Graben? Historisch gesehen ist das höchstens ein Gräbli

Was wird jetzt wieder alles von Gräben gesprochen! Überall tun sie sich auf. Grösser als jene nach den Unwettern: Stadt und Land entfremden sich. Und dies ausgerechnet am 1. August, wo die SVP selbsternannt zur Sprecherin der Landschaften mutierte.

Das Thema ist mindestens seit den Juniabstimmungen durch den Blätterwald gerauscht, allerdings taucht sie seit über 20 Jahren immer wieder auf. Besonders staunte ich über ein Gespräch mit der deutschen Schriftstellerin Juli Zeh, die in Brandenburg auf dem Land wohnt und davon sprach, dass Städter und Menschen auf dem Land „in verschiedenen Universen leben“ oder immerhin: „Auf einem anderen Planeten“. Sie würden andere Sachen lesen, hätten andere Hobbys und die Pflege der zwischenmenschlichen Beziehungen sei auch anders, es gebe immer weniger Durchmischung.

Einfaches Leben in den Tälern

Ich achte diese Stellungnahmen, aber: Ist das nicht etwas unhistorisch? Ich erinnere mich an eine Übung im Geschichtsstudium zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mit der tollen Historikerin Heidi Witzig untersuchten wir die Lebensräume von Menschen in Tessiner Bergtälern, in der Basler Oberschicht und im industriellen Zürcher Oberland.

Was mir vor allem geblieben ist: Im Tessin lebten viele Menschen noch vorwiegend ohne Geld. Sie produzierten sehr vieles, was sie zum Leben brauchten, selber: Lebensmittel, Möbel, Kleider, Geld brauchten sie für Salz, einen neuen Kupferkessel oder andere spezielle Güter. Diese gingen sie ein- oder zweimal im Jahr in einer Stadt einkaufen, verkauften dort eigene Produkte und bewegten sich dann für Monate nicht mehr aus den Seitentälern heraus. So habe ich das auch im letzten Sommer in Bosco Gurin im Museum gelesen – der 40 kilometerlange Weg nach Locarno wurde nur sehr selten unter die Füsse genommen, wobei das noch wörtlich gemeint war

Auswanderung in die Stadt für Auskommen

Zur gleichen Zeit gab es in Zürich bereits eine Börse, in den Städten kam Elektrizität auf. Was für Unterschiede! Viele mussten aus dem ländlichen Raum und Leben in die Städte auswandern, um ein Auskommen zu finden. Dort fanden sie ein völlig anderes Leben vor, mussten in Fabriken arbeiten gehen, waren in Luzern etwa als Dienstboten und -mägde in Hinterzimmern mit dem Reichtum der Oberschicht und Touristinnen und Touristen konfrontiert. Der Kontakt zur Familie auf dem Land wird spärlich gewesen sein, vielleicht ein paar Briefe – sofern das mit dem Schreiben funktionierte – sehr selten einmal ein Besuch.

Das war auch vor 60 oder 70 Jahren noch ähnlich, wer als junger Mensch «in die Stelle» musste, hatte monatelang keinen Kontakt mehr zur Familie – je nachdem ob es bereits einen Telefonanschluss zu Hause gab. Meine Eltern hatten beide eine bäuerliche Herkunft. Die Familie meines Vaters galt als liberaler – bei der Ursachenforschung fand man: Die gingen halt ab und zu in Luzern auf den Markt.

Lebenswelten rückten zusammen

Und heute sollen diese Lebenswelten weiter auseinander liegen? Wo alle am Abend die gleichen Serien schauen? Die gleiche Aktion in der Migros einkaufen? Ein schöner Teil der Landbevölkerung in städtischen Agglomerationen arbeiten? Oder Städterinnen fürs Wochenende aufs Land fahren? Wo die Vorgärten in den Agglomerationen gleich aussehen wie auf dem Land? Und die gleichen Autos vor den Garagen stehen? Bitte schön, diese Theorie der verschiedenen Planeten geht doch komplett an der Realität vorbei.

