heben und den bisherigen Mietparteien gekündigt wird, um die Wohnung neu auf einem hohen Marktniveau zu vermieten. Heute ist sehr viel Geld da, das investiert werden will. Dieses wird oft für teure Aufwertungen eingesetzt, die gar nicht notwendig wären.

Wie steht es um die Rechte der Mieterinnen und Mieter, können sie sich gut wehren?

Nein, aber wer sich aktiv bemüht, kann zumindest auf gewisse Rechte pochen. Wir haben nur eine Missbrauchsgesetzgebung: Solange der Mieter nicht reklamiert, geschieht nichts, egal wie falsch der Mietzins ist. Die Mieterin muss in jedem Fall an die Schlichtungsstelle gelangen: das ist eine grosse Hürde und gerade im Fall von Mietzinsaufschlägen bei energetischen Sanierungen ein Problem.

Weshalb?

Die Fördergelder stammen aus der CO2-Abgabe, welche die Mieter und Mieterinnen bezahlen. Kommt es zu einer Kündigung wegen der Sanierung, so haben – überspitzt formuliert – die Mieter ihren eigenen Rauswurf finanziert. Da sollte der Staat die Mietzinserhöhungen von sich aus kontrollieren. Das würde auch das Vertrauen in die Energiewende erhöhen.

Unser Stadtpatrizier Junker Jost pocht darauf: Auch private Immobilienbesitzer können preisgünstigen Wohnraum anbieten. Wo liegt der Unterschied zwischen gemeinnützigem und preisgünstigem Wohnen aus Sicht der Mieterinnen und Mieter?

Genossenschaften und Private können teuer oder günstig bauen: Der Ausbaustandard definiert die Anfangsmiete. Der Unterschied macht die Rendite, die ein Privater aus seiner Anlage erzielen will. Auf längere Frist steigen die Mieten deshalb immer bis zu dem Preis an, welcher der Markt hergibt. Genossenschaften hingegen rechnen nur auf Basis der Zinsbelastung und der Unterhaltskosten, ein Gewinn muss nicht abfallen. Schweizweit sind die Mieten von privaten Anbietern im Schnitt 20 Prozent höher als bei gemeinnützigen Genossenschaften.

Was immer wieder auffällt: Mit Pensionskassengeldern von Besserverdienenden wird kräftig spekuliert und gebaut. Ist das nicht eine eklatante Bereicherung der Gutverdienenden auf Kosten von Mieterinnen und Mieter mit kleinem Budget?

Es ist vor allem eine Umverteilung zwischen Eigentümer und Mieter. Eigentümerinnen und Eigentümer wohnen dank den tiefen Zinsen heute viel günstiger als Mietende. Die Mieter bezahlen dagegen ständig mehr fürs Wohnen und finanzieren so auch die Pensionskassen mit. Alleine während 2007 und 2013 – neuere Zahlen kommen erst später – sanken die Wohnkosten von Eigentümerhaushalten um 80 Franken pro Monat, jene der Mieterhaushalte stiegen dagegen um 200 Franken. Das ist eine bemerkenswerte Umverteilung.

Nicht zu unterschätzen für die Preisspirale nach oben sind die Gemeinden selbst. Bestes Beispiel ist Kriens: Dort durfte der Immobilienmogul Mobimo das Filetstück beim Mattenhof für 800 Franken pro Quadratmeter kaufen, wohingegen die gemeinnützige Genossenschaft Wohnwerk über 2000 Franken bezahlen musste.

Es ist unglaublich, wenn Gemeinden weiterhin so gedankenlos mit dem Boden umgehen. Mobimo bezeichnet die Überbauung Mattenhof als Leuchtturmprojekt, doch ich bin skeptisch, ob dort ein lebendiges Quartier entsteht. Das Projekt ist renditegetrieben wie auch jenes auf dem Nachbargrundstück: Weil das Geld für eine Sporthalle fehlt, wird sie von privaten Investoren gebaut und mit einem 103 Meter hohen Wohnturm gegenfinanziert. Ist das wirklich unsere Vorstellung von einer guten Siedlungsplanung in Einklang mit hoher Lebensqualität?

Achten da Genossenschaften mehr drauf?

Ja, insgesamt ist festzustellen, dass die Bedürfnisse der Menschen nach Lebensqualität und Behaglichkeit bei genossenschaftlichen Wohnbauprojekten im Vordergrund stehen. Private Bauherren können auch gute Projekte realisieren, aber wenn die Gemeinden nicht klare Auflagen machen, siegt halt häufig der Renditegedanke.

Auch ein Faktor der in diesem Zusammenhang stossend wirkt: Gemeinden versuchen günstigen Wohnraum zu reduzieren, um weniger gute Steuerzahler und Sozialhilfeempfängerinnen zu verscheuchen. Was kann dagegen unternommen werden?

Das ist ein Auswuchs des Föderalismus. Es braucht in erster Linie einen Ausgleich aller Soziallasten zwischen den Gemeinden. Das sollte über einen kantonalen Finanzausgleich geregelt werden. Irgendwo müssen diese Menschen ja leben. Abgesehen davon müssen gemeinnützige Wohnungen ja nicht nur ärmere Menschen anziehen. Es gibt durchaus Gutverdienende, die ganz gezielt günstiger wohnen, sich im Platz einschränken und das gesparte Geld für etwas anderes einsetzen. Solange die Wohnungen nicht subventioniert sind, ist das völlig in Ordnung.

Vorstösse der Immobilienlobby sollen Mietzinsaufschläge erleichtern und höhere Renditen ermöglichen. Gleichzeitig soll der Mieterschutz nur noch in Gebieten gelten, in denen Wohnungsmangel herrscht. Eine bösartige Strategie, bedenkt man die vielen spekulativen Projekte, die die Leerwohnungsquote künstlich nach oben treiben.

Wir haben sowieso ein schwaches Mietrecht. Diese Vorstösse würden dem Mietrecht einen Todesstoss versetzen. In vielen Regionen könnte man nicht einmal mehr eine Mietzinssenkung verlangen, wenn der Referenzzinssatz sinkt. Dadurch stiege die Rendite der Eigentümer auf Kosten der Mieter jährlich an. Hier ist die rechte Mehrheit in der Rechtskommission durchmarschiert. Die nationalen Wahlen im nächsten Jahr entscheiden nun darüber, ob diese Vorstösse auch im Parlament durchkommen werden.

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