Die Stossrichtung in allen Papieren und Strategien ist klar: Der öffentliche Verkehr muss gestärkt werden, der Modalsplit zu seinen Gunsten verändert werden, in Agglomerationen soll zusätzlicher Verkehr mit öV, Velo und Fussverkehr aufgefangen werden und über allem schweben die vier V: Vermeiden, Verlagern, Vernetzen und Verträglich gestalten. Egal, ob das eine Luzerner Mobilitätsstrategie ist, ein kantonaler Richtplan oder ein Sachplan Verkehr des Bundes, diese Grundsätze gelten.
In diese Richtung muss es auch gehen, wenn wir die klimapolitischen Ziele des Bundes zu erreichen sollen. Mehrere Studien zeigen, dass es nicht mit der Elektrifizierung des heutigen Autoverkehrs getan ist, sondern eben auch ein Umsteigen braucht. Einerseits ist die Herstellung der Autos nicht CO2-neutral und andererseits müssen wir haushälterisch mit erneuerbaren Energien umgehen. Und ganz abgesehen davon leiden viele Städte und Dörfer unter dem Lärm und unglaublichen Platzverbrauch der Autos.
Viele nicken, wenn es um die Grundsätze geht, doch in der politischen Realität tut sich die Mehrheit mit diesen Vorgaben schwer. Namentlich mit dem ersten: Zum Thema Vermeiden erscheint dann immer nur das Stichwort Homeoffice und vielleicht noch flexiblere Arbeitszeiten. Auch das Thema Verlagern wurde zwar vom Parlament mit Vorstössen zur Erhöhung des öV-Anteils am Modalsplit bestärkt, man ist auch gerne bereit, den öV noch etwas stärker zu unterstützen. Doch dann ist rasch einmal Schluss, denn an der gleichzeitigen Förderung des Autoverkehrs rührt die Mehrheit nicht. So geschehen in der Verkehrskommission des Nationalrates gestern. Beim Thema Autobahnausbau leuchten die Augen vieler und ja, Papier ist dann sehr geduldig. Die übliche Argumentation lautet, man solle Auto und Bahn nicht gegeneinander ausspielen und damit wird die Diskussion abgewürgt.
Die Kommission hat den Ausbau von vier Autobahnabschnitten abgesegnet und sogar ein weiteres Projekt aufgenommen. Die Aufnahme des Projekts am Genfersee ist besonders pikant: Bundesrat Rösti hat es an seiner 100 Tage Medienkonferenz quasi bestellt («Wenn das Parlament (…) die Westschweiz noch spezifisch berücksichtigen will, finde ich dies aus einer übergeordneten Landessicht durchaus verständlich.» ) und die Kommission hat es prompt zwei Wochen später umgesetzt.
Sogenannte Engpässe sollen beseitigt werden. Dabei zeigen die Verkehrszahlen dieser Autobahnabschnitte, dass im realen Leben die Verkehrswende längst begonnen hat. Der Verkehr nimmt auf diesen Strecken seit fünf Jahren nicht mehr zu. Der Knick begann bereits 2018 und 2019, also vor Corona. Dabei ist es egal, ob die Staustunden zuvor besonders hoch waren. Auch in den Städten nimmt der Autoverkehr ab, die Theorie des zuständigen Bundesamtes ASTRA ist damit auch widerlegt. Dieses argumentiert, dass der Autobahnausbau nötig sei, damit der Verkehr nicht auf das untergeordnete Strassennetz ausweicht.
Während die bürgerliche Mehrheit im Bundesparlament also den Autobahnausbau vorantreiben will, fahren die Leute etwas weniger herum und sie setzen sich nach der Coronadelle wieder vermehrt in den öffentlichen Verkehr. Es ist einigermassen anarchronistisch und gegen die Ziele der Verkehrspolitik, wenn jetzt die Autobahnen wieder ausgebaut werden und damit ein Trend zurück in die falsche Richtung gesetzt wird. Denn Beispiele aus der Region Luzern haben gezeigt, dass dies fatale Folgen hat. Im letzten öV-Bericht des Kantons wurde gezeigt, dass die beiden neuen Autobahnzubringer Rothenburg und Buchrain in diesen Regionen den öV schwächten. Selbst ein Ausbau der öV-Linien konnte den Wettbewerbsvorteil des Autos durch raschere Verbindungen nicht wettmachen.
Dies ist kein Wunder: Verkehrspolitik ist zwar eine sehr emotionale Sache und die Benützung eines Verkehrsmittels hat oft mit Prestige und Bildern zu tun, aber letztlich entscheiden sich doch sehr viele Leute rational. Wie rasch komme ich vorwärts, wie bequem und einfach bin ich unterwegs. Hat jemand einen Autobahnanschluss vor der Haustür und einen Parkplatz am Zielort auf sicher, dann fällt die Entscheidung häufiger gegen den öV. Bringt mich dieser direkt, ohne grösseren Zeitunterschied und vor allem pünktlich an diesen Ort, ist dieses Transportmittel im Vorteil. Gleiches gilt für eine sichere Veloverbindung.
Leider nimmt die nationale Politik diese Erfahrungen nicht ernst. Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit machen aber Mut: In Bern wurden zwei Umfahrungsprojekte nur noch einigermassen bis sehr knapp angenommen. In vielen Agglomerationen nimmt der öV-Anteil zu und die Erfahrung lehrt, dass der Autoanteil am Verkehr umso niedriger ist, umso dichter eine Siedlung ist.
Man sagt es nicht gerne als Politiker im nationalen Parlament: Aber die Hoffnung ist klein, dass von dieser Seite ernsthafte Anstrengungen kommen, um eine fortschrittliche und klimataugliche Verkehrspolitik umzusetzen.
Bei vielen Strassen Erweiterungs- und Ausbauprojekten ist nach deren Vertigstellung, bzw. Eröffnung nur eines klar festzustellen, nämlich die Stauverlagerung.
Und warum ist das so ? Weil dann der Verkehr von ausgebauten, mehrspurigen Autobahnabschnitten irgend wann wieder in schmalere, z.B. zweispurige Strassen münden und nach den Ausfahrten nicht immer Anschlussstrassen in alle Richtungen vorhanden sind. Das hat doch mit effizienter Verkehrsplanung nichts zu tun.