Der Stadt-Land-Graben wurde ja vor allem nach den letzten Abstimmungen bemüht. Das ist aber kein neues Phänomen. Ich habe willkürlich einige Abstimmungen verglichen. Je nach Thema konnten die Unterschiede bereits früher total markant sein. So etwa bei einer Initiative gegen Bodenspekulation im Jahr 1967, die in Genf angenommen wurde, in Obwalden aber nur 4.5 Prozent JA-Stimmen holte. Oder die sogenannte Fronteninitiative: Sie forderte 1935 eine Totalrevision der Bundesverfassung nach dem Geschmack frontistischer und rechtskonservativer Kreise. Im katholischen Freiburg wurde sie mit 55 Prozent angenommen, im liberalen reformierten Kanton Baselland dagegen mit 87 Prozent abgelehnt.

Sachfragen statt abstrakte Diskussionen

Was richtig ist: Die Befindlichkeiten und der Standpunkt für die Betrachtung eines Themas ist neben anderen Faktoren auch davon abhängig, ob man auf dem Land oder im städtischen Bereich wohnt. Dass eine Agrarinitiative deshalb unterschiedlich beurteilt wird, ist nicht grad erstaunlich. Ebenso bei Verkehrsthemen, der eine will möglichst ohne Hindernisse in die Stadt fahren, jemand anders wohnt dort und nervt sich über den Lärm. Sollte das jemanden erstaunen? Dass sich dann solche Meinungen in einem Milieu festigen und gegenseitig verstärken, ist auch nachvollziehbar.

Das heisst für mich: Diskutieren wir die Sachfragen, vielleicht lohnt es sich auch einmal, den Standpunkt des Gegenübers einzunehmen und die Sache aus seiner Sicht zu betrachten. Aber lassen wir ab von einer abstrakten Stadt-Land-Diskussion.

Aus meinen Blog auf Zentralplus https://www.zentralplus.ch/blog/politblog/historisch-gesehen-ist-es-hoechstens-ein-graebli/

Weshalb es ein JA zum Covid 19 Gesetz braucht

Covid 19 hat uns überrollt und eine Krise ausgelöst, wie wir sie so nicht erwartet haben. Wir mussten sehr rasch handeln. Neben den medizinischen Herausforderungen brauchten wir Hilfestellungen für die Menschen, für Unternehmen und ganze Branchen. Die Möglichkeit zur Kurzarbeit wurde ausgebaut, Unternehmen erhielten Kredite und Beiträge, Selbständigerwerbende eine Entschädigung oder Künstlerinnen und Künstler wie die Eventunternehmen brauchen Unterstützung. All diese Hilfen regelt das Covid 19 Gesetz. Nicht immer ging das problemlos über die Bühne, manche Hilfe kam zu spät, aber letztlich haben Bundesrat und Parlament hier absolut wichtige Arbeit geleistet und dies im demokratischen Prozess.

Mit einem Nein würden all diese Hilfen auf einen Schlag wegfallen. Alle hoffen, dass wir möglichst bald die Pandemie überwinden können, doch niemand kann heute beurteilen, wie lange wir noch auf diese Hilfen angewiesen sind. Das Ärgerlichste wäre dann: Braucht es doch weitere Massnahmen, so müsste der Bundesrat diese via Notrecht wieder einführen. Doch genau dieses Notrecht bemängeln die Anhänger des Referendums – eine absurde Situation!

Kommt hinzu: Gerade jene Massnahmen, die am meisten zu Diskussionen Anlass geben, haben mit dem Covid 19 Gesetz nichts zu tun.  Die Schliessung der Restaurants, Maskentragpflicht oder die Frage des Impfens haben ihre Grundlage im Epidemiengesetz. Dieses wurde 2013 in einer Volksabstimmung klar angenommen.

Für eine weitere derartige Krisensituation können und müssen wir die jetzige Arbeit auswerten und allfällig Verbesserungen vornehmen. Doch jetzt gilt es: Der eingeschlagene Weg weitergehen und sicher nicht die Hilfen aufs Spiel setzen. So können wir die Pandemie mit möglichst wenig weiteren Opfer durchstehen. Und mit einem Ja zum Covid 19 Gesetz stützen wir all jene, die wirtschaftlich unter der Pandemie leiden.

Für eine konkrete Debatte statt dem Cancel-Vorwurfshammer

Schauspieler*innen, die sich mit Satire über Corona-Massnahmen lustig machen, Adolf Muschg, der eine Cancel Culture in der Schweiz ausmacht und diese mit Auschwitz vergleicht: Beides hat starke Reaktionen ausgelöst. Widerrede, Empörung, aber insbesondere hierzulande gab es auch viel Zustimmung und eher: Empörung über die Empörung. Die Diskussion über eine sogenannte Cancel Culture schwappt sein einigen Monaten vermehrt durch die Schweiz: Aber was steckt dahinter? Und: Wer cancelt wen?

Selbst der „neue“ Nebelspalter hält fest: Das Phänomen sei in der Schweiz noch nicht so stark vertreten – nur solle man sich nicht zu sicher sein, schiebt er vorsorglich nach. Und welche Beispiele kommen? Die Klimadiskussion sei verengt wie auch jene über Corona. Das war von einem Nebelspalter zu erwarten und da wurde nicht viel Hirnschmalz für eine Analyse verwendet. Ein Philosophieprofessor nennt im Artikel als Beispiel den Gesundheitswissenschaftler John Ioannidis. Er werde verleumdet. Ein schlechtes Beispiel, denn seine Thesen wurden in den Medien breit diskutiert. Nur: Sehr viele andere Wissenschaftler*innen und die meisten Journalist*innen teilen seine Schlussfolgerungen nicht. Gerade Journalismus hat die Aufgabe, Meinungen darzustellen, sie aber auch einzuordnen oder vor allem den Leser*innen Hilfen anzubieten, dies selber machen zu können. Nur weil eine Meinung nicht mehrheitlich mitgetragen wird, kann sich der Autor oder die Autorin noch kein Cancel-Schild umhängen.

Weiter wird im Nebelspalter ausgeführt, dass schon Auftritte sabotiert wurden, vor einem Jahr zum Beispiel von einem libertären Ökonomen. Ok, etwas mehr Gelassenheit und die Auseinandersetzung suchen, könnte richtig sein. Nur: Ist das jetzt das einzige Beispiel? Offensichtlich ist es schwierig, zum Beweis einer neuen Tendenz auch etwas Substanz respektive Fälle in die Diskussion zu bringen. Ja und ist es denn etwas Neues, dass jemandem ein Auftritt verweigert wird? Wer sich heute darüber entsetzt, war mit einiger Wahrscheinlichkeit früher daran beteiligt, dass andere schon gar nie eine Auftrittsmöglichkeit erhalten hat. Siehe zum Beispiel Andi Gross als Präsident der GSOA, der in der Universität Zürich unerwünscht war. Und siehe auch all die Menschen, denen während des Kalten Krieges der Mund verboten wurde, vor- und verurteilt wurden.

Aber wurden die 50 Schauspieler*innen in Deutschland gecancelt, da sie ihre Statements ins Internet stellten? Ein unüberlegtes Video, das kann es geben. Schwamm drüber. Aber diese Aktion war geplant, koordiniert und sie hatte doch gerade den Sinn, eine Reaktion auszulösen. In der Luzerner Zeitung wurde dafür plädiert, „die Vieldeutigkeit zu erkunden“. Ich habe mir einige angeschaut. In einem kontextlosen Raum sind einige ja noch lustig. Nur: Sie hatten eben einen sehr konkreten Kontext – sie alle verbindet die Kritik an den Coronamassnahmen. Jetzt fielen die Reaktionen negativ – teilweise auch sehr hart – aus. Diese Reaktionen dann aber gleich als faschistoid zu bezeichnen, wie geschehen, ist eine groteske Umkehr von Ursache und Wirkung. Ist es nicht viel einfacher und muss man diesen Schauspieler*innen schlicht sagen: Selber tschuld?

Und wie ist es mit Adolf Muschg? Da kann ich nur sagen: Wer mit Auschwitz-Vergleichen um sich wirft und dann treuherzig findet, das sei aus dem Zusammenhang gerissen und man möge bitte die ganze Sendung hören, ist ebenfalls ganz selber verantwortlich für die Verengung der Diskussion.

Gecancelt fühlte sich auch eine Teilnehmerin der EDU bei einem Podium an der Luzerner Hochschule für soziale Arbeit über LGBTIQ+ Gleichstellungsfragen. Ja, sie wurde von den Studierenden hart angefasst und musste sich viele Fragen erlauben. Ihre Argumentation, die göttliche Ordnung käme da durcheinander, löste starkes Kopfschütteln aus und sie beklagte sich über die Reaktionen. Ist das nun ein Canceln? Oder gab es eine Verschiebung im Wertesystem? Musste jemand, der oder die in den 80er Jahren die Ehe für alle forderte, nicht mit gleich starken Reaktionen rechnen? Oder: Wahrscheinlich mit stärkeren? Damals gab es Berufsverbote für Mitglieder der POCH und Schwulenkarteien. Beklagen sich jetzt nicht auffällig viele Leute über ein Canceln, die einfach jahre- und jahrzehntelang nicht mit Gegenwind rechnen mussten oder dass sie sich für einmal in einer Minderheitsposition wiederfinden?

Gerne werden Einzelereignisse überhöht, wie beim Aufschrei, als eine Bank dem Referendumskomitee gegen die Ehe für Alle ein Bankkonto verweigerte. Ob richtig oder falsch: Das ist keine neue Cancel-Culture, sondern gängige Geschäftspraktik von Banken, mit welchen progressive Kreise schon und vor allem vor Jahrzehnten konfrontiert waren.

Ähnlich verhält es sich mit einigen bürgerlichen Politikern und einigen Medien in Bezug auf linke Stadtregierungen und Parlamente. Ach, die ziehen eigene Projekte durch? Suchen nicht den Konsens mit allen politischen Kreisen? Na sowas – hat jemand eine ähnliche Kritik gegenüber bürgerlichen Kantonsregierungen gehört, die vielerorts seit Menschengedenken am Werk sind? Auch hier gilt: Die Kritik kommt oft als Phantomschmerz von bürgerlicher Seite, die sich unverdienter- und unerklärlicherweise in manchen Fragen in einer Minderheitsposition wiederfindet. Wer vom Thron gestossen wurde, mag sich verletzt fühlen, doch er oder sie ist jetzt auf Augenhöhe mit den anderen.

Zwei Schlussfolgerungen

Natürlich gibt es Beispiele, wo jemand nicht zu Wort kommt, man ihm oder ihr nicht genau zuhört und voreilige Urteile gezogen werden. Diskutieren wir doch über diese konkreten Beispiele: Sind Fehler passiert in der Debattenkultur, im Ausschluss von Menschen? Der Erkenntnisgewinn ist dann einiges höher als die allgemeine Cancel-Diskussion, die mir in letzter Zeit als Ausweichrhetorik vorkommt für jene, denen im Konkreten die Argumente ausgegangen sind.

Was stimmt: Ja, die Diskussionen sind lauter geworden. Auf allen Seiten – das ist aber kein generelles Zeichen einer Verrohung der Debatte, sondern ein Problem der heutigen Debattenräume. Wir wissen, dass auf den sozialen Medien emotionale, laute und zugespitzte Beiträge besser bewertet werden, teils durch die Algorithmen der Anbieter gefördert und teils im Durchscrollen rascher bewertet. Wenn wir differenziertere Debatten wollen und die Lautstärke etwas runterpegeln wollen, braucht es hier Massnahmen. Zwei Hebel seien hier genannt: Die Plattform-Anbieter*innen müssen ihre Algorithmen anpassen und die Gesellschaft muss diskutieren, ob eine Moderation der Beiträge die Meinungsfreiheit einschränkt oder aber die Debattenkultur stärkt.

Ehe für Alle – durch das grosse Portal

Das Referendum wird eingereicht: Ewiggestrige Parolen haben die Referendumssammlung begleitet, von den nicht natürlichen Lebensgemeinschaften über das Kindswohl bis hin zu zur heterosexuellen Familie als Keimzelle des Staates. Und einmal hörte ich Klagen auf der Referendumsseite, diskriminiert zu werden, weil ihre Ansichten zu Reaktionen führen.

Ich könnte auf die Abstimmung verzichten – sie wird inhaltlich keinen weiteren Erkenntnisgewinn bringen und ich glaube: Die Gesellschaft ist in diesem Fall einiges weiter als die Politik – davon rühren auch die etwas unbedarften Klagen der Gegner*innen, sie würden zu hart angefasst. Neue Familienformen, Frauenpaare, die Kinder grossziehen, Männer ebenso, da hat sich in den letzten 30 oder 40 Jahre enorm viel gewandelt. Die Erkenntnis, dass Liebe, Beziehung und Zusammenleben nicht mehr in der gleichen normativen Einheitlichkeit wie seit Jahrhunderten stattfinden muss, ist eine der grossen Befreiungen, die ich miterleben durfte. Auf keinem anderen Gebiet hat sich so viel getan. Das hat mit Emanzipation zu tun, mit vielen Frauen und Männern, die mutig voraus gegangen sind. Viele andere Faktoren haben auch mitgeholfen, wie die demokratische Partizipation, die uns eine Stimme gab, oder auch die wirtschaftliche Entwicklung, die aus Zwangsgemeinschaften freiere Paare machte. Mit  mehr Möglichkeiten und Risiken, die das Leben bietet.

Eine Chance bietet aber die Abstimmung: Mit einem hohen Ja-Anteil können wir diese gesellschaftliche Öffnung an der Urne bestätigen. In einigen Kreisen wird mit dem Argument gespielt, diese Entwicklung sei von oben gesteuert –Stichwort Anti-Gender-Bewegung – und wird dann mit kruden Beispielen und Weltbilder garniert. Mit einer Abstimmung wird deutlich, dass in der Frage der Gleichberechtigung und Gleichstellung der Druck von unten und nicht von oben kommt.

Medienvielfalt statt Eintopf

Wie kann Medienvielfalt und Qualität erhalten und gefördert werden? Gian Waldvogel hat mit mir über das Medienpaket gesprochen – mit ein paar historischen Abstechern.

 

Man kann sich auch selber etwas ernster nehmen – und seine Arbeit machen

In der Pandemie wurde der Ruf laut, dass unser Parlament seine Rolle wahrnehmen müsse und aktiver mitgestalten müsse. Nicht wenige Parlamentarier*innen selber ware3n dieser Meinung.  Letztlich ist das Parlament diesem Ruf in den letzten Monaten sehr unterschiedlich nachgekommen. Teils mit unnötig lautem Aktivismus und Vorschlägen, die weder praktikabel noch dienlich waren, teils aber mit guter Arbeit um gerade auch die Situation leidender Branchen und vor allem der Menschen zu verbessern.

Durch die Pandemie und der grossen Arbeit mit dem Covid 19 Gesetz und anderen Anpassungen kamen andere Geschäfte in Verzug. Besonders gelitten hat die Behandlung von Vorstössen. Mit diesen kann das Parlament zeigen, dass es nicht nur Vorlagen des Bundesrates berät, sondern auch eigene Ideen einbringt und dem Bundesrat Aufträge erteilt. Besonders eindrücklich ist die Nichtbehandlung der Vorstösse aus dem Departement für Umwelt, Energie, Verkehr und Kommunikation (UVEK). Wenn meine Zählung stimmt, so haben wir seit der Herbstsession 2019 erst wieder im Herbst 2020 fünf Vorstösse behandelt und seither wiederum keine mehr. Das gibt nicht nur einen Rückstau, die Konsequenzen sind noch härter: Vorstösse, die innert zwei Jahren nicht behandelt werden, werden nichtig. Sie müssen neu eingereicht werden oder aber ihre Ideen stehen schlicht nicht mehr zur Diskussion. Wer also in den Bereichen des UVEK einen Vorstoss einreicht, muss heute mit grösster Wahrscheinlichkeit damit rechnen, dass er den Weg ins Parlament nie schaffen wird.

Traditionell nimmt sich der Nationalrat Anfang Mai Zeit, um in einer Sondersession einige Tage nachzuholen, wo er gegenüber dem Ständerat in Rückstand geraten ist – dieser diskutiert weniger und ist schneller. Das wäre eine Gelegenheit, möglichst viele Vorstösse zu behandeln und diese Inputs der Ratsmitglieder aufzunehmen. Ursprünglich war die Sondersession für vier Tage vorgesehen. So sieht es auch noch auf der Vorschau aus. Wer aber das Programm öffnet, sieht: Die Sondersession endet bereits einen Tag früher am 5. Mai, das Ratsbüro hat den letzten Tag gestrichen. Das Parlament vergibt so die Möglichkeit, gerade die eigenen Ideen zu behandeln. Schade, denn so vergibt es eine Chance, dass Parlamentarier*innen nicht nur Vorstösse einreichen, sondern diese auch behandeln können.

 

Wintersession: Alles fährt Ski – oder doch nicht.

Covid 19: Hilfen nachgebessert auf Druck der Grünen
Jetzt gerade tagt der Bundesrat um zu entscheiden, mit welchen weiteren Massnahmen die Pandemie gebremst werden soll. Ich hoffe, dass er strikte Vorgaben macht und den bisherigen Flickenteppich an Kantonslösungen (oder Unlösungen) stoppt. Der Föderalismus hat in den letzten Wochen seltsame Blüten getrieben. Der Kantönligeist führte dazu, dass zum Beispiel Restaurants in Horw und Hergiswil um 19 Uhr schlossen, in Alpnach aber bis 22 Uhr offen waren – prompt kamen auf Facebook die Aufrufe, man gehe jetzt halt nach Obwalden in den Ausgang. So senken wir die Fallzahlen sicher nicht.
Wir bremsen die Pandemie auch nicht, indem wir möglichst lange die Skigebiete offen halten. Die Erklärung, welche der Nationalrat dazu beschloss, war – um es vornehm auszudrücken – keine Sternstunde der letzten Session.
Immerhin: Der Druck ist in den letzten zwei Wochen massiv gestiegen und damit wurden viele Anliegen der Grünen mehrheitsfähig. Wir haben uns stark für gute und umfassende Hilfen eingesetzt. Bessere Härtefallregeln, Kurzarbeit für Temporäre, Hilfe für Kulturschaffende und vor allem 100 Prozent Kurzarbeitsentschädigung für Tieflohnbranchen.
Die Fraktion hat die Covid 19  Massnahmen intensiv diskuktiert. Hier unsere Stellungnahme.

Ehe für Alle mit Kurs in den Hafen
Beschlossen! Die Ehe für alle ist da – mit grosser Mehrheit haben beide Räte das Gesetz verabschiedet. Die EDU will in all ihrer Antiquiiertheit ein Referendum machen. Ich freue mich auf den Abstimmungskampf und finde es toll, dass die Ehe für alle mehr als 20 Jahre nach einem einem Vorstoss von Ruth Genner in der Mitte der Gesellschaft Platz gefunden hat.

Einsatz für den Durchgangsbahnhof
Diese Woche wurde die Zentralschweiz von der Meldung aufgeschreckt, der Durchgangsbahnhof werde etappiert gebaut. Ob es nur um die bauliche Staffelung des Grossprojekts geht oder doch nur die erste Hälfte gebaut werden soll, will ich in einer Interpellation eklärt bekommen – ich habe sie zusammen mit allen Luzerner Nationalrät*innen eingereicht. Wir müssen dranbleiben, damit der Durchgangsbahnhof realisiert wird!!

Gute Festtage!
Leider gibt es heute Abend keine Bar jeder Vernunft – wir sehen uns anderswo und später wieder.
Auch wenn sie dieses Jahr speziell sind, wir nur im kleinen Kreis feiern können – ich wünsche allen gute Tage in dieser Zeit!

Höhere Renditen verschärfen Ungleichgewicht

Heute morgen konnten wir im Tages-Anzeiger lesen: 10jährige Hypotheken gibt es jetzt für 0.7 Prozent. Doch im Artikel wird davor gewarnt, sofort Neuhypotheken abzuschliessen, denn: Der Zinssatz könnte noch weiter sinken, das Geld bekommt man als Immobilienbesitzer*in so gut wie gratis. Anders bei den Mieten: Die steigen nach wie vor und deshalb entwickeln sich die Wohnkosten bei Eigentümer*innen und Mieter*innen immer weiter auseinander. Leider erscheinen die Zahlen nur alle drei Jahren, aber die BfS Untersuchung zeigt dies eindrücklich:

Seit 2007 bezahlt ein Mieterhaushalt 200 Franken mehr fürs Wohnen und ein Eigentümerhaushalt 200 Franken weniger. Nichts verdeutlicht mehr, wie ungleich die Gewinne und Verluste durch die Tiefstzinsphasen verteilt sind.

Ausgerechnet in diese Zeit platzt nun ein Bundesgerichtsurteil, das die zulässige Rendite erhöht. Bisher durfte ein*e Vermieter*in auf dem investiertem Geld eine Rendite erzielen, die ein halbes Prozent über dem Referenzzinssatz liegt. Neu darf die Rendite zwei Prozent über diesem Wert liegen, was eine massive Renditeerhöhung bedeutet. Hat jemand eine Liegenschaft hauptsächlich mit eigenem Geld finanziert und wenig Bankkrediten, dann schlägt diese Renditeaufstockung mit mehreren Hundert Franken auf den Mietzins durch.  Das erschwert die Bekämpfung von Mietzinserhöhugnen massiv.

Über die Höhe der zulässigen Rendite wird seit längerem diskutiert. Ausgerechnt kurz vor einer ständerätlichen Debatte über einen Vorstoss in der Wintersession zu dieser Frage schafft das Bundesgericht mit einem Urteil Fakten und hebelt eine politische Diskussion aus respektive setzt den umstrittenen Vorstoss ohne politischen Beschluss um.

Ist die Erhöhung gerechtfertigt? Wenn man das Zinsumfeld anschaut, kann man sich nur die Augen reiben. Wohnimmobilien sind eine sichere Anlage und wurden oft mit Obligationen verglichen.

Wo liegen deren Zinsen?  Für Obligationen mit einer zehnjährigen Laufzeit liegt der Zins bei MINUS 0.5 Prozent. Viele kennen auch die Situation auf dem eigenen Sparbuch. Am Schluss zahlt man Spesen, drauf kommt nix.

 

Ähnlich ist die Situation auch bei der 3. Säule. Es gibt keinen Zins mehr, Hauptsache, das Geld ist irgendwo angelegt.  Die Mindestverzinsung bei den Pensionskassen wird 2021 auf 0.75 Prozent gesenkt.  Verglichen wird oft mit den Aktien, die eine höhere Rendite haben. Das ist korrekt – doch die Schwankungen sind enorm mit Ausschlägen von 10 bis 30 Prozent nach oben und nach unten innerhalb eines Jahres. Unvergleichbar mit Wohnimmobilien.

Wenn man die Bautätigkeit in unserem Land anschaut, so kann das Mietrecht offensichtlich kein Hindernis für Investitionen sein. Es schützt nur jene Mietenden,  die sich aktiv wehren und eine Mietzinserhöhung anfechten oder eine Senkung einfordern. Es heisst nicht umsonst, dass die Mieter*innen oft am kürzeren Hebel sitzen. Mit diesem Urteil wurde dieser Hebel nochmals massiv gestutzt